Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

beugen sich die Frauen gern, und namentlich so gottesfürchtige
und fromme Beichtkinder! Der kurze Aufenthalt, den der von allen
diesen Dingen verstimmte Autocrat hier genommen, hat diesmal nicht
dazu beigetragen, ihm viel Sympathien zu gewinnen, mit Ausnahme
etwa bei seinem Regiments, dessen Officiere und Gemeine er, treu
seinem Systeme, reichlich decorirte und beschenkte. Im Uebrigen that
sich der Selbstherrscher keinen Zwang an, er beherrschte sich nicht
selbst und zeigte seinen Unmut!) offen. Wie Sie wissen, ist der
Kaiser spät Abends hier angekommen; er hatte den größten Theil
des Tages so zugebracht, daß er in der Dunkelheit in die Stadt
einfahren konnte. Unsere kaiserliche Familie, welche den hohen Rei¬
senden bereits seit zwei Tagen erwartete, war in dem Augenblicke
seiner Ankunft in i'Imo in der Hofburg versammelt. Alle Säle
waren glänzend erleuchtet, der Hof sämmtlich in großer Staatö-
Galla wartete mit dem Diner. Aber der Czar ließ sich entschul¬
digen, schlitzte Müdigkeit vor und legte sich schlafen. Am frühen
Morgen des anderen Tags -- irre ich nicht bereits um 8 Uhr --
überraschte der Czar die kaiserliche Familie mit einem Besuche.
Niemand hatte an eine solche Frühvisite gedacht; die Kaiserin war
in der Messe. Sämmtliche Glieder der kaiserlichen Familie ström¬
ten in freundlicher Hast herbei, und um 10 Uhr holte S. M. der
Kaiser den Czaren zu einer großen Revüe ab. Die Details hierü¬
ber sind Ihnen bekannt. Leider aber hatte diese Revue die un¬
glückliche Folge, daß unser ehrwürdiger und allverehrter Erzherzog
Karl sich dabei erkältete und in eine Krankheit verfiel, die alle Ge¬
müther für das Leben des greisen Helden zittern machte. Der
Czar soll sich ziemlich piquirt gezeigt haben, daß der Erzherzog
Palatin -- gleichfalls ein hochbejahrter Greis und der Erzherzog
Stephan -- nicht aus Prag und Pesth zu seinem Empfang her¬
bei geeilt seien. Noch mehre andere kleine Züge von Unmuth und
Gereiztheit erzählt die Stadtchronik, die aber zu sehr an UnHöflich¬
keit und Unklugheit gränzen, als daß wir sie von einem so voll¬
kommenen Cavalier und gewiegten Staatsmann wie Kaiser Niko¬
laus ist, glauben könnten. So viel aber ist gewiß, als der Czar
abreiste, athmete manche Brust wieder lebhafter auf.




beugen sich die Frauen gern, und namentlich so gottesfürchtige
und fromme Beichtkinder! Der kurze Aufenthalt, den der von allen
diesen Dingen verstimmte Autocrat hier genommen, hat diesmal nicht
dazu beigetragen, ihm viel Sympathien zu gewinnen, mit Ausnahme
etwa bei seinem Regiments, dessen Officiere und Gemeine er, treu
seinem Systeme, reichlich decorirte und beschenkte. Im Uebrigen that
sich der Selbstherrscher keinen Zwang an, er beherrschte sich nicht
selbst und zeigte seinen Unmut!) offen. Wie Sie wissen, ist der
Kaiser spät Abends hier angekommen; er hatte den größten Theil
des Tages so zugebracht, daß er in der Dunkelheit in die Stadt
einfahren konnte. Unsere kaiserliche Familie, welche den hohen Rei¬
senden bereits seit zwei Tagen erwartete, war in dem Augenblicke
seiner Ankunft in i'Imo in der Hofburg versammelt. Alle Säle
waren glänzend erleuchtet, der Hof sämmtlich in großer Staatö-
Galla wartete mit dem Diner. Aber der Czar ließ sich entschul¬
digen, schlitzte Müdigkeit vor und legte sich schlafen. Am frühen
Morgen des anderen Tags — irre ich nicht bereits um 8 Uhr —
überraschte der Czar die kaiserliche Familie mit einem Besuche.
