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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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erstere Partei war indessen die stärkere und der Schauspieler wurde
nach Beendigung seines gewiß nicht zu rechtfertigenden Gesanges bei
offener Scene lärmend hervorgerufen. Doch die Folgen waren min¬
der angenehm. Der hiesige preußische Gesandte, Herr von Hänlein,
dem selten hier ein so fetter Reclamationsbifsm zu Theil wird, ver¬
langte von unserm Senate die vollständigste Genugthuung. Der Se¬
nat soll gleich am nächsten Tage eine außerordentliche Sitzung gehalten
haben. Und was that man? Es wurde von Polizeiwegen beiden hiesigen
Bühnen die Aufführung von Robinsons Insel untersagt, ja noch mehr,
es wurde sämmtlichen hiesigen Blättern verboten, jener Pivce zu er¬
wähnen, oder sie kritisch zu besprechen. Eins unserer geachtetsten
Blätter wollte schreiben, es sei ihm nicht gestattet, über Robinsons
Insel eine Mittheilung zu machen -- auch dieser Satz wurde von
der Censur vernichtet. Schweigen, tiefstes Schweigen, wie man es
in solchen Dingen nur in Oesterreich oder Rußland kennt, soll den
scandalösen Vorfall und was nur daran einhüllen, während doch
wahrlich ein Bekanntwerden desselben in keiner Weise zu verhindern
war, und eine bessere Genugthuung für den gröblich beleidigten
Theil gewiß in einer strengen Würdigung der Sache von Seiten
der Presse -- die sicher erfolgt wäre -- gelegen hatte. Die Direction
des Stadtthcaters wurde,obwohl sie die Absicht des Schauspielers
durchaus nicht gekannt zu haben behauptet, in eine Strafe von 300
Mark verurtheilt, der Letztere aber wird über seine Unbesonnenheit
wahrend eines achttägigen Arrestes in einer unserer Wachen-- wo es
eben nicht die nobelste Gesellschaft giebt -- nachdenken können.


VI.
Aus Frankfurt am Main.

Die Bühne. -- Ueberreizung des Genusses und Ueberspannung der Kräfte.--
Die erste Sängerin. -- Eine Cabale. -- Concerte. -- Das Museum. -- Vor¬
träge. -- Speier's Lieder. -- Religiöse Mitstreiter. -- Verein der "Freunde
des Lichts". -- Eine Lutherstifttmg. -- Lutherftier.

Nach der gegenwärtigen Einrichtung wird unser Theater, welches
vordem auf Rechnung der Actionäre erploitirt wurde, wobei die Letz^
deren für ihre freien Logenplatze jährlich eine bedeutende Summe zu¬
zusetzen hatten) durch drei Unternehmer ausgebeutet, die, wie man
sagt, sehr gute Geschäfte machten. Auch muß man gestehen, daß im
Verhältniß der vorhandenen Kräfte viel geleistet wird und, wenigstens
bis vor einiger Zeit, mochte das Frankfurter Repertoire leicht eines
der reichhaltigsten in Deutschland sein. An ausgezeichneten Gästen
hat es außerdem nicht gefehlt; wir haben Pifchek, Jenny Lind,
Vieurtemps, die Schwestern Milanollo und andere Größenge-


erstere Partei war indessen die stärkere und der Schauspieler wurde
nach Beendigung seines gewiß nicht zu rechtfertigenden Gesanges bei
offener Scene lärmend hervorgerufen. Doch die Folgen waren min¬
der angenehm. Der hiesige preußische Gesandte, Herr von Hänlein,
dem selten hier ein so fetter Reclamationsbifsm zu Theil wird, ver¬
langte von unserm Senate die vollständigste Genugthuung. Der Se¬
nat soll gleich am nächsten Tage eine außerordentliche Sitzung gehalten
haben. Und was that man? Es wurde von Polizeiwegen beiden hiesigen
Bühnen die Aufführung von Robinsons Insel untersagt, ja noch mehr,
es wurde sämmtlichen hiesigen Blättern verboten, jener Pivce zu er¬
wähnen, oder sie kritisch zu besprechen. Eins unserer geachtetsten
Blätter wollte schreiben, es sei ihm nicht gestattet, über Robinsons
Insel eine Mittheilung zu machen — auch dieser Satz wurde von
der Censur vernichtet. Schweigen, tiefstes Schweigen, wie man es
in solchen Dingen nur in Oesterreich oder Rußland kennt, soll den
scandalösen Vorfall und was nur daran einhüllen, während doch
wahrlich ein Bekanntwerden desselben in keiner Weise zu verhindern
war, und eine bessere Genugthuung für den gröblich beleidigten
Theil gewiß in einer strengen Würdigung der Sache von Seiten
der Presse — die sicher erfolgt wäre — gelegen hatte. Die Direction
des Stadtthcaters wurde,obwohl sie die Absicht des Schauspielers
durchaus nicht gekannt zu haben behauptet, in eine Strafe von 300
Mark verurtheilt, der Letztere aber wird über seine Unbesonnenheit
wahrend eines achttägigen Arrestes in einer unserer Wachen— wo es
eben nicht die nobelste Gesellschaft giebt — nachdenken können.


