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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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lieber Ueberzeugung bona N<t" und vom Standpunkte reinen Kunstin-
teresses aus geschrieben. Später hieß es, daß an eine eigentliche Ver¬
schmelzung der Theater von Seiten der Herren Maurice und Schnei¬
der nicht gedacht worden, daß vielmehr die Leitung beider Bühnen
eine völlig getrennte, gänzlich von einander unabhängige sein sollte;
welche Angabe indessen mit andern Aeußerungen über entworfene Di-
rectionspläne im Widerspruche stand und daher hier auf sich beruhen
bleiben möge. -- Das Publicum aber verschlang mit seinem Rie¬
senmagen alles was ihm täglich an Artikeln über die große, wichtige
Theaterfrage zugeworfen ward, glaubte gestern Diesem und heute Je¬
nem, nickte jetzt beistimmend mit dem Kopfe und schüttelte ihn dann
verneinend, und aus dem grenzenlosen Wirrwar der Meinungen, aus
dem Tohuwawohu der Ansichten, die sämmtlich auf öffentlichem Zeitungs--
marke ihre Stimmen erhoben, wurde endlich, wie vorauszusehen war,
eine Indifferenz geboren, die nur üble Folgen haben konnte. So
wollte man, um das angebliche Deficit des Stadttheaterbudgcts zu
decken, um dem Pensionsfond einen Zufluß zu verschaffen, der tüch¬
tige Künstler an Hamburg fesseln könnte, eine Subscription zu
Stande bringen, deren Theilnehmer für v Mustervorstellungen (zwei
in der Oper, zwei im Schauspiel und zwei im Lustspiel) die Summe
von jährlich 30 Mark (12 Thalern) für 3 Jahre unterzeichnen soll¬
ten. Einflußreiche Leute interessirten sich für die Sache, die öffent¬
liche Theilnahme wurde, bei dem angeblichen Nothstande -- an den
ich übrigens nie recht geglaubt habe -- in Anspruch genommen, und
dennoch scheiterte sie, nachdem eine geringe Zahl von Unterschriften
auf circulirenden Bogen gesammelt worden.

Da ich einmal auf dem Theatergebiete bin, will ich noch eine
recht kuriose Geschichte erzählen, die sich vor einigen Tagen dort er¬
eignete. Herr Börnstein in Paris, welcher unser erstes Kunstinstitut
mit den Erzeugnissen seiner rastlos arbeitenden Uebersetzungsfabrik ver¬
sieht, hatte demselben auch die höchst unsinnige und zotenreiche Vau-
deville-Burleske "Robinsons Insel oder eine Constitution" geliefert.
Ohne alle Scrupel wurde dieses traurige Machwerk, dessen besserer Theil
politische Bonmots sind, die aber durchschnittlich mehr eine französische
als deutsche Beziehung haben, zur Darstellung gebracht und -- das
Publicum ergötzte sich weidlich an der unsaubern Pi^ce. Gegen den
Schluß hin wurde als Einlage -- Herrn Börnsteins Loyalität darf
bei Leibe nicht verdächtigt werden -- jene Jagdanekdote, die sich zwi¬
schen einer höchsten Person, einer nachsthohen und einem Oberjäger¬
meister vor Kurzem ereignet haben sollte, die sich später aber als baare
Erfindung auswies, von einem talentvollen und beliebten Mitgliede
der Bühne abgesungen. Noch während des Gesanges erhob sich ein
betäubender Tumult, theils aus Applaudissemerit und Bravoruf, theils
aus starkem -Zischen und sonstigen Oppositionslauten gebildet. Die


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lieber Ueberzeugung bona N<t« und vom Standpunkte reinen Kunstin-
teresses aus geschrieben. Später hieß es, daß an eine eigentliche Ver¬
schmelzung der Theater von Seiten der Herren Maurice und Schnei¬
der nicht gedacht worden, daß vielmehr die Leitung beider Bühnen
eine völlig getrennte, gänzlich von einander unabhängige sein sollte;
welche Angabe indessen mit andern Aeußerungen über entworfene Di-
rectionspläne im Widerspruche stand und daher hier auf sich beruhen
bleiben möge. — Das Publicum aber verschlang mit seinem Rie¬
senmagen alles was ihm täglich an Artikeln über die große, wichtige
Theaterfrage zugeworfen ward, glaubte gestern Diesem und heute Je¬
nem, nickte jetzt beistimmend mit dem Kopfe und schüttelte ihn dann
verneinend, und aus dem grenzenlosen Wirrwar der Meinungen, aus
dem Tohuwawohu der Ansichten, die sämmtlich auf öffentlichem Zeitungs--
marke ihre Stimmen erhoben, wurde endlich, wie vorauszusehen war,
eine Indifferenz geboren, die nur üble Folgen haben konnte. So
wollte man, um das angebliche Deficit des Stadttheaterbudgcts zu
decken, um dem Pensionsfond einen Zufluß zu verschaffen, der tüch¬
tige Künstler an Hamburg fesseln könnte, eine Subscription zu
Stande bringen, deren Theilnehmer für v Mustervorstellungen (zwei
in der Oper, zwei im Schauspiel und zwei im Lustspiel) die Summe
von jährlich 30 Mark (12 Thalern) für 3 Jahre unterzeichnen soll¬
ten. Einflußreiche Leute interessirten sich für die Sache, die öffent¬
liche Theilnahme wurde, bei dem angeblichen Nothstande — an den
ich übrigens nie recht geglaubt habe — in Anspruch genommen, und
dennoch scheiterte sie, nachdem eine geringe Zahl von Unterschriften
auf circulirenden Bogen gesammelt worden.

Da ich einmal auf dem Theatergebiete bin, will ich noch eine
recht kuriose Geschichte erzählen, die sich vor einigen Tagen dort er¬
eignete. Herr Börnstein in Paris, welcher unser erstes Kunstinstitut
mit den Erzeugnissen seiner rastlos arbeitenden Uebersetzungsfabrik ver¬
sieht, hatte demselben auch die höchst unsinnige und zotenreiche Vau-
deville-Burleske „Robinsons Insel oder eine Constitution" geliefert.
Ohne alle Scrupel wurde dieses traurige Machwerk, dessen besserer Theil
politische Bonmots sind, die aber durchschnittlich mehr eine französische
als deutsche Beziehung haben, zur Darstellung gebracht und — das
Publicum ergötzte sich weidlich an der unsaubern Pi^ce. Gegen den
Schluß hin wurde als Einlage — Herrn Börnsteins Loyalität darf
bei Leibe nicht verdächtigt werden — jene Jagdanekdote, die sich zwi¬
schen einer höchsten Person, einer nachsthohen und einem Oberjäger¬
meister vor Kurzem ereignet haben sollte, die sich später aber als baare
Erfindung auswies, von einem talentvollen und beliebten Mitgliede
der Bühne abgesungen. Noch während des Gesanges erhob sich ein
betäubender Tumult, theils aus Applaudissemerit und Bravoruf, theils
aus starkem -Zischen und sonstigen Oppositionslauten gebildet. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/425>, abgerufen am 15.05.2024.