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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Die Hinterlassenen sind drei Töchter und ein Sohn, der sich den
Studien gewidmet und sich bereits auch als Dichter in provinziellen
Kreisen hervorgethan hat. Merkwürdig waren die Schicksale der Spek-
bacher'schen Familie nach der Unterdrückung des Aufstandes, als der
Feind im Lande gebot und seine Hascher die Anführer aufsuchten.
Speckbacher lag in Kuhmist eingesperrt, bis er Gelegenheit fand nach
Steiermark zu entfliehen und nach Wien zu eilen. Der Kapuziner
Hospioger, der noch jetzt in Wien lebt, war auf einen Kirchthurm im
Glockenstuhl versteckt, und als das Dorf von feindlichen Soldaten
wimmelte, rettete er sich gar in dem Bauch der Glocke selbst,
wo er, an den Schwengel festgebunden, mehre Tage in au¬
genscheinlicher Todesgefahr schwebte. Bei dieser Gelegenheit kann
ich nicht unterlassen eine Anecdote zu erzählen, die aus der
Zeit herstammt, wo Nordtvrol unter baierischer Hohheit stand
und der jetzige König Ludwig als Kronprinz in Insbruck seinen Wohn¬
sitz aufgeschlagen hatte. Ich habe sie aus verläßlichen Mund und
finde sie höchst charakteristisch für die unverbrüchliche Treue und die
feste Zuversicht des Tyroler Volkes in den Tagen der Unterjochung.
Der Kronprinz, der es sich natürlich sehr angelegen sein ließ die Volks¬
gunst zu gewinnen, nahm häusig an den Vergnügungen der Bürger
Theil, namentlich fand er sich fleißig auf der städtischen Schießstätte
ein, wo er mit den Bürgern um die Wette schoß und sich in trauli¬
chem Gespräch ergoß. Einst sagte er zu einem der anwesenden Bür¬
ger im scherzenden Ton, indem er auf die aber dem Schießhaus flat¬
ternden baierischen Fahnen zeigte: Nicht wahr, die baierischen Farben
sind doch auch gut und nehmen sich dabei recht stattlich aus? Mir
gefallen sie wohl auch, erwiederte der Angeredete der im Herzen gut
österreichisch gesinnt war, aber nur in so fern, als das Blau mit der
Zeit immer schwarz und das Weiß gelb zu werden pflegt.


IV
A,"S Col" am Rhein.

Winterphysiognomie der Stadt. -- Musikalische Kräfte. -- Das niederrheinische
Musikfest. -- Das vlämische Sängerfest. -- Die Thcaterconcessio". -- Car-
nevalstreibcn.

Die Erde ist verrückt in ihren Angeln, denn während die Fran¬
zosen in Afrika erfrieren, im Schneegestöber umkommen, Italiens
Schönen zu den br-lciccini ihre Zuflucht nehmen müssen, und selbst
Andalusiens feurige Töchter nicht ohne Krosvrillos ausdauern können,
weht bei uns milde Frühlingsluft. In unsern Gärten fängt schon
Alles an, lcnzeslustig zu keimen und zu treiben, und Schreiber dieses
hat schon vor einigen Tagen rheinischen Kräuter-Nektar, sogenannten
Maiwein, gebraut von frischen Kräutern, die im Freien gewachsen.


Die Hinterlassenen sind drei Töchter und ein Sohn, der sich den
Studien gewidmet und sich bereits auch als Dichter in provinziellen
Kreisen hervorgethan hat. Merkwürdig waren die Schicksale der Spek-
bacher'schen Familie nach der Unterdrückung des Aufstandes, als der
Feind im Lande gebot und seine Hascher die Anführer aufsuchten.
Speckbacher lag in Kuhmist eingesperrt, bis er Gelegenheit fand nach
Steiermark zu entfliehen und nach Wien zu eilen. Der Kapuziner
Hospioger, der noch jetzt in Wien lebt, war auf einen Kirchthurm im
Glockenstuhl versteckt, und als das Dorf von feindlichen Soldaten
wimmelte, rettete er sich gar in dem Bauch der Glocke selbst,
wo er, an den Schwengel festgebunden, mehre Tage in au¬
genscheinlicher Todesgefahr schwebte. Bei dieser Gelegenheit kann
ich nicht unterlassen eine Anecdote zu erzählen, die aus der
Zeit herstammt, wo Nordtvrol unter baierischer Hohheit stand
und der jetzige König Ludwig als Kronprinz in Insbruck seinen Wohn¬
sitz aufgeschlagen hatte. Ich habe sie aus verläßlichen Mund und
finde sie höchst charakteristisch für die unverbrüchliche Treue und die
feste Zuversicht des Tyroler Volkes in den Tagen der Unterjochung.
Der Kronprinz, der es sich natürlich sehr angelegen sein ließ die Volks¬
gunst zu gewinnen, nahm häusig an den Vergnügungen der Bürger
Theil, namentlich fand er sich fleißig auf der städtischen Schießstätte
ein, wo er mit den Bürgern um die Wette schoß und sich in trauli¬
chem Gespräch ergoß. Einst sagte er zu einem der anwesenden Bür¬
ger im scherzenden Ton, indem er auf die aber dem Schießhaus flat¬
ternden baierischen Fahnen zeigte: Nicht wahr, die baierischen Farben
sind doch auch gut und nehmen sich dabei recht stattlich aus? Mir
gefallen sie wohl auch, erwiederte der Angeredete der im Herzen gut
österreichisch gesinnt war, aber nur in so fern, als das Blau mit der
Zeit immer schwarz und das Weiß gelb zu werden pflegt.


