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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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nachträgliches über die Reife des Czaaren.



Zur Beschämung der Gesammtjournalistik Europas klärt es
sich jetzt auf, daß der Heiratslärm der bei dem Eintritte des Cza-
ren in die italienischen Staaten nach zweijähriger Pause wieder auf¬
tauchte, ein ganz leerer gewesen ist. Dem Journal des Dvbats
gebührt die Ehre den Spectakel zuerst angeregt zu haben. Der
Thatbestand -- den ich Ihnen aus unzweideutiger Quelle mitthei¬
len kann -- ist folgender. Der hiesige Hof ward im Herbste von
der Nachricht, der Czar wolle seine Gemahlin persönlich nach Ita¬
lien begleiten nicht wenig überrascht. Das Heiratsproject war
bereits vor zwei Jahren, seit der Anwesenheit des Grafen Orloff,
abgethan, und in der That hatten die kleinen Anspielungen und die
Versuche den Faden wieder aufzunehmen, die einige diplomatische
Damen in weiblichen Kreisen versuchten, keinen Erfolg; auch wußte
man das russischer Seits so genau, daß der Czar auf der Heim¬
reise nach Palermo Wien umging, obgleich er nur wenige Meilen
davon entfernt war. Nichtsdestoweniger soll das russische Cabinet
auf eine Vermittlung von Nom aus gehofft haben. Der Czar
ging mit dem Vornehmen, den polnischen Katholiken einige Conces¬
sionen zu machen, nach Italien und glaubte hierdurch den heiligen
Stuhl für seine Sache zu gewinnen. Aber ein böses Prinzip bleibt
niemals ungerochen, und jahrelanges Unrecht ist nicht mit einer
Handbewegung zu verwischen. Ein Jncidenzpunkt dessen Niemand



*) Bon keinem unserer gewöhnlichen Correspondenten.
Grciizbvte", 155". I. 34
nachträgliches über die Reife des Czaaren.



Zur Beschämung der Gesammtjournalistik Europas klärt es
sich jetzt auf, daß der Heiratslärm der bei dem Eintritte des Cza-
ren in die italienischen Staaten nach zweijähriger Pause wieder auf¬
tauchte, ein ganz leerer gewesen ist. Dem Journal des Dvbats
gebührt die Ehre den Spectakel zuerst angeregt zu haben. Der
Thatbestand — den ich Ihnen aus unzweideutiger Quelle mitthei¬
len kann — ist folgender. Der hiesige Hof ward im Herbste von
der Nachricht, der Czar wolle seine Gemahlin persönlich nach Ita¬
lien begleiten nicht wenig überrascht. Das Heiratsproject war
bereits vor zwei Jahren, seit der Anwesenheit des Grafen Orloff,
abgethan, und in der That hatten die kleinen Anspielungen und die
Versuche den Faden wieder aufzunehmen, die einige diplomatische
Damen in weiblichen Kreisen versuchten, keinen Erfolg; auch wußte
man das russischer Seits so genau, daß der Czar auf der Heim¬
reise nach Palermo Wien umging, obgleich er nur wenige Meilen
davon entfernt war. Nichtsdestoweniger soll das russische Cabinet
auf eine Vermittlung von Nom aus gehofft haben. Der Czar
ging mit dem Vornehmen, den polnischen Katholiken einige Conces¬
sionen zu machen, nach Italien und glaubte hierdurch den heiligen
Stuhl für seine Sache zu gewinnen. Aber ein böses Prinzip bleibt
niemals ungerochen, und jahrelanges Unrecht ist nicht mit einer
Handbewegung zu verwischen. Ein Jncidenzpunkt dessen Niemand



*) Bon keinem unserer gewöhnlichen Correspondenten.
Grciizbvte», 155«. I. 34
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[0273] nachträgliches über die Reife des Czaaren. Zur Beschämung der Gesammtjournalistik Europas klärt es sich jetzt auf, daß der Heiratslärm der bei dem Eintritte des Cza- ren in die italienischen Staaten nach zweijähriger Pause wieder auf¬ tauchte, ein ganz leerer gewesen ist. Dem Journal des Dvbats gebührt die Ehre den Spectakel zuerst angeregt zu haben. Der Thatbestand — den ich Ihnen aus unzweideutiger Quelle mitthei¬ len kann — ist folgender. Der hiesige Hof ward im Herbste von der Nachricht, der Czar wolle seine Gemahlin persönlich nach Ita¬ lien begleiten nicht wenig überrascht. Das Heiratsproject war bereits vor zwei Jahren, seit der Anwesenheit des Grafen Orloff, abgethan, und in der That hatten die kleinen Anspielungen und die Versuche den Faden wieder aufzunehmen, die einige diplomatische Damen in weiblichen Kreisen versuchten, keinen Erfolg; auch wußte man das russischer Seits so genau, daß der Czar auf der Heim¬ reise nach Palermo Wien umging, obgleich er nur wenige Meilen davon entfernt war. Nichtsdestoweniger soll das russische Cabinet auf eine Vermittlung von Nom aus gehofft haben. Der Czar ging mit dem Vornehmen, den polnischen Katholiken einige Conces¬ sionen zu machen, nach Italien und glaubte hierdurch den heiligen Stuhl für seine Sache zu gewinnen. Aber ein böses Prinzip bleibt niemals ungerochen, und jahrelanges Unrecht ist nicht mit einer Handbewegung zu verwischen. Ein Jncidenzpunkt dessen Niemand *) Bon keinem unserer gewöhnlichen Correspondenten. Grciizbvte», 155«. I. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/273>, abgerufen am 29.04.2024.