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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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II.
Aus Wien.

Gen. Lieutenant von Tettenborn. -- Die Unruhen im Kirchenstaat. -- Die
päpstliche Eisenbahn. -- Das Stuck des Censors. -- Die Oper des Theater"
an der Wien. -- Sieg der Cavale über die Polizei.

Die hiesige Diplomatie hat durch den Tod des Generallieutenants
von Tettenborn, welcher seit dem Jahre 1818 als großherzoglich ba¬
discher Gesandter am kaiserlichen Hofe lebte, einen Verlust erlitten,
welcher freilich mehr in geselliger Beziehung, denn in staatlicher Hin¬
sicht empfunden werden dürfte, denn der Verewigte war ein seltenes
geselliges Talent, und sein Salon ein Sammelplatz der elegantesten
und geistreichsten Gesellschaft. Baron Tettenborn war am 19. Feb¬
ruar 1778 geboren und erreichte somit ein Alter von 67 Jahren.
Sein Vater stand als Oberjägermeister in Rastadt in kurfürstlich ba¬
dischen Diensten und war in früherer Zeit gleichfalls Militär gewesen.
Der Sohn kam, >3 Jahr alt, als Page an den kurmainzischen Hof
und mußte sich sammt dem ganzen, üppigen Hoflager bei der Annähe¬
rung der Franzosen im Jahre 1792 flüchten. Darauf wandte sich
der junge Tettenborn nach Waltershausen, wo er unter Bechsteins
Leitung den Forststudien oblag. So wollte es sein Vater, doch kaum
war dieser todt, so gab er dieses Studium auf und trat als Cadet
in die Reihen des österreichischen Heeres, in dem er die meisten bluti¬
gen Feldzüge des französischen Revolutionskrieges mit machte, bis zum
Jahre 1812, wo er, um gegen Frankreich kämpfen zu können, in
russische Dienste übertrat. Als Oberstlieutenant focht er in den hei¬
ßesten Schlachten dieses ewig denkwürdigen Winterfcldzuges gegen die
fremden Jnvasionsheere und war der erste, welcher an der Spitze
eines fliegenden Corps die Weichsel überschritt, welche Anfangs als
Haltpunkt bezeichnet wurde, und auf deutschen Boden die Fahne des
Erretters pflanzte. Nach dem ersiegten Weltfrieden trat Tettenborn
in die Dienste desjenigen Staates, dem er durch den Zufall der Ge¬
burt angehörte, und ging 1818 als badischer Gesandter nach Mün¬
chen, welchen diplomatischen Posten er aber schon im folgenden Jahre
mit der weit angenehmeren Stellung in Wien vertauschte.

Die wiederholten Gerüchte von dem Plane des jungen Italiens
zu einem neuen Handstreich in der Romagna haben unsere Regierung
zu einigen Vorsichtsmaßregeln bewogen, um die Ohnmacht der päpst¬
lichen Regierung zu stützen und das tolle Unternehmen im Keime zu
ersticken. Aus den Häfen von Tuche und Venedig sind einige Kriegs¬
fahrzeuge an die Küsten des Kirchenstaates abgesegelt, um daselbst
jede etwaige Landung von Corfu oder Malta aus mit Nachdruck ver¬
hindern zu können. > Die 17 nach Fiume verschlagenen italienischen
Insurgenten sollen g^ichfallS nicht an d'le päpstliche Regierung aus¬
geliefert werden, sondern Pässe nach Frankreich und England erhalten.
Dagegen erhielt der spanische General Prim, der von der Propaganda


II.
Aus Wien.

Gen. Lieutenant von Tettenborn. — Die Unruhen im Kirchenstaat. — Die
päpstliche Eisenbahn. — Das Stuck des Censors. — Die Oper des Theater«
an der Wien. — Sieg der Cavale über die Polizei.

Die hiesige Diplomatie hat durch den Tod des Generallieutenants
von Tettenborn, welcher seit dem Jahre 1818 als großherzoglich ba¬
discher Gesandter am kaiserlichen Hofe lebte, einen Verlust erlitten,
welcher freilich mehr in geselliger Beziehung, denn in staatlicher Hin¬
sicht empfunden werden dürfte, denn der Verewigte war ein seltenes
geselliges Talent, und sein Salon ein Sammelplatz der elegantesten
und geistreichsten Gesellschaft. Baron Tettenborn war am 19. Feb¬
ruar 1778 geboren und erreichte somit ein Alter von 67 Jahren.
Sein Vater stand als Oberjägermeister in Rastadt in kurfürstlich ba¬
dischen Diensten und war in früherer Zeit gleichfalls Militär gewesen.
Der Sohn kam, >3 Jahr alt, als Page an den kurmainzischen Hof
und mußte sich sammt dem ganzen, üppigen Hoflager bei der Annähe¬
rung der Franzosen im Jahre 1792 flüchten. Darauf wandte sich
der junge Tettenborn nach Waltershausen, wo er unter Bechsteins
Leitung den Forststudien oblag. So wollte es sein Vater, doch kaum
war dieser todt, so gab er dieses Studium auf und trat als Cadet
in die Reihen des österreichischen Heeres, in dem er die meisten bluti¬
gen Feldzüge des französischen Revolutionskrieges mit machte, bis zum
Jahre 1812, wo er, um gegen Frankreich kämpfen zu können, in
russische Dienste übertrat. Als Oberstlieutenant focht er in den hei¬
ßesten Schlachten dieses ewig denkwürdigen Winterfcldzuges gegen die
fremden Jnvasionsheere und war der erste, welcher an der Spitze
eines fliegenden Corps die Weichsel überschritt, welche Anfangs als
Haltpunkt bezeichnet wurde, und auf deutschen Boden die Fahne des
Erretters pflanzte. Nach dem ersiegten Weltfrieden trat Tettenborn
in die Dienste desjenigen Staates, dem er durch den Zufall der Ge¬
burt angehörte, und ging 1818 als badischer Gesandter nach Mün¬
chen, welchen diplomatischen Posten er aber schon im folgenden Jahre
mit der weit angenehmeren Stellung in Wien vertauschte.

Die wiederholten Gerüchte von dem Plane des jungen Italiens
zu einem neuen Handstreich in der Romagna haben unsere Regierung
zu einigen Vorsichtsmaßregeln bewogen, um die Ohnmacht der päpst¬
lichen Regierung zu stützen und das tolle Unternehmen im Keime zu
ersticken. Aus den Häfen von Tuche und Venedig sind einige Kriegs¬
fahrzeuge an die Küsten des Kirchenstaates abgesegelt, um daselbst
jede etwaige Landung von Corfu oder Malta aus mit Nachdruck ver¬
hindern zu können. > Die 17 nach Fiume verschlagenen italienischen
Insurgenten sollen g^ichfallS nicht an d'le päpstliche Regierung aus¬
geliefert werden, sondern Pässe nach Frankreich und England erhalten.
Dagegen erhielt der spanische General Prim, der von der Propaganda


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/40>, abgerufen am 28.04.2024.