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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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i.
Aus Paris.

Alte Leier. -- Ein theurer Deputirter. -- Vertretene Stellvertreter. --
Die reine poa-,r". -- Leon Pillet's Ball. -- Louis Blanc und Ludwig
Buhl. -- Französische und deutsche Socialisten. -- Ein "rallirter" Le-
gitimist. -- Theaterconcessioncn. -- Alex. Dumas. --

Hundert gegen Eins wette ich, Ihre Leser wissen mir mehr
Dank, wenn ich vom Theater, Bällen und Soireen erzähle, als von
den Tagessatzungen, von dem Leben und Fahrten unserer Deputirten-
und Pairskammer. Ein Correspondent soll geistreich sein, soll Neues
erzählen; aber offen gestanden, wäre ich so geistvoll um über unsere
jetzige Politik Neues sagen zu können -- dann schriebe ich keine
Correspondenzen für deutsche Blätter. Sie haben ja alle die Speeches
gelesen, welche Guizot, Thiers, Toqueville, Bacrot, Ledru Rollin
und wie die Nednergötter des Julifrankreichs alle heißen, dieser Tage
von der Tribune herab gehalten haben; haben Sie nur einen Span,
die Hälfte von einem Zündhölzchenkopf, ein Viertheil eines Funkens
Neues darin gefunden? Ist dies nicht Alles, Alles schon voriges
Jahr, vorvoriges Jahr gesagt worden? Und was ein Minister mit
80M0 Franken jährlichen Gehaltes nicht vermag, das soll ein Cor-
respondent für fünfzehn, zwanzig, dreißig, fünfzig Thaler pr. Bogen?
Man muß vor Allem hübsch gerecht sein -- wo nichts ist, da hat
auch ein Redacteur sein Recht verloren. Sehen Sie, ich habe diese
Woche recht eifrig sämmtliche Kammerverhandlungen durchgelesen,
ich habe an diesem verteufelten Miniaturdruck meine Augen mehr
verdorben als der schönste Liebesblick einer deutschen Redaction mit
je vergüten kann. Dießmal willst du den Grenzboten etwas recht
Pikantes, Frisches zusammenstellen -- dachte ich mir. Aber ich will


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i.
Aus Paris.

Alte Leier. — Ein theurer Deputirter. — Vertretene Stellvertreter. —
Die reine poa-,r«. — Leon Pillet's Ball. — Louis Blanc und Ludwig
Buhl. — Französische und deutsche Socialisten. — Ein „rallirter" Le-
gitimist. — Theaterconcessioncn. — Alex. Dumas. —

Hundert gegen Eins wette ich, Ihre Leser wissen mir mehr
Dank, wenn ich vom Theater, Bällen und Soireen erzähle, als von
den Tagessatzungen, von dem Leben und Fahrten unserer Deputirten-
und Pairskammer. Ein Correspondent soll geistreich sein, soll Neues
erzählen; aber offen gestanden, wäre ich so geistvoll um über unsere
jetzige Politik Neues sagen zu können — dann schriebe ich keine
Correspondenzen für deutsche Blätter. Sie haben ja alle die Speeches
gelesen, welche Guizot, Thiers, Toqueville, Bacrot, Ledru Rollin
und wie die Nednergötter des Julifrankreichs alle heißen, dieser Tage
von der Tribune herab gehalten haben; haben Sie nur einen Span,
die Hälfte von einem Zündhölzchenkopf, ein Viertheil eines Funkens
Neues darin gefunden? Ist dies nicht Alles, Alles schon voriges
Jahr, vorvoriges Jahr gesagt worden? Und was ein Minister mit
80M0 Franken jährlichen Gehaltes nicht vermag, das soll ein Cor-
respondent für fünfzehn, zwanzig, dreißig, fünfzig Thaler pr. Bogen?
Man muß vor Allem hübsch gerecht sein — wo nichts ist, da hat
auch ein Redacteur sein Recht verloren. Sehen Sie, ich habe diese
Woche recht eifrig sämmtliche Kammerverhandlungen durchgelesen,
ich habe an diesem verteufelten Miniaturdruck meine Augen mehr
verdorben als der schönste Liebesblick einer deutschen Redaction mit
je vergüten kann. Dießmal willst du den Grenzboten etwas recht
Pikantes, Frisches zusammenstellen — dachte ich mir. Aber ich will


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[0277] T a g e b u et). i. Aus Paris. Alte Leier. — Ein theurer Deputirter. — Vertretene Stellvertreter. — Die reine poa-,r«. — Leon Pillet's Ball. — Louis Blanc und Ludwig Buhl. — Französische und deutsche Socialisten. — Ein „rallirter" Le- gitimist. — Theaterconcessioncn. — Alex. Dumas. — Hundert gegen Eins wette ich, Ihre Leser wissen mir mehr Dank, wenn ich vom Theater, Bällen und Soireen erzähle, als von den Tagessatzungen, von dem Leben und Fahrten unserer Deputirten- und Pairskammer. Ein Correspondent soll geistreich sein, soll Neues erzählen; aber offen gestanden, wäre ich so geistvoll um über unsere jetzige Politik Neues sagen zu können — dann schriebe ich keine Correspondenzen für deutsche Blätter. Sie haben ja alle die Speeches gelesen, welche Guizot, Thiers, Toqueville, Bacrot, Ledru Rollin und wie die Nednergötter des Julifrankreichs alle heißen, dieser Tage von der Tribune herab gehalten haben; haben Sie nur einen Span, die Hälfte von einem Zündhölzchenkopf, ein Viertheil eines Funkens Neues darin gefunden? Ist dies nicht Alles, Alles schon voriges Jahr, vorvoriges Jahr gesagt worden? Und was ein Minister mit 80M0 Franken jährlichen Gehaltes nicht vermag, das soll ein Cor- respondent für fünfzehn, zwanzig, dreißig, fünfzig Thaler pr. Bogen? Man muß vor Allem hübsch gerecht sein — wo nichts ist, da hat auch ein Redacteur sein Recht verloren. Sehen Sie, ich habe diese Woche recht eifrig sämmtliche Kammerverhandlungen durchgelesen, ich habe an diesem verteufelten Miniaturdruck meine Augen mehr verdorben als der schönste Liebesblick einer deutschen Redaction mit je vergüten kann. Dießmal willst du den Grenzboten etwas recht Pikantes, Frisches zusammenstellen — dachte ich mir. Aber ich will

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/277>, abgerufen am 29.04.2024.