VI.
Aus Frankfurt am Main.

Die Bühne. — Ueberreizung des Genusses und Ueberspannung der Kräfte.—
Die erste Sängerin. — Eine Cabale. — Concerte. — Das Museum. — Vor¬
träge. — Speier's Lieder. — Religiöse Mitstreiter. — Verein der „Freunde
des Lichts". — Eine Lutherstifttmg. — Lutherftier.

Nach der gegenwärtigen Einrichtung wird unser Theater, welches
vordem auf Rechnung der Actionäre erploitirt wurde, wobei die Letz^
deren für ihre freien Logenplatze jährlich eine bedeutende Summe zu¬
zusetzen hatten) durch drei Unternehmer ausgebeutet, die, wie man
sagt, sehr gute Geschäfte machten. Auch muß man gestehen, daß im
Verhältniß der vorhandenen Kräfte viel geleistet wird und, wenigstens
bis vor einiger Zeit, mochte das Frankfurter Repertoire leicht eines
der reichhaltigsten in Deutschland sein. An ausgezeichneten Gästen
hat es außerdem nicht gefehlt; wir haben Pifchek, Jenny Lind,
Vieurtemps, die Schwestern Milanollo und andere Größenge-


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[0426] erstere Partei war indessen die stärkere und der Schauspieler wurde nach Beendigung seines gewiß nicht zu rechtfertigenden Gesanges bei offener Scene lärmend hervorgerufen. Doch die Folgen waren min¬ der angenehm. Der hiesige preußische Gesandte, Herr von Hänlein, dem selten hier ein so fetter Reclamationsbifsm zu Theil wird, ver¬ langte von unserm Senate die vollständigste Genugthuung. Der Se¬ nat soll gleich am nächsten Tage eine außerordentliche Sitzung gehalten haben. Und was that man? Es wurde von Polizeiwegen beiden hiesigen Bühnen die Aufführung von Robinsons Insel untersagt, ja noch mehr, es wurde sämmtlichen hiesigen Blättern verboten, jener Pivce zu er¬ wähnen, oder sie kritisch zu besprechen. Eins unserer geachtetsten Blätter wollte schreiben, es sei ihm nicht gestattet, über Robinsons Insel eine Mittheilung zu machen — auch dieser Satz wurde von der Censur vernichtet. Schweigen, tiefstes Schweigen, wie man es in solchen Dingen nur in Oesterreich oder Rußland kennt, soll den scandalösen Vorfall und was nur daran einhüllen, während doch wahrlich ein Bekanntwerden desselben in keiner Weise zu verhindern war, und eine bessere Genugthuung für den gröblich beleidigten Theil gewiß in einer strengen Würdigung der Sache von Seiten der Presse — die sicher erfolgt wäre — gelegen hatte. Die Direction des Stadtthcaters wurde,obwohl sie die Absicht des Schauspielers durchaus nicht gekannt zu haben behauptet, in eine Strafe von 300 Mark verurtheilt, der Letztere aber wird über seine Unbesonnenheit wahrend eines achttägigen Arrestes in einer unserer Wachen— wo es eben nicht die nobelste Gesellschaft giebt — nachdenken können. VI. Aus Frankfurt am Main. Die Bühne. — Ueberreizung des Genusses und Ueberspannung der Kräfte.— Die erste Sängerin. — Eine Cabale. — Concerte. — Das Museum. — Vor¬ träge. — Speier's Lieder. — Religiöse Mitstreiter. — Verein der „Freunde des Lichts". — Eine Lutherstifttmg. — Lutherftier. Nach der gegenwärtigen Einrichtung wird unser Theater, welches vordem auf Rechnung der Actionäre erploitirt wurde, wobei die Letz^ deren für ihre freien Logenplatze jährlich eine bedeutende Summe zu¬ zusetzen hatten) durch drei Unternehmer ausgebeutet, die, wie man sagt, sehr gute Geschäfte machten. Auch muß man gestehen, daß im Verhältniß der vorhandenen Kräfte viel geleistet wird und, wenigstens bis vor einiger Zeit, mochte das Frankfurter Repertoire leicht eines der reichhaltigsten in Deutschland sein. An ausgezeichneten Gästen hat es außerdem nicht gefehlt; wir haben Pifchek, Jenny Lind, Vieurtemps, die Schwestern Milanollo und andere Größenge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/426>, abgerufen am 29.04.2024.