IV
A,»S Col» am Rhein.

Winterphysiognomie der Stadt. — Musikalische Kräfte. — Das niederrheinische
Musikfest. — Das vlämische Sängerfest. — Die Thcaterconcessio». — Car-
nevalstreibcn.

Die Erde ist verrückt in ihren Angeln, denn während die Fran¬
zosen in Afrika erfrieren, im Schneegestöber umkommen, Italiens
Schönen zu den br-lciccini ihre Zuflucht nehmen müssen, und selbst
Andalusiens feurige Töchter nicht ohne Krosvrillos ausdauern können,
weht bei uns milde Frühlingsluft. In unsern Gärten fängt schon
Alles an, lcnzeslustig zu keimen und zu treiben, und Schreiber dieses
hat schon vor einigen Tagen rheinischen Kräuter-Nektar, sogenannten
Maiwein, gebraut von frischen Kräutern, die im Freien gewachsen.


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[0335] Die Hinterlassenen sind drei Töchter und ein Sohn, der sich den Studien gewidmet und sich bereits auch als Dichter in provinziellen Kreisen hervorgethan hat. Merkwürdig waren die Schicksale der Spek- bacher'schen Familie nach der Unterdrückung des Aufstandes, als der Feind im Lande gebot und seine Hascher die Anführer aufsuchten. Speckbacher lag in Kuhmist eingesperrt, bis er Gelegenheit fand nach Steiermark zu entfliehen und nach Wien zu eilen. Der Kapuziner Hospioger, der noch jetzt in Wien lebt, war auf einen Kirchthurm im Glockenstuhl versteckt, und als das Dorf von feindlichen Soldaten wimmelte, rettete er sich gar in dem Bauch der Glocke selbst, wo er, an den Schwengel festgebunden, mehre Tage in au¬ genscheinlicher Todesgefahr schwebte. Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht unterlassen eine Anecdote zu erzählen, die aus der Zeit herstammt, wo Nordtvrol unter baierischer Hohheit stand und der jetzige König Ludwig als Kronprinz in Insbruck seinen Wohn¬ sitz aufgeschlagen hatte. Ich habe sie aus verläßlichen Mund und finde sie höchst charakteristisch für die unverbrüchliche Treue und die feste Zuversicht des Tyroler Volkes in den Tagen der Unterjochung. Der Kronprinz, der es sich natürlich sehr angelegen sein ließ die Volks¬ gunst zu gewinnen, nahm häusig an den Vergnügungen der Bürger Theil, namentlich fand er sich fleißig auf der städtischen Schießstätte ein, wo er mit den Bürgern um die Wette schoß und sich in trauli¬ chem Gespräch ergoß. Einst sagte er zu einem der anwesenden Bür¬ ger im scherzenden Ton, indem er auf die aber dem Schießhaus flat¬ ternden baierischen Fahnen zeigte: Nicht wahr, die baierischen Farben sind doch auch gut und nehmen sich dabei recht stattlich aus? Mir gefallen sie wohl auch, erwiederte der Angeredete der im Herzen gut österreichisch gesinnt war, aber nur in so fern, als das Blau mit der Zeit immer schwarz und das Weiß gelb zu werden pflegt. IV A,»S Col» am Rhein. Winterphysiognomie der Stadt. — Musikalische Kräfte. — Das niederrheinische Musikfest. — Das vlämische Sängerfest. — Die Thcaterconcessio». — Car- nevalstreibcn. Die Erde ist verrückt in ihren Angeln, denn während die Fran¬ zosen in Afrika erfrieren, im Schneegestöber umkommen, Italiens Schönen zu den br-lciccini ihre Zuflucht nehmen müssen, und selbst Andalusiens feurige Töchter nicht ohne Krosvrillos ausdauern können, weht bei uns milde Frühlingsluft. In unsern Gärten fängt schon Alles an, lcnzeslustig zu keimen und zu treiben, und Schreiber dieses hat schon vor einigen Tagen rheinischen Kräuter-Nektar, sogenannten Maiwein, gebraut von frischen Kräutern, die im Freien gewachsen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/335>, abgerufen am 29.04.2024.