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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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deutsche Staaten ist er lange nicht so streng konservativ, und die
Leipziger Vorgänge hat er ganz anders besprochen, als er Kölnische
oder Königsberger Vorgänge derselben Art besprochen hatte.

Eines aber müssen wir anerkennen; alle diese angedeuteten Ma¬
növer werden oft mir einem Aufwand von Geist und Geschick durch¬
geführt, den bisher kein preußisches Blatt dieser Art gemacht hat;
und halbwegs neutrale Gegenstände erfahren häusig eine gründliche
Behandlung im Rhein. Beobachter. Es ist ein erfreuliches Zeichen,
daß die "gute Presse" selbst der cenffrten Opposition gegenüber sich
anstrengen muß, daß man die Liberalen nicht mehr ignoriren oder
mit allgemeinen Phrasen abfertigen kann. Die Zeiten des vornehmen
Schweigens sind vorüber. Die Preußische Staatszeitung, die sich
noch immer in diesen Mantel hüllt, ist uns daher lange nicht so lieb,
als der Rhein. Beobachter und die Zeitung für Preußen. Die letz¬
teren sind gewissermaßen Kinder der Zeit, sie haben von der liberalen
Presse gelernt, und wir hätten gar Nichts dagegen, daß die Advoka¬
ten der Büreaukratie im Antlitz der Oeffentlichkeit mit allen möglichen
geistigen Waffen ihre Sache verfechten, nUr sollte man, gleichsam dem
Staatsprocurator gegenüber, auch dem Vertheidiger der Volkswünsche,
völlig freies Wort gönnen. Dann wäre der Kampf ein ehrlicher, ein
öffentlich geführter Proceß. Dann möge die Rabulisterei noch so
arg sein; die sophistischen Spitzen würden bald abbrechen, und wir
wollten sehen, wer zuletzt Recht behält.


II.
AusParis.

Correspondcntennoth. - Felix Pyat. -- Jules Janin. -- Die Soiröe des
Fcuilletoniste". -- Musikalisches Babel. -- Die Krippe der rü" ,8. '^q-caro.
-- Die Lotterie von Monville. -- Der Polcnball- -- Jacob Venedey.

Ich kann mir die Enttäuschung des deutschen Lesers denken,
wenn er eine jener dürren Correspondenzen, welche wir armen Bericht¬
erstatter in dieser ausgetrockneten Zeit den deutschen Blättern einsen¬
den, zu Ende gelesen hat. Ueber die armen Arbeiter die durch die
Kartoffelkrankheit in Noth gebracht sind, hat die Welt Mitleid, aber
kein Mensch hat Mitgefühl mit uns armen Correspondenten, die
wir nicht minder fleißige Arbeiter sind und denen doch der erste Nah¬
rungszweig, die Neuigkeiten, dieses Jahr so elendiglich mißrathen
sind. Da sitzt der fleißige or. Haller von Früh bis Abend im Ca-
binet de Lectüre Montpensier, und wühlt sämmtliche französische und
spanische Blätter, wie ein erschöptes Bergwerk durch, um nur noch
einige Fünkchen Erz auszugraben die sich zu einer Correspondenz für
die Augsburger Allgemeine verarbeiten ließen, da läuft der betrieb¬
same Börnstein von Hodu bis Kusch, von Gagliani bis zur "l'puto"


deutsche Staaten ist er lange nicht so streng konservativ, und die
Leipziger Vorgänge hat er ganz anders besprochen, als er Kölnische
oder Königsberger Vorgänge derselben Art besprochen hatte.

Eines aber müssen wir anerkennen; alle diese angedeuteten Ma¬
növer werden oft mir einem Aufwand von Geist und Geschick durch¬
geführt, den bisher kein preußisches Blatt dieser Art gemacht hat;
und halbwegs neutrale Gegenstände erfahren häusig eine gründliche
Behandlung im Rhein. Beobachter. Es ist ein erfreuliches Zeichen,
daß die „gute Presse" selbst der cenffrten Opposition gegenüber sich
anstrengen muß, daß man die Liberalen nicht mehr ignoriren oder
mit allgemeinen Phrasen abfertigen kann. Die Zeiten des vornehmen
Schweigens sind vorüber. Die Preußische Staatszeitung, die sich
noch immer in diesen Mantel hüllt, ist uns daher lange nicht so lieb,
als der Rhein. Beobachter und die Zeitung für Preußen. Die letz¬
teren sind gewissermaßen Kinder der Zeit, sie haben von der liberalen
Presse gelernt, und wir hätten gar Nichts dagegen, daß die Advoka¬
ten der Büreaukratie im Antlitz der Oeffentlichkeit mit allen möglichen
geistigen Waffen ihre Sache verfechten, nUr sollte man, gleichsam dem
Staatsprocurator gegenüber, auch dem Vertheidiger der Volkswünsche,
völlig freies Wort gönnen. Dann wäre der Kampf ein ehrlicher, ein
öffentlich geführter Proceß. Dann möge die Rabulisterei noch so
arg sein; die sophistischen Spitzen würden bald abbrechen, und wir
wollten sehen, wer zuletzt Recht behält.


II.
AusParis.

Correspondcntennoth. - Felix Pyat. — Jules Janin. — Die Soiröe des
Fcuilletoniste». — Musikalisches Babel. — Die Krippe der rü« ,8. '^q-caro.
— Die Lotterie von Monville. — Der Polcnball- — Jacob Venedey.

Ich kann mir die Enttäuschung des deutschen Lesers denken,
wenn er eine jener dürren Correspondenzen, welche wir armen Bericht¬
erstatter in dieser ausgetrockneten Zeit den deutschen Blättern einsen¬
den, zu Ende gelesen hat. Ueber die armen Arbeiter die durch die
Kartoffelkrankheit in Noth gebracht sind, hat die Welt Mitleid, aber
kein Mensch hat Mitgefühl mit uns armen Correspondenten, die
wir nicht minder fleißige Arbeiter sind und denen doch der erste Nah¬
rungszweig, die Neuigkeiten, dieses Jahr so elendiglich mißrathen
sind. Da sitzt der fleißige or. Haller von Früh bis Abend im Ca-
binet de Lectüre Montpensier, und wühlt sämmtliche französische und
spanische Blätter, wie ein erschöptes Bergwerk durch, um nur noch
einige Fünkchen Erz auszugraben die sich zu einer Correspondenz für
die Augsburger Allgemeine verarbeiten ließen, da läuft der betrieb¬
same Börnstein von Hodu bis Kusch, von Gagliani bis zur „l'puto"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/242>, abgerufen am 29.04.2024.