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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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das Wert ihrer tiefsinnigen Staatskunst erscheinen zu lassen. Beson¬
ders sind es die Neuerungen in der Administration durch Einführung
der Obergespannsverweser und die consecmente Stärkung der Erecutiv-
gewalt, welche als das Ergebniß tiefblickender Staatsklugheit gepriesen,
denen es allein zuzuschreiben sei, daß die konservativen wieder zur Ma¬
jorität geworden und daß das Ansehen der Regierung in der Meinung
der Nation so unendlich gestiegen ist. Ohne die Wichtigkeit der erwähn¬
ten Administrativreform irgendwie zu bezweifeln, oder selbst nur anzu¬
fechten, glaube ich dennoch, daß die Verstärkung der Exekutivgewalt
die wahre Meinung des Landes nicht einen Augenblick wesentlich um¬
zugestalten im Stande wäre, denn was müßte das für ein jämmerli¬
ches Volk sein, dessen politische Gesinnungsäußerung von der größeren
oder minderen Machtbekleidung eines Verwaltungsbeamten abhängig
ist. Nein, für so erbärmlich halte ich die adeligen Wähler der Eo-
mitate keineswegs, wenn ich auch gern oder ungern individuelle Aus¬
nahmen zugeben muß; die Gewalt der Administratoren und ihre Ba¬
jonette könnten höchstens die Möglichkeit der freien Abstimmung auf-
heben, würden im schlimmsten Falle das Leben der Verfassung auf
eine harte, aber vorübergehende Probe stellen, nicht aber aus Liberalen
Conservative zu machen vermögen.

Der Grund der unläugbaren Verwandlung der Parteikrafte wird
kaum in den äußerlichen Einflüssen zu suchen sein, die man von der
Institution der Obergespannsverweser herleiten möchte, sondern weit
eher aus einer inneren Stimmung, die in Folge der Begebenheiten
und des gegenwärtigen Entwicklungszustandes in Ungarn die Gemü¬
ther im Allgemeinen ergrissen und gewendet hat. Die bisherigen
Kämpfe im politischen Leben Ungarns sind lediglich um moralische
und intellektuelle Güter geführt worden, wobei die Oppositionspartei
dem Regierungsanhang gegenüber den unschätzbaren Vortheil besaß,
die Bedürfnisse der Nation, wenigstens der herrschenden Nation, zu
verfechten und zu vertreten, indeß die Regierung kaum in einer an¬
dern Stellung, als in der eines Angreifers und Verfassungsfeindes
erschien. Die Volksmeinung stand darum ohne Unterbrechung auf
Seiten der Opposition, in der sie den ritterlichen Schild aller Volks¬
freiheiten und der schwerbedrohten Nationalität erblickte und verehrte.
Diese Kämpfe scheinen nun vor der Hand abgeschlossen zu sein, indem
das Verlangte zum Theil gewahrt wurde, und die Richtung des Zeit¬
geistes keine einseitige Ausbildung der sogenannten höhern oder geisti¬
gen Interessen duldet, da der materielle Zustand des Landes eine har¬
monische Lösung der Besserungsaufgabe gar dringend verlangt. So
wie sich nun der Kampf auf das Schlachtfeld der materiellen Inter¬
essen zog, trat alsbald eine gänzlich veränderte Dynamik der Partei¬
kräfte ein, denn erstens waren die Parteiführer nicht eingeübt in der
Taktik dieses Terrains, das ganz andere Kenntnisse und Fähigkeiten in


das Wert ihrer tiefsinnigen Staatskunst erscheinen zu lassen. Beson¬
ders sind es die Neuerungen in der Administration durch Einführung
der Obergespannsverweser und die consecmente Stärkung der Erecutiv-
gewalt, welche als das Ergebniß tiefblickender Staatsklugheit gepriesen,
denen es allein zuzuschreiben sei, daß die konservativen wieder zur Ma¬
jorität geworden und daß das Ansehen der Regierung in der Meinung
der Nation so unendlich gestiegen ist. Ohne die Wichtigkeit der erwähn¬
ten Administrativreform irgendwie zu bezweifeln, oder selbst nur anzu¬
fechten, glaube ich dennoch, daß die Verstärkung der Exekutivgewalt
die wahre Meinung des Landes nicht einen Augenblick wesentlich um¬
zugestalten im Stande wäre, denn was müßte das für ein jämmerli¬
ches Volk sein, dessen politische Gesinnungsäußerung von der größeren
oder minderen Machtbekleidung eines Verwaltungsbeamten abhängig
ist. Nein, für so erbärmlich halte ich die adeligen Wähler der Eo-
mitate keineswegs, wenn ich auch gern oder ungern individuelle Aus¬
nahmen zugeben muß; die Gewalt der Administratoren und ihre Ba¬
jonette könnten höchstens die Möglichkeit der freien Abstimmung auf-
heben, würden im schlimmsten Falle das Leben der Verfassung auf
eine harte, aber vorübergehende Probe stellen, nicht aber aus Liberalen
Conservative zu machen vermögen.