Niemand hatte an eine solche Frühvisite gedacht; die Kaiserin war
in der Messe. Sämmtliche Glieder der kaiserlichen Familie ström¬
ten in freundlicher Hast herbei, und um 10 Uhr holte S. M. der
Kaiser den Czaren zu einer großen Revüe ab. Die Details hierü¬
ber sind Ihnen bekannt. Leider aber hatte diese Revue die un¬
glückliche Folge, daß unser ehrwürdiger und allverehrter Erzherzog
Karl sich dabei erkältete und in eine Krankheit verfiel, die alle Ge¬
müther für das Leben des greisen Helden zittern machte. Der
Czar soll sich ziemlich piquirt gezeigt haben, daß der Erzherzog
Palatin — gleichfalls ein hochbejahrter Greis und der Erzherzog
Stephan — nicht aus Prag und Pesth zu seinem Empfang her¬
bei geeilt seien. Noch mehre andere kleine Züge von Unmuth und
Gereiztheit erzählt die Stadtchronik, die aber zu sehr an UnHöflich¬
keit und Unklugheit gränzen, als daß wir sie von einem so voll¬
kommenen Cavalier und gewiegten Staatsmann wie Kaiser Niko¬
laus ist, glauben könnten. So viel aber ist gewiß, als der Czar
abreiste, athmete manche Brust wieder lebhafter auf.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182086"/>
          <p xml:id="ID_612" prev="#ID_611"> beugen sich die Frauen gern, und namentlich so gottesfürchtige<lb/>
und fromme Beichtkinder! Der kurze Aufenthalt, den der von allen<lb/>
diesen Dingen verstimmte Autocrat hier genommen, hat diesmal nicht<lb/>
dazu beigetragen, ihm viel Sympathien zu gewinnen, mit Ausnahme<lb/>
etwa bei seinem Regiments, dessen Officiere und Gemeine er, treu<lb/>
seinem Systeme, reichlich decorirte und beschenkte. Im Uebrigen that<lb/>
sich der Selbstherrscher keinen Zwang an, er beherrschte sich nicht<lb/>
selbst und zeigte seinen Unmut!) offen. Wie Sie wissen, ist der<lb/>
Kaiser spät Abends hier angekommen; er hatte den größten Theil<lb/>
des Tages so zugebracht, daß er in der Dunkelheit in die Stadt<lb/>
einfahren konnte. Unsere kaiserliche Familie, welche den hohen Rei¬<lb/>
senden bereits seit zwei Tagen erwartete, war in dem Augenblicke<lb/>
seiner Ankunft in i'Imo in der Hofburg versammelt. Alle Säle<lb/>
waren glänzend erleuchtet, der Hof sämmtlich in großer Staatö-<lb/>
Galla wartete mit dem Diner. Aber der Czar ließ sich entschul¬<lb/>
digen, schlitzte Müdigkeit vor und legte sich schlafen. Am frühen<lb/>
Morgen des anderen Tags &#x2014; irre ich nicht bereits um 8 Uhr &#x2014;<lb/>
überraschte der Czar die kaiserliche Familie mit einem Besuche.<lb/>
Niemand hatte an eine solche Frühvisite gedacht; die Kaiserin war<lb/>
in der Messe. Sämmtliche Glieder der kaiserlichen Familie ström¬<lb/>
ten in freundlicher Hast herbei, und um 10 Uhr holte S. M. der<lb/>
Kaiser den Czaren zu einer großen Revüe ab. Die Details hierü¬<lb/>
ber sind Ihnen bekannt. Leider aber hatte diese Revue die un¬<lb/>
glückliche Folge, daß unser ehrwürdiger und allverehrter Erzherzog<lb/>
Karl sich dabei erkältete und in eine Krankheit verfiel, die alle Ge¬<lb/>
müther für das Leben des greisen Helden zittern machte. Der<lb/>
