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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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vorderhand freilich nicht angemessen beschäftigt wird, so daß die Jah-
resbilanz in literarischer Hinsicht erschrecklich ausfallen müßte. Mai¬
land zahlt gegenwartig an 15<),<ZW Einwohner, die zahlreich anwe¬
senden Fremden und die ziemlich starke Garnison mit gerechnet, für
welche 196 Caffeehäuser ihre gastlichen Raume offen halten; 2W Mu-
siklehrer für die Propaganda der welschen Musik und des wel¬
schen Gesangs, welche förmliche Handelsartikel geworden sind, und
1<) Theater machen es den Leuten nicht schwer, ihren Kunstsinn zu
befriedigen; 24 Omnibusse, deren wohlthätige Existenz sich desto fühl¬
barer macht, wenn man von Wien kommt, das sich noch nicht zu
dieser für jede größere Stadt so nothwendigen Erfindung der moder¬
nen Gesellschaft emporgeschwungen hat, durchkreuzen die prachtvollen
Straßen nach allen Richtungen und verleihen der Stadt jenen regsa¬
men Anblick, jenes wimmelnde Geschäftsleben, das Mailand beinahe
als eine nordische Stadt erscheinen laßt.


IV.
Aus Linz.

Veränderte Zustände. -- Die neuen Statuten der Donaudümpfschiffsthrtsqe-
sellschatt. -- Musikverein und Liedertafel. -- General Schneider.

Durch die lebhaftere Dampfschiffahrt auf dem mächtigen Strome,
der die Mauern unserer freundlichen Stadt bespült, sind wir seit ei¬
nigen Jahren mehr und mehr in das größere Welltreiben hineinge¬
zogen worden und die Folgen dieser veränderten Stellung treten be¬
reits in den vielfältigsten Lebensbeziehungen und in zahllosen Aeußer-
lichkeiten an's Tageslicht. Die an allen Orten auftauchende Eleganz
verdrängt allgemach die plumpe, aber ehrenwerthe Solidität des alten
Bürgerthums, die Vergnügungssucht mit ihren rauschenden Freuden
tritt an die Stelle der stillen Häuslichkeit, und Handel und Wandel
gewinnt an Regsamkeit und Ausdehnung. Wer möchte in Abrede
stellen, daß diese Metamorphose, die besonders für denjenigen sehr
fühlbar ist, welcher schon in der früheren Periode ansässig gewesen
und alle Phasen der Umwandlung mitangesehen hat, manches Trefft
liebe und Löbliche aus den Sitten und Zustanden der Bewohner ver¬
tilgt hat! Allein der Verlust wird wieder aufgewogen durch den Auf¬
schwung der gesammten Lebensthätigkeit und die nothwendige Moder-
nisirung der verrotteten und eingerosteten Verhältnisse, welche mehr
oder minder sämmtlich des frischen Odems der Gegenwart und ihrer
Bestrebungen entbehrten und lediglich das dumpfe Resultat eines ab¬
gelaufenen Civilisationsprozesses waren.

Die Donau ist die Lebensader dieser Verjüngung, und nament¬
lich sind es die schnaubenden Boten der Dampfschissfahrtsgesellschaft,
welche die Zeitung der Welt, den Gedanken der modernen Gesellschaft


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vorderhand freilich nicht angemessen beschäftigt wird, so daß die Jah-
resbilanz in literarischer Hinsicht erschrecklich ausfallen müßte. Mai¬
land zahlt gegenwartig an 15<),<ZW Einwohner, die zahlreich anwe¬
senden Fremden und die ziemlich starke Garnison mit gerechnet, für
welche 196 Caffeehäuser ihre gastlichen Raume offen halten; 2W Mu-
siklehrer für die Propaganda der welschen Musik und des wel¬
schen Gesangs, welche förmliche Handelsartikel geworden sind, und
1<) Theater machen es den Leuten nicht schwer, ihren Kunstsinn zu
befriedigen; 24 Omnibusse, deren wohlthätige Existenz sich desto fühl¬
barer macht, wenn man von Wien kommt, das sich noch nicht zu
dieser für jede größere Stadt so nothwendigen Erfindung der moder¬
nen Gesellschaft emporgeschwungen hat, durchkreuzen die prachtvollen
Straßen nach allen Richtungen und verleihen der Stadt jenen regsa¬
men Anblick, jenes wimmelnde Geschäftsleben, das Mailand beinahe
als eine nordische Stadt erscheinen laßt.


IV.
Aus Linz.

Veränderte Zustände. — Die neuen Statuten der Donaudümpfschiffsthrtsqe-
sellschatt. — Musikverein und Liedertafel. — General Schneider.

Durch die lebhaftere Dampfschiffahrt auf dem mächtigen Strome,
der die Mauern unserer freundlichen Stadt bespült, sind wir seit ei¬
nigen Jahren mehr und mehr in das größere Welltreiben hineinge¬
zogen worden und die Folgen dieser veränderten Stellung treten be¬
reits in den vielfältigsten Lebensbeziehungen und in zahllosen Aeußer-
lichkeiten an's Tageslicht. Die an allen Orten auftauchende Eleganz
verdrängt allgemach die plumpe, aber ehrenwerthe Solidität des alten
Bürgerthums, die Vergnügungssucht mit ihren rauschenden Freuden
tritt an die Stelle der stillen Häuslichkeit, und Handel und Wandel
gewinnt an Regsamkeit und Ausdehnung. Wer möchte in Abrede
stellen, daß diese Metamorphose, die besonders für denjenigen sehr
fühlbar ist, welcher schon in der früheren Periode ansässig gewesen
und alle Phasen der Umwandlung mitangesehen hat, manches Trefft
liebe und Löbliche aus den Sitten und Zustanden der Bewohner ver¬
tilgt hat! Allein der Verlust wird wieder aufgewogen durch den Auf¬
schwung der gesammten Lebensthätigkeit und die nothwendige Moder-
nisirung der verrotteten und eingerosteten Verhältnisse, welche mehr
oder minder sämmtlich des frischen Odems der Gegenwart und ihrer
Bestrebungen entbehrten und lediglich das dumpfe Resultat eines ab¬
gelaufenen Civilisationsprozesses waren.

Die Donau ist die Lebensader dieser Verjüngung, und nament¬
lich sind es die schnaubenden Boten der Dampfschissfahrtsgesellschaft,
welche die Zeitung der Welt, den Gedanken der modernen Gesellschaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/385>, abgerufen am 29.04.2024.