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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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i.
Ungarische Zustände

Die Zeitungen werden es Ihnen bereits zur Genüge kund ge-
macht haben, daß die Qpposttionspartei allen Credit im Lande verloren
habe, und daß ihre noch vor Kurzem so strahlende Macht über das
Gemüth des Volkes zum bleichen Schatten herabgesunken sei, der weit
entfernt, der Regierung irgend eine Besorgniß einzuflößen, höchstens
noch geeignet wäre, tiefstes Mitleid zu erregen über die Vergänglich¬
keit alles Irdischen. Abgesehen davon, daß dieser moralische Zerfall
der oppositionellen Macht sehr übertrieben und ins Hochrothe gemalt
ist, so scheint uns überhaupt dieser endlose Jubel und die klingenden
Fanfaren der konservativen über ein plötzlich erlangtes Uebergewicht,
dessen Dauer ziemlich problematisch ist und von vielerlei Umstanden
abhängt, sehr kindisch und taktlos, denn es verräth die innere Angst
und den beklemmten, politischen Athem, womit die conservative Partei
bislang heimgesucht gewesen sein muß, um bei einer für sie günstigen
Wendung der Dinge mit einem Male in einen solchen tollen Freudenruf
auszubcechen, anstatt den Umschlag der Volksmeinung als das natürliche
Ergebniß der beobachteten Parteipolitik mit Ruhe und Befriedigung hin¬
zunehmen. Die Freudenbezeugungen der Conservativen verdanken ihren
Ursprung der Ueberraschung und nicht dem Gefühl des besonnenen Siegers,
der seine tapfern Anstrengungen endlich mit Erfolg gekrönt sieht; das
ist der Jubel eines Börsenspekulanten, der über Nacht durch irgend ein
Ungefähr zum Millionär geworden, aber nicht der sichere Stolz eines
gediegenen Geschäftsmannes, der das Gelingen jahrelang gehegter und
vorbereiteter Unternehmungen mit wohlgefälligem Lächeln und jenem
Ausdruck des Gesichtes überblickt, der zu sagen scheint: mein Plan
war gut.

Ich weiß wohl, daß die Conservativen ihren Sieg gleichfalls für
die Frucht ihrer politischen Klugheit ausgeben möchten, doch die Art
ihres Betragens widerspricht den Beweisführungen ihres Verstandes,
der sich abmüht, die Gunst des Zufalls und der Umstände als


Grenzboten, I. 64
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i.
Ungarische Zustände

Die Zeitungen werden es Ihnen bereits zur Genüge kund ge-
macht haben, daß die Qpposttionspartei allen Credit im Lande verloren
habe, und daß ihre noch vor Kurzem so strahlende Macht über das
Gemüth des Volkes zum bleichen Schatten herabgesunken sei, der weit
entfernt, der Regierung irgend eine Besorgniß einzuflößen, höchstens
noch geeignet wäre, tiefstes Mitleid zu erregen über die Vergänglich¬
keit alles Irdischen. Abgesehen davon, daß dieser moralische Zerfall
der oppositionellen Macht sehr übertrieben und ins Hochrothe gemalt
ist, so scheint uns überhaupt dieser endlose Jubel und die klingenden
Fanfaren der konservativen über ein plötzlich erlangtes Uebergewicht,
dessen Dauer ziemlich problematisch ist und von vielerlei Umstanden
abhängt, sehr kindisch und taktlos, denn es verräth die innere Angst
und den beklemmten, politischen Athem, womit die conservative Partei
bislang heimgesucht gewesen sein muß, um bei einer für sie günstigen
Wendung der Dinge mit einem Male in einen solchen tollen Freudenruf
auszubcechen, anstatt den Umschlag der Volksmeinung als das natürliche
Ergebniß der beobachteten Parteipolitik mit Ruhe und Befriedigung hin¬
zunehmen. Die Freudenbezeugungen der Conservativen verdanken ihren
Ursprung der Ueberraschung und nicht dem Gefühl des besonnenen Siegers,
der seine tapfern Anstrengungen endlich mit Erfolg gekrönt sieht; das
ist der Jubel eines Börsenspekulanten, der über Nacht durch irgend ein
Ungefähr zum Millionär geworden, aber nicht der sichere Stolz eines
gediegenen Geschäftsmannes, der das Gelingen jahrelang gehegter und
vorbereiteter Unternehmungen mit wohlgefälligem Lächeln und jenem
Ausdruck des Gesichtes überblickt, der zu sagen scheint: mein Plan
war gut.

Ich weiß wohl, daß die Conservativen ihren Sieg gleichfalls für
die Frucht ihrer politischen Klugheit ausgeben möchten, doch die Art
ihres Betragens widerspricht den Beweisführungen ihres Verstandes,
der sich abmüht, die Gunst des Zufalls und der Umstände als


Grenzboten, I. 64
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[0513] T a g e t> u eh. i. Ungarische Zustände Die Zeitungen werden es Ihnen bereits zur Genüge kund ge- macht haben, daß die Qpposttionspartei allen Credit im Lande verloren habe, und daß ihre noch vor Kurzem so strahlende Macht über das Gemüth des Volkes zum bleichen Schatten herabgesunken sei, der weit entfernt, der Regierung irgend eine Besorgniß einzuflößen, höchstens noch geeignet wäre, tiefstes Mitleid zu erregen über die Vergänglich¬ keit alles Irdischen. Abgesehen davon, daß dieser moralische Zerfall der oppositionellen Macht sehr übertrieben und ins Hochrothe gemalt ist, so scheint uns überhaupt dieser endlose Jubel und die klingenden Fanfaren der konservativen über ein plötzlich erlangtes Uebergewicht, dessen Dauer ziemlich problematisch ist und von vielerlei Umstanden abhängt, sehr kindisch und taktlos, denn es verräth die innere Angst und den beklemmten, politischen Athem, womit die conservative Partei bislang heimgesucht gewesen sein muß, um bei einer für sie günstigen Wendung der Dinge mit einem Male in einen solchen tollen Freudenruf auszubcechen, anstatt den Umschlag der Volksmeinung als das natürliche Ergebniß der beobachteten Parteipolitik mit Ruhe und Befriedigung hin¬ zunehmen. Die Freudenbezeugungen der Conservativen verdanken ihren Ursprung der Ueberraschung und nicht dem Gefühl des besonnenen Siegers, der seine tapfern Anstrengungen endlich mit Erfolg gekrönt sieht; das ist der Jubel eines Börsenspekulanten, der über Nacht durch irgend ein Ungefähr zum Millionär geworden, aber nicht der sichere Stolz eines gediegenen Geschäftsmannes, der das Gelingen jahrelang gehegter und vorbereiteter Unternehmungen mit wohlgefälligem Lächeln und jenem Ausdruck des Gesichtes überblickt, der zu sagen scheint: mein Plan war gut. Ich weiß wohl, daß die Conservativen ihren Sieg gleichfalls für die Frucht ihrer politischen Klugheit ausgeben möchten, doch die Art ihres Betragens widerspricht den Beweisführungen ihres Verstandes, der sich abmüht, die Gunst des Zufalls und der Umstände als Grenzboten, I. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/513>, abgerufen am 28.04.2024.