Czar soll sich ziemlich piquirt gezeigt haben, daß der Erzherzog<lb/>
Palatin &#x2014; gleichfalls ein hochbejahrter Greis und der Erzherzog<lb/>
Stephan &#x2014; nicht aus Prag und Pesth zu seinem Empfang her¬<lb/>
bei geeilt seien. Noch mehre andere kleine Züge von Unmuth und<lb/>
Gereiztheit erzählt die Stadtchronik, die aber zu sehr an UnHöflich¬<lb/>
keit und Unklugheit gränzen, als daß wir sie von einem so voll¬<lb/>
kommenen Cavalier und gewiegten Staatsmann wie Kaiser Niko¬<lb/>
laus ist, glauben könnten. So viel aber ist gewiß, als der Czar<lb/>
abreiste, athmete manche Brust wieder lebhafter auf.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] beugen sich die Frauen gern, und namentlich so gottesfürchtige und fromme Beichtkinder! Der kurze Aufenthalt, den der von allen diesen Dingen verstimmte Autocrat hier genommen, hat diesmal nicht dazu beigetragen, ihm viel Sympathien zu gewinnen, mit Ausnahme etwa bei seinem Regiments, dessen Officiere und Gemeine er, treu seinem Systeme, reichlich decorirte und beschenkte. Im Uebrigen that sich der Selbstherrscher keinen Zwang an, er beherrschte sich nicht selbst und zeigte seinen Unmut!) offen. Wie Sie wissen, ist der Kaiser spät Abends hier angekommen; er hatte den größten Theil des Tages so zugebracht, daß er in der Dunkelheit in die Stadt einfahren konnte. Unsere kaiserliche Familie, welche den hohen Rei¬ senden bereits seit zwei Tagen erwartete, war in dem Augenblicke seiner Ankunft in i'Imo in der Hofburg versammelt. Alle Säle waren glänzend erleuchtet, der Hof sämmtlich in großer Staatö- Galla wartete mit dem Diner. Aber der Czar ließ sich entschul¬ digen, schlitzte Müdigkeit vor und legte sich schlafen. Am frühen Morgen des anderen Tags — irre ich nicht bereits um 8 Uhr — überraschte der Czar die kaiserliche Familie mit einem Besuche. Niemand hatte an eine solche Frühvisite gedacht; die Kaiserin war in der Messe. Sämmtliche Glieder der kaiserlichen Familie ström¬ ten in freundlicher Hast herbei, und um 10 Uhr holte S. M. der Kaiser den Czaren zu einer großen Revüe ab. Die Details hierü¬ ber sind Ihnen bekannt. Leider aber hatte diese Revue die un¬ glückliche Folge, daß unser ehrwürdiger und allverehrter Erzherzog Karl sich dabei erkältete und in eine Krankheit verfiel, die alle Ge¬ müther für das Leben des greisen Helden zittern machte. Der Czar soll sich ziemlich piquirt gezeigt haben, daß der Erzherzog Palatin — gleichfalls ein hochbejahrter Greis und der Erzherzog Stephan — nicht aus Prag und Pesth zu seinem Empfang her¬ bei geeilt seien. Noch mehre andere kleine Züge von Unmuth und Gereiztheit erzählt die Stadtchronik, die aber zu sehr an UnHöflich¬ keit und Unklugheit gränzen, als daß wir sie von einem so voll¬ kommenen Cavalier und gewiegten Staatsmann wie Kaiser Niko¬ laus ist, glauben könnten. So viel aber ist gewiß, als der Czar abreiste, athmete manche Brust wieder lebhafter auf.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/276>, abgerufen am 15.05.2024.