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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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noch die Säulen und Stufen der attischen Tempel lind Paläste,
Ein Mann tritt auf, in Rcisekleidern, mit bestaubten Schuhen, den
Wanderstab in der Hand. Er kommt direct aus Sinope und gehört
einer ehrbaren Familie an, die vom Falschmünzer seit undenkbaren
Zeiten sich ernährt hat. Sein Vater hat wegen einer Lumperei von
ein Paar tausend Drachmen, die er fabricirte, Reißaus nehmen müs¬
sen; er aber ist auf den großen Gedanken gekommen, sich einmal
Athen, das Athen anzusehen, welches da maschirt i". I-t todt- 6"; I.l
civilis-rtio", welches der Brennpunkt aller schönen und großen Geister
ist, die einzige unter allen Städten Griechenlands, die den Talenten
des jungen Diogenes von Sinope einen würdigen Spielraum bieten
kann. Denn er hat sich entschlossen, sein Brod als ehrlicher Mann
zu verdienen, und wie er die Statue des Miltiades sieht, die, ganz
in Gold und Alm,,-"; gehüllt, von ihrem hohen Sockel den Platz be¬
herrscht, hö ruft er: d"", ich werde Soldat; ich werde siegen, Raz¬
zias machen, und man wird mir Monumente errichten. Aber in die¬
sem Augenblick naht sich ihm ein alter Invalide, ein Stelzfuß, der
in den großen Pcrserschlachten (!) verstümmelt worden, und bettelt
um ein Almosen. Diogenes sieht ihn an, wirft ihm einen Obolus
hin und sagt: Nein, ich werde Lein Soldat.

Aber, ich bin ein gesunder Kerl, ich werde arbeiten, ich werde
den Meißel führen und den Marmor hauen zum Ruhm des Vater¬
landes ... da wird eine Bahre von zwei Arbeitern vorbeigetragen,
ein dritter liegt auf der Bahre, mit zerschmetterten Gliedern, und
ein vierter, der hinten nachgeht, sammelt Almosen für die Wittwe
und die Waisen des armen Arbeiters, die nun ohne Brod sind. . .
Diogenes gibt wieder einen Obolus aus, und ruft mit einem Seuf¬
zer: Nein, ich werde kein "Ouvrier!"

Wie, wenn ich Poet würde? Poet! wiederholt er mit saurer
Miene, -- bah! meinetwegen, ich werde Poet! Da hört er Geschrei
und Gezeter. Ein Dichter kommt über die Bühne, von seinen zwei
Söhnen, die ihn für verrückt ausgeben wollen, vor den Richter ge¬
schleppt. Der Greis vergießt Thränen, ruft die Götter zu Zeugen
und declamirt Verse. Diogenes horcht auf, erkennt den großen --
Sophokles (!), beugt sich vor ihm, nimmt sich aber vor, kein Poet
zu werden.

Beim Herkules! sagt er, die Geschichte wird immer verwickelter.
Soll ich am Ende nach Sinope zurück? Nein! . . Halt, jetzt hab'
ich's. Ja, ich werde ein Philosoph. Seinen Nächsten Weisheit lehren,
daß muß schön sein. . . In diesem Augenblick bewegt sich ein Zug
über den Platz; es sind Leute ans dem Volk, die Verwünschungen
rufen, und Bewaffnete, die den Säbel schwingen. Zwischen den Be¬
waffneten geht ein Mann, dessen Haupt ein schwarzer Schleier be¬
deckt. Und dieser Mann ist kein Anderer als -- Sokrates(I), der in


noch die Säulen und Stufen der attischen Tempel lind Paläste,
Ein Mann tritt auf, in Rcisekleidern, mit bestaubten Schuhen, den
Wanderstab in der Hand. Er kommt direct aus Sinope und gehört
einer ehrbaren Familie an, die vom Falschmünzer seit undenkbaren
Zeiten sich ernährt hat. Sein Vater hat wegen einer Lumperei von
ein Paar tausend Drachmen, die er fabricirte, Reißaus nehmen müs¬
sen; er aber ist auf den großen Gedanken gekommen, sich einmal
Athen, das Athen anzusehen, welches da maschirt i«. I-t todt- 6«; I.l
civilis-rtio», welches der Brennpunkt aller schönen und großen Geister
ist, die einzige unter allen Städten Griechenlands, die den Talenten
des jungen Diogenes von Sinope einen würdigen Spielraum bieten
kann. Denn er hat sich entschlossen, sein Brod als ehrlicher Mann
zu verdienen, und wie er die Statue des Miltiades sieht, die, ganz
in Gold und Alm,,-«; gehüllt, von ihrem hohen Sockel den Platz be¬
herrscht, hö ruft er: d»», ich werde Soldat; ich werde siegen, Raz¬
zias machen, und man wird mir Monumente errichten. Aber in die¬
sem Augenblick naht sich ihm ein alter Invalide, ein Stelzfuß, der
in den großen Pcrserschlachten (!) verstümmelt worden, und bettelt
um ein Almosen. Diogenes sieht ihn an, wirft ihm einen Obolus
hin und sagt: Nein, ich werde Lein Soldat.

Aber, ich bin ein gesunder Kerl, ich werde arbeiten, ich werde
den Meißel führen und den Marmor hauen zum Ruhm des Vater¬
landes ... da wird eine Bahre von zwei Arbeitern vorbeigetragen,
ein dritter liegt auf der Bahre, mit zerschmetterten Gliedern, und
ein vierter, der hinten nachgeht, sammelt Almosen für die Wittwe
und die Waisen des armen Arbeiters, die nun ohne Brod sind. . .
Diogenes gibt wieder einen Obolus aus, und ruft mit einem Seuf¬
zer: Nein, ich werde kein „Ouvrier!"

Wie, wenn ich Poet würde? Poet! wiederholt er mit saurer
Miene, — bah! meinetwegen, ich werde Poet! Da hört er Geschrei
und Gezeter. Ein Dichter kommt über die Bühne, von seinen zwei
Söhnen, die ihn für verrückt ausgeben wollen, vor den Richter ge¬
schleppt. Der Greis vergießt Thränen, ruft die Götter zu Zeugen
und declamirt Verse. Diogenes horcht auf, erkennt den großen —
Sophokles (!), beugt sich vor ihm, nimmt sich aber vor, kein Poet
zu werden.

Beim Herkules! sagt er, die Geschichte wird immer verwickelter.
Soll ich am Ende nach Sinope zurück? Nein! . . Halt, jetzt hab'
ich's. Ja, ich werde ein Philosoph. Seinen Nächsten Weisheit lehren,
daß muß schön sein. . . In diesem Augenblick bewegt sich ein Zug
über den Platz; es sind Leute ans dem Volk, die Verwünschungen
rufen, und Bewaffnete, die den Säbel schwingen. Zwischen den Be¬
waffneten geht ein Mann, dessen Haupt ein schwarzer Schleier be¬
deckt. Und dieser Mann ist kein Anderer als — Sokrates(I), der in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/182>, abgerufen am 14.05.2024.