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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Sogar Maikäfer schwärmen, im Felde blüht der Raps, und der Rhein
macht sich so batzig breit, wie wir es sonst an dem Titular-Freiherr"
nur im Sommer und beim Eisgänge gewohnt sind. In zwei Mo¬
naten hat er schon zweimal dem rheinabwärts gelegenen Stadttheile
seinen eben nicht angenehmen Besuch abgestattet, und noch jetzt ist
die ganze Rheinseite der Stadt überschwemmt. Wir haben noch gar
keinen Winter gehabt,') und wüßten'eigentlich nicht, mit welcher Jah¬
reszeit wir es für den Augenblick zu schassen haben, wenn uns die
sogenannten Wintergesellschaften, Concerte, Theater, der Carneval, und
vor Allem die unter den geringeren Classen herrschende Noth nicht
an den Winter erinnerten. -- Für gewisse Classen, als da sind junge
hoffnungsvolle Lieutenants, Auscultatoren und Referendare, einzelne
Handelsvolontäre und die Auserwählten unter den jüngeren Commis,
ist die Wintersaison bis Carneval die Zeit der angestrengtesten Thä¬
tigkeit; denn was müssen da nicht Visiten gemacht, wie viel muß
da getanzt, schön gethan, gegessen und getrunken werden, indem jede
Woche einen oder zwei tanzende Thees bringt. Einen Adel, welcher,
wie in anderen Städten, den Ton angäbe, hat Cöln nicht; es sind
bei uns die Kaufleute und einige der ersten Beamten, welche die
"Gesellschaft" machen. Daß sich die Geldaristokraten in äußerer ge¬
diegener Pracht, in Pomp und Glanz einander zu überbieten suchen,
ist ganz natürlich. Der in diesen Zirkeln herrschende Ton ist aber
ein recht angenehmer, ungezwungener; man fühlt die Luft französischer
Etikette wehen, welche die in anderen Handels- und Fabrikstädten
nicht seltenen, sich dummstolz blähenden Anmaßungen des steif gewor¬
denen Geldsacks bei uns nicht aufkommen laßt, indem sich diese Symp¬
tome unserer materiellen Zeit nicht mit dem Grundcharakter
des echten Rheinländers in Einklang bringen lassen. Bei uns fühlt
der Mensch als Mensch, selbst dem Geldsack gegenüber, noch seinen
Werth, und wird auch nach demselben -- mag es zuweilen nur bloße
Form sein -- geschätzt. Unsere Matadore sind meist eingeborne Cölner
deren herzlicher Charakter, deren aufrichtige Gemüthlichkeit sich nicht
leicht ertödten laßt; wie hoch auch die Renten steigen, sie sind und
bleiben Cölner, und die neuen Ansiedler suchen sich auch mit dem
besten Erfolge in dies herkömmliche Wesen zu schicken. -- Neben den
Privatgesellschaften müssen wir Concerte und Theater als einer Stadt
zweiten Ranges nothwendige Winter-Staffage anführen. Alle Virtuo¬
sen, wie sie auch nur Namen haben, mögen aber nur umwenden,
winkt ihnen von ferne der Domkrahn entgegen, denn bei uns ist kein
Heil zu holen. Nicht als wenn hier kein Sinn für Musik wäre;
das lassen die Cölner nicht auf sich kommen. Wir haben einen stad-



*) Es wird sich das inzwischen wohl auch in Cöln, wie hier in Leipzig
Anm. d. Correct. geändert haben. .

Sogar Maikäfer schwärmen, im Felde blüht der Raps, und der Rhein
macht sich so batzig breit, wie wir es sonst an dem Titular-Freiherr»
nur im Sommer und beim Eisgänge gewohnt sind. In zwei Mo¬
naten hat er schon zweimal dem rheinabwärts gelegenen Stadttheile
seinen eben nicht angenehmen Besuch abgestattet, und noch jetzt ist
die ganze Rheinseite der Stadt überschwemmt. Wir haben noch gar
keinen Winter gehabt,') und wüßten'eigentlich nicht, mit welcher Jah¬
reszeit wir es für den Augenblick zu schassen haben, wenn uns die
sogenannten Wintergesellschaften, Concerte, Theater, der Carneval, und
vor Allem die unter den geringeren Classen herrschende Noth nicht
an den Winter erinnerten. — Für gewisse Classen, als da sind junge
hoffnungsvolle Lieutenants, Auscultatoren und Referendare, einzelne
Handelsvolontäre und die Auserwählten unter den jüngeren Commis,
ist die Wintersaison bis Carneval die Zeit der angestrengtesten Thä¬
tigkeit; denn was müssen da nicht Visiten gemacht, wie viel muß
da getanzt, schön gethan, gegessen und getrunken werden, indem jede
Woche einen oder zwei tanzende Thees bringt. Einen Adel, welcher,
wie in anderen Städten, den Ton angäbe, hat Cöln nicht; es sind
bei uns die Kaufleute und einige der ersten Beamten, welche die
„Gesellschaft" machen. Daß sich die Geldaristokraten in äußerer ge¬
diegener Pracht, in Pomp und Glanz einander zu überbieten suchen,
ist ganz natürlich. Der in diesen Zirkeln herrschende Ton ist aber
ein recht angenehmer, ungezwungener; man fühlt die Luft französischer
Etikette wehen, welche die in anderen Handels- und Fabrikstädten
nicht seltenen, sich dummstolz blähenden Anmaßungen des steif gewor¬
denen Geldsacks bei uns nicht aufkommen laßt, indem sich diese Symp¬
tome unserer materiellen Zeit nicht mit dem Grundcharakter
des echten Rheinländers in Einklang bringen lassen. Bei uns fühlt
der Mensch als Mensch, selbst dem Geldsack gegenüber, noch seinen
Werth, und wird auch nach demselben — mag es zuweilen nur bloße
Form sein — geschätzt. Unsere Matadore sind meist eingeborne Cölner
deren herzlicher Charakter, deren aufrichtige Gemüthlichkeit sich nicht
leicht ertödten laßt; wie hoch auch die Renten steigen, sie sind und
bleiben Cölner, und die neuen Ansiedler suchen sich auch mit dem
besten Erfolge in dies herkömmliche Wesen zu schicken. — Neben den
Privatgesellschaften müssen wir Concerte und Theater als einer Stadt
zweiten Ranges nothwendige Winter-Staffage anführen. Alle Virtuo¬
sen, wie sie auch nur Namen haben, mögen aber nur umwenden,
winkt ihnen von ferne der Domkrahn entgegen, denn bei uns ist kein
Heil zu holen. Nicht als wenn hier kein Sinn für Musik wäre;
das lassen die Cölner nicht auf sich kommen. Wir haben einen stad-



*) Es wird sich das inzwischen wohl auch in Cöln, wie hier in Leipzig
Anm. d. Correct. geändert haben. .
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[0336] Sogar Maikäfer schwärmen, im Felde blüht der Raps, und der Rhein macht sich so batzig breit, wie wir es sonst an dem Titular-Freiherr» nur im Sommer und beim Eisgänge gewohnt sind. In zwei Mo¬ naten hat er schon zweimal dem rheinabwärts gelegenen Stadttheile seinen eben nicht angenehmen Besuch abgestattet, und noch jetzt ist die ganze Rheinseite der Stadt überschwemmt. Wir haben noch gar keinen Winter gehabt,') und wüßten'eigentlich nicht, mit welcher Jah¬ reszeit wir es für den Augenblick zu schassen haben, wenn uns die sogenannten Wintergesellschaften, Concerte, Theater, der Carneval, und vor Allem die unter den geringeren Classen herrschende Noth nicht an den Winter erinnerten. — Für gewisse Classen, als da sind junge hoffnungsvolle Lieutenants, Auscultatoren und Referendare, einzelne Handelsvolontäre und die Auserwählten unter den jüngeren Commis, ist die Wintersaison bis Carneval die Zeit der angestrengtesten Thä¬ tigkeit; denn was müssen da nicht Visiten gemacht, wie viel muß da getanzt, schön gethan, gegessen und getrunken werden, indem jede Woche einen oder zwei tanzende Thees bringt. Einen Adel, welcher, wie in anderen Städten, den Ton angäbe, hat Cöln nicht; es sind bei uns die Kaufleute und einige der ersten Beamten, welche die „Gesellschaft" machen. Daß sich die Geldaristokraten in äußerer ge¬ diegener Pracht, in Pomp und Glanz einander zu überbieten suchen, ist ganz natürlich. Der in diesen Zirkeln herrschende Ton ist aber ein recht angenehmer, ungezwungener; man fühlt die Luft französischer Etikette wehen, welche die in anderen Handels- und Fabrikstädten nicht seltenen, sich dummstolz blähenden Anmaßungen des steif gewor¬ denen Geldsacks bei uns nicht aufkommen laßt, indem sich diese Symp¬ tome unserer materiellen Zeit nicht mit dem Grundcharakter des echten Rheinländers in Einklang bringen lassen. Bei uns fühlt der Mensch als Mensch, selbst dem Geldsack gegenüber, noch seinen Werth, und wird auch nach demselben — mag es zuweilen nur bloße Form sein — geschätzt. Unsere Matadore sind meist eingeborne Cölner deren herzlicher Charakter, deren aufrichtige Gemüthlichkeit sich nicht leicht ertödten laßt; wie hoch auch die Renten steigen, sie sind und bleiben Cölner, und die neuen Ansiedler suchen sich auch mit dem besten Erfolge in dies herkömmliche Wesen zu schicken. — Neben den Privatgesellschaften müssen wir Concerte und Theater als einer Stadt zweiten Ranges nothwendige Winter-Staffage anführen. Alle Virtuo¬ sen, wie sie auch nur Namen haben, mögen aber nur umwenden, winkt ihnen von ferne der Domkrahn entgegen, denn bei uns ist kein Heil zu holen. Nicht als wenn hier kein Sinn für Musik wäre; das lassen die Cölner nicht auf sich kommen. Wir haben einen stad- *) Es wird sich das inzwischen wohl auch in Cöln, wie hier in Leipzig Anm. d. Correct. geändert haben. .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/336>, abgerufen am 15.05.2024.