Der Grund der unläugbaren Verwandlung der Parteikrafte wird
kaum in den äußerlichen Einflüssen zu suchen sein, die man von der
Institution der Obergespannsverweser herleiten möchte, sondern weit
eher aus einer inneren Stimmung, die in Folge der Begebenheiten
und des gegenwärtigen Entwicklungszustandes in Ungarn die Gemü¬
ther im Allgemeinen ergrissen und gewendet hat. Die bisherigen
Kämpfe im politischen Leben Ungarns sind lediglich um moralische
und intellektuelle Güter geführt worden, wobei die Oppositionspartei
dem Regierungsanhang gegenüber den unschätzbaren Vortheil besaß,
die Bedürfnisse der Nation, wenigstens der herrschenden Nation, zu
verfechten und zu vertreten, indeß die Regierung kaum in einer an¬
dern Stellung, als in der eines Angreifers und Verfassungsfeindes
erschien. Die Volksmeinung stand darum ohne Unterbrechung auf
Seiten der Opposition, in der sie den ritterlichen Schild aller Volks¬
freiheiten und der schwerbedrohten Nationalität erblickte und verehrte.
Diese Kämpfe scheinen nun vor der Hand abgeschlossen zu sein, indem
das Verlangte zum Theil gewahrt wurde, und die Richtung des Zeit¬
geistes keine einseitige Ausbildung der sogenannten höhern oder geisti¬
gen Interessen duldet, da der materielle Zustand des Landes eine har¬
monische Lösung der Besserungsaufgabe gar dringend verlangt. So
wie sich nun der Kampf auf das Schlachtfeld der materiellen Inter¬
essen zog, trat alsbald eine gänzlich veränderte Dynamik der Partei¬
kräfte ein, denn erstens waren die Parteiführer nicht eingeübt in der
Taktik dieses Terrains, das ganz andere Kenntnisse und Fähigkeiten in


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[0514] das Wert ihrer tiefsinnigen Staatskunst erscheinen zu lassen. Beson¬ ders sind es die Neuerungen in der Administration durch Einführung der Obergespannsverweser und die consecmente Stärkung der Erecutiv- gewalt, welche als das Ergebniß tiefblickender Staatsklugheit gepriesen, denen es allein zuzuschreiben sei, daß die konservativen wieder zur Ma¬ jorität geworden und daß das Ansehen der Regierung in der Meinung der Nation so unendlich gestiegen ist. Ohne die Wichtigkeit der erwähn¬ ten Administrativreform irgendwie zu bezweifeln, oder selbst nur anzu¬ fechten, glaube ich dennoch, daß die Verstärkung der Exekutivgewalt die wahre Meinung des Landes nicht einen Augenblick wesentlich um¬ zugestalten im Stande wäre, denn was müßte das für ein jämmerli¬ ches Volk sein, dessen politische Gesinnungsäußerung von der größeren oder minderen Machtbekleidung eines Verwaltungsbeamten abhängig ist. Nein, für so erbärmlich halte ich die adeligen Wähler der Eo- mitate keineswegs, wenn ich auch gern oder ungern individuelle Aus¬ nahmen zugeben muß; die Gewalt der Administratoren und ihre Ba¬ jonette könnten höchstens die Möglichkeit der freien Abstimmung auf- heben, würden im schlimmsten Falle das Leben der Verfassung auf eine harte, aber vorübergehende Probe stellen, nicht aber aus Liberalen Conservative zu machen vermögen. Der Grund der unläugbaren Verwandlung der Parteikrafte wird kaum in den äußerlichen Einflüssen zu suchen sein, die man von der Institution der Obergespannsverweser herleiten möchte, sondern weit eher aus einer inneren Stimmung, die in Folge der Begebenheiten und des gegenwärtigen Entwicklungszustandes in Ungarn die Gemü¬ ther im Allgemeinen ergrissen und gewendet hat. Die bisherigen Kämpfe im politischen Leben Ungarns sind lediglich um moralische und intellektuelle Güter geführt worden, wobei die Oppositionspartei dem Regierungsanhang gegenüber den unschätzbaren Vortheil besaß, die Bedürfnisse der Nation, wenigstens der herrschenden Nation, zu verfechten und zu vertreten, indeß die Regierung kaum in einer an¬ dern Stellung, als in der eines Angreifers und Verfassungsfeindes erschien. Die Volksmeinung stand darum ohne Unterbrechung auf Seiten der Opposition, in der sie den ritterlichen Schild aller Volks¬ freiheiten und der schwerbedrohten Nationalität erblickte und verehrte. Diese Kämpfe scheinen nun vor der Hand abgeschlossen zu sein, indem das Verlangte zum Theil gewahrt wurde, und die Richtung des Zeit¬ geistes keine einseitige Ausbildung der sogenannten höhern oder geisti¬ gen Interessen duldet, da der materielle Zustand des Landes eine har¬ monische Lösung der Besserungsaufgabe gar dringend verlangt. So wie sich nun der Kampf auf das Schlachtfeld der materiellen Inter¬ essen zog, trat alsbald eine gänzlich veränderte Dynamik der Partei¬ kräfte ein, denn erstens waren die Parteiführer nicht eingeübt in der Taktik dieses Terrains, das ganz andere Kenntnisse und Fähigkeiten in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/514>, abgerufen am 14.05.2024.