Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Von der Gesellschaft Leipzigs.



Leipzig kannte bis zum Jahre 1830 gesellschaftlich keinen Blut¬
adel und keine eigentliche Bureauaristokratie. Geld und Geist wa¬
ren in seiner Gesellschaft die einzig mächtigen Elemente, und dazu
trat noch an die Stelle des WappenadclS der Adel der Patricier-
schast, welcher auch 'die städtischen Aemter besetzte. Leipzig zeigte
sonach in seinem politischen und gesellschaftlichen Charakter nicht
wenig Ähnlichkeit mit den freien Reichs- und Hansestädten. Leip¬
zigs Bürgermeister regierte mit seinem Ministerium, dem Magistrat,
als Vicekönig, der Rector der Universität genoß fürstlicher Ehren
und herrschte in seinem Bereiche mit seinem Staatsrathe, dem aka¬
demischen Senat, fast unumschränkt. Aber die politischen Umgestal¬
tungen des Landes brachten auch mancherlei Veränderungen in der
Stellung beider Korporationen. Ein Kreisdirector ward General-
gouvemeur, der Bürgermeister und der Rector somit mediatisirt.
Die königlichen Beamten der verschiedenen Behörden Leipzigs tra¬
ten in ihren Forderungen nach gesellschaftlicher Geltung neben die
städtischen und akademischen Würdenträger, die Officiere der Garni¬
son gelangten in die bisher nur vom schwarzen Frack decorirten Ge¬
sellschaftszimmer, und die junge Kaufmannschaft, wie die Ausstu-
dirten und Studenten mußten mit ihnen das Reich der jungen Män¬
nerwelt theilen. Es hat auch mehrere Jahre gedauert, ehe diese
neuen Gesellschaftselemente sich wirklich einzubürgern vermochten.
Leipzig hat für den Geburtsadel niemals eine Vorliebe gezeigt und
sogar immer eine kleine Abneigung gegen die gesellschaftliche Aner¬
kennung des Militairs gehabt. Jede Uniform in den Salons er-


Von der Gesellschaft Leipzigs.



Leipzig kannte bis zum Jahre 1830 gesellschaftlich keinen Blut¬
adel und keine eigentliche Bureauaristokratie. Geld und Geist wa¬
ren in seiner Gesellschaft die einzig mächtigen Elemente, und dazu
trat noch an die Stelle des WappenadclS der Adel der Patricier-
schast, welcher auch 'die städtischen Aemter besetzte. Leipzig zeigte
sonach in seinem politischen und gesellschaftlichen Charakter nicht
wenig Ähnlichkeit mit den freien Reichs- und Hansestädten. Leip¬
zigs Bürgermeister regierte mit seinem Ministerium, dem Magistrat,
als Vicekönig, der Rector der Universität genoß fürstlicher Ehren
und herrschte in seinem Bereiche mit seinem Staatsrathe, dem aka¬
demischen Senat, fast unumschränkt. Aber die politischen Umgestal¬
tungen des Landes brachten auch mancherlei Veränderungen in der
Stellung beider Korporationen. Ein Kreisdirector ward General-
gouvemeur, der Bürgermeister und der Rector somit mediatisirt.
Die königlichen Beamten der verschiedenen Behörden Leipzigs tra¬
ten in ihren Forderungen nach gesellschaftlicher Geltung neben die
städtischen und akademischen Würdenträger, die Officiere der Garni¬
son gelangten in die bisher nur vom schwarzen Frack decorirten Ge¬
sellschaftszimmer, und die junge Kaufmannschaft, wie die Ausstu-
dirten und Studenten mußten mit ihnen das Reich der jungen Män¬
nerwelt theilen. Es hat auch mehrere Jahre gedauert, ehe diese
neuen Gesellschaftselemente sich wirklich einzubürgern vermochten.
Leipzig hat für den Geburtsadel niemals eine Vorliebe gezeigt und
sogar immer eine kleine Abneigung gegen die gesellschaftliche Aner¬
kennung des Militairs gehabt. Jede Uniform in den Salons er-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0542" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182352"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Von der Gesellschaft Leipzigs.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1298" next="#ID_1299"> Leipzig kannte bis zum Jahre 1830 gesellschaftlich keinen Blut¬<lb/>
adel und keine eigentliche Bureauaristokratie. Geld und Geist wa¬<lb/>
ren in seiner Gesellschaft die einzig mächtigen Elemente, und dazu<lb/>
trat noch an die Stelle des WappenadclS der Adel der Patricier-<lb/>
schast, welcher auch 'die städtischen Aemter besetzte. Leipzig zeigte<lb/>
sonach in seinem politischen und gesellschaftlichen Charakter nicht<lb/>
wenig Ähnlichkeit mit den freien Reichs- und Hansestädten. Leip¬<lb/>
zigs Bürgermeister regierte mit seinem Ministerium, dem Magistrat,<lb/>
als Vicekönig, der Rector der Universität genoß fürstlicher Ehren<lb/>
und herrschte in seinem Bereiche mit seinem Staatsrathe, dem aka¬<lb/>
demischen Senat, fast unumschränkt. Aber die politischen Umgestal¬<lb/>
tungen des Landes brachten auch mancherlei Veränderungen in der<lb/>
Stellung beider Korporationen. Ein Kreisdirector ward General-<lb/>
gouvemeur, der Bürgermeister und der Rector somit mediatisirt.<lb/>
Die königlichen Beamten der verschiedenen Behörden Leipzigs tra¬<lb/>
ten in ihren Forderungen nach gesellschaftlicher Geltung neben die<lb/>
städtischen und akademischen Würdenträger, die Officiere der Garni¬<lb/>
son gelangten in die bisher nur vom schwarzen Frack decorirten Ge¬<lb/>
sellschaftszimmer, und die junge Kaufmannschaft, wie die Ausstu-<lb/>
dirten und Studenten mußten mit ihnen das Reich