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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Polen und das Hans Czartorysk".



Im Hotel Lambert zu Paris ist jährlich Polenball, da geht
es rauschend und glänzend her. Goldgestickte Uniformen franzö¬
sischer Officiere, Starosten in sarmatischer Nationaltracht, mit ver¬
witterten Zügen, aber stolz blitzenden Augen, schwarze Fracks und
juwelenstrahlende Damen bewegen sich bunt durch einander, lä¬
chelnd mit der Grazie, hüpfend mit der sanguinischen Lustigkeit alt¬
polnischen Adels- und Hoflebens. Man sollte meinen, der Herr
des Hauses sei nur auf Besuch in Paris, habe nur, der Abwechs¬
lung wegen, seine Residenz in Warschau verlassen. "Der König
nüzt in Moskau!" sagt Platen. Aber noch hat Polen einen Ge¬
genkönig in Paris, der zwar nicht selber tanzt, der arme, aber der
sich huldvoll freut, wenn bei ihm getanzt wird. Seht ihr den al¬
ten Mann, vor dem sich Alles, wie vor einer gekrönten Majestät
verneigt? Den Verbannten, der von seinen Schicksalsgenossen sich
König tituliren läßt? Es ist der sechsundsiebenzigjährige Fürst
Czartoryski; dieser Greis mit der leidenden Miene, mit der schwa¬
chen, wehmüthigen Stimme, der hohen, schwankenden und magern
Gestalt, die ihm das Ansehen eines gebeugten Schilfes giebt, das
ist der König von Polen, das ist der Fürst der Verbannung. Gibt
es ein treffenderes Bild für die ritterliche Majestät eines untergegan¬
genen Volkes, dessen Schatten nur noch im modernen Babylon
umgeht und in den Nebeln der Themse? Man mag lächeln über
das phantastische Spiel, über das Gepräge nichtssagender Huldi-


Grcnzbotcn, Is"". I. 4Z
Polen und das Hans Czartorysk».



Im Hotel Lambert zu Paris ist jährlich Polenball, da geht
es rauschend und glänzend her. Goldgestickte Uniformen franzö¬
sischer Officiere, Starosten in sarmatischer Nationaltracht, mit ver¬
witterten Zügen, aber stolz blitzenden Augen, schwarze Fracks und
juwelenstrahlende Damen bewegen sich bunt durch einander, lä¬
chelnd mit der Grazie, hüpfend mit der sanguinischen Lustigkeit alt¬
polnischen Adels- und Hoflebens. Man sollte meinen, der Herr
des Hauses sei nur auf Besuch in Paris, habe nur, der Abwechs¬
lung wegen, seine Residenz in Warschau verlassen. „Der König
nüzt in Moskau!" sagt Platen. Aber noch hat Polen einen Ge¬
genkönig in Paris, der zwar nicht selber tanzt, der arme, aber der
sich huldvoll freut, wenn bei ihm getanzt wird. Seht ihr den al¬
ten Mann, vor dem sich Alles, wie vor einer gekrönten Majestät
verneigt? Den Verbannten, der von seinen Schicksalsgenossen sich
König tituliren läßt? Es ist der sechsundsiebenzigjährige Fürst
Czartoryski; dieser Greis mit der leidenden Miene, mit der schwa¬
chen, wehmüthigen Stimme, der hohen, schwankenden und magern
Gestalt, die ihm das Ansehen eines gebeugten Schilfes giebt, das
ist der König von Polen, das ist der Fürst der Verbannung. Gibt
es ein treffenderes Bild für die ritterliche Majestät eines untergegan¬
genen Volkes, dessen Schatten nur noch im modernen Babylon
umgeht und in den Nebeln der Themse? Man mag lächeln über
das phantastische Spiel, über das Gepräge nichtssagender Huldi-


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[0345] Polen und das Hans Czartorysk». Im Hotel Lambert zu Paris ist jährlich Polenball, da geht es rauschend und glänzend her. Goldgestickte Uniformen franzö¬ sischer Officiere, Starosten in sarmatischer Nationaltracht, mit ver¬ witterten Zügen, aber stolz blitzenden Augen, schwarze Fracks und juwelenstrahlende Damen bewegen sich bunt durch einander, lä¬ chelnd mit der Grazie, hüpfend mit der sanguinischen Lustigkeit alt¬ polnischen Adels- und Hoflebens. Man sollte meinen, der Herr des Hauses sei nur auf Besuch in Paris, habe nur, der Abwechs¬ lung wegen, seine Residenz in Warschau verlassen. „Der König nüzt in Moskau!" sagt Platen. Aber noch hat Polen einen Ge¬ genkönig in Paris, der zwar nicht selber tanzt, der arme, aber der sich huldvoll freut, wenn bei ihm getanzt wird. Seht ihr den al¬ ten Mann, vor dem sich Alles, wie vor einer gekrönten Majestät verneigt? Den Verbannten, der von seinen Schicksalsgenossen sich König tituliren läßt? Es ist der sechsundsiebenzigjährige Fürst Czartoryski; dieser Greis mit der leidenden Miene, mit der schwa¬ chen, wehmüthigen Stimme, der hohen, schwankenden und magern Gestalt, die ihm das Ansehen eines gebeugten Schilfes giebt, das ist der König von Polen, das ist der Fürst der Verbannung. Gibt es ein treffenderes Bild für die ritterliche Majestät eines untergegan¬ genen Volkes, dessen Schatten nur noch im modernen Babylon umgeht und in den Nebeln der Themse? Man mag lächeln über das phantastische Spiel, über das Gepräge nichtssagender Huldi- Grcnzbotcn, Is««. I. 4Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/345>, abgerufen am 29.04.2024.