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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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trieben- Vorsicht, die sie bei aller Hast anwenden müssen, um nicht
in verbotene Gleise zu gerathen, schon dies macht, daß sie, über Stock
und Stein rumpelnd, bald hier und bald dort stolpern und anstoßen.
Die Scheere des politischen Censors hängt zu drohend über ihrem
Haupt, als daß sie Zeit hatten, an die Sonde des grammatikalischen
Censors zu denken. Also, die Sprachmeisterei war nicht ungegrünoct.
Nur hatten wir gewünscht, daß sie ein wenig auch in höhere Regio¬
nen sich verstiegen hatte. Was sind alle unbefugten Beiwörter, alle
berauschten Superlative und alle unruhköpsigen Jnterjcctionen gegen
die Ausländerei/ die absolutistische Willkür und die cgyptische Dunkel¬
heit in unserem offiziellen Deutsch? Alle Sünden der Zeitungspresse
sind wahre Mücken gegen den großen Elephanten, der in Gesetzbüchern,
Polizei-, Kanzlei- und Cabinctserlassen unsere schöne Muttersprache
mit Füßen tritt. Als glänzendes Beispiel aus neuester Zeit stehe hier
eine Periode, welche die Ehre hat, von einem deutschen Minister ver¬
saßt zu sein, und die wir zufallig in einer Erklärung des ehrwürdi¬
gen E. M. Arndt (in der Augsburger Allgemeinen Zeitung) ange¬
führt fanden. Sie stammt aus den "Jahrbüchern für preußische Ge¬
setzgebung". Man höre: "Einen in der That mehr als lächerlichen
Beweis der Unreife des Nachdenkens des Verfassers gibt derselbe, in¬
dem er die Behauptung, daß die über die auf einem unter den in
Beschlag genommenen Papieren befindlichen Zettel enthaltenen Worte
""Ein Paar Erccutionen und die Sache hat ein Ende. Wenn ein
Prediger erschossen wird, hat die ganze Sache ein Ende"" gegebene
Erklärung, daß sie eine Abschrift der Bemerkungen seien, die der Kö¬
nig Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1813 am Rande deS ihm vor¬
gelegten Entwurfs der Landsturmsordnung geschrieben habe, blindlings
als Wahrheit hinschreibt." -- O du, die du, der du/das du! Wer
diese Periode, in der ein Heuwagen dreimal umwenden kann, nach
einmaligem Durchlesen verstanden hat, dem Votiren wir den Nußknak-
kerorden erster Classe. Da ist freilich nichts Flunkriges und Franzö-
selndcs zu bemerken. Aber muß man denn gezwungen sein, über ei¬
nen Satz, mehr als sein Inhalt werth ist, sich den Kopf zu zerbre¬
chen, wenn er würdig und ehrbar deutsch sein soll? In solchem, und
noch viel, viel ärgeren Styl werden bei uns Gesetze gegeben und dem
Volke seine Rechtszustände -- "erklärt"; gar nicht zu reden von der
juristischen Terminologie, für die der gemeine Mann nicht genug Ad-
vocaten und Fremdwörterbücher hat. Ware es nicht billig und an¬
ständig, daß man da oben, wo es jedem Glückswunsch gegegenüber
nationale Ausreden gibt, wenigstens so national wäre, ein bischen
besser deutsch zu reden.




Verlag von Fr.Ludw. Herbig. Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

trieben- Vorsicht, die sie bei aller Hast anwenden müssen, um nicht
in verbotene Gleise zu gerathen, schon dies macht, daß sie, über Stock
und Stein rumpelnd, bald hier und bald dort stolpern und anstoßen.
Die Scheere des politischen Censors hängt zu drohend über ihrem
Haupt, als daß sie Zeit hatten, an die Sonde des grammatikalischen
Censors zu denken. Also, die Sprachmeisterei war nicht ungegrünoct.
Nur hatten wir gewünscht, daß sie ein wenig auch in höhere Regio¬
nen sich verstiegen hatte. Was sind alle unbefugten Beiwörter, alle
berauschten Superlative und alle unruhköpsigen Jnterjcctionen gegen
die Ausländerei/ die absolutistische Willkür und die cgyptische Dunkel¬
heit in unserem offiziellen Deutsch? Alle Sünden der Zeitungspresse
sind wahre Mücken gegen den großen Elephanten, der in Gesetzbüchern,
Polizei-, Kanzlei- und Cabinctserlassen unsere schöne Muttersprache
mit Füßen tritt. Als glänzendes Beispiel aus neuester Zeit stehe hier
eine Periode, welche die Ehre hat, von einem deutschen Minister ver¬
saßt zu sein, und die wir zufallig in einer Erklärung des ehrwürdi¬
gen E. M. Arndt (in der Augsburger Allgemeinen Zeitung) ange¬
führt fanden. Sie stammt aus den „Jahrbüchern für preußische Ge¬
setzgebung". Man höre: „Einen in der That mehr als lächerlichen
Beweis der Unreife des Nachdenkens des Verfassers gibt derselbe, in¬
dem er die Behauptung, daß die über die auf einem unter den in
Beschlag genommenen Papieren befindlichen Zettel enthaltenen Worte
„„Ein Paar Erccutionen und die Sache hat ein Ende. Wenn ein
Prediger erschossen wird, hat die ganze Sache ein Ende"" gegebene
Erklärung, daß sie eine Abschrift der Bemerkungen seien, die der Kö¬
nig Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1813 am Rande deS ihm vor¬
gelegten Entwurfs der Landsturmsordnung geschrieben habe, blindlings
als Wahrheit hinschreibt." — O du, die du, der du/das du! Wer
diese Periode, in der ein Heuwagen dreimal umwenden kann, nach
einmaligem Durchlesen verstanden hat, dem Votiren wir den Nußknak-
kerorden erster Classe. Da ist freilich nichts Flunkriges und Franzö-
selndcs zu bemerken. Aber muß man denn gezwungen sein, über ei¬
nen Satz, mehr als sein Inhalt werth ist, sich den Kopf zu zerbre¬
chen, wenn er würdig und ehrbar deutsch sein soll? In solchem, und
noch viel, viel ärgeren Styl werden bei uns Gesetze gegeben und dem
Volke seine Rechtszustände — „erklärt"; gar nicht zu reden von der
juristischen Terminologie, für die der gemeine Mann nicht genug Ad-
vocaten und Fremdwörterbücher hat. Ware es nicht billig und an¬
ständig, daß man da oben, wo es jedem Glückswunsch gegegenüber
nationale Ausreden gibt, wenigstens so national wäre, ein bischen
besser deutsch zu reden.




Verlag von Fr.Ludw. Herbig. Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/344>, abgerufen am 14.05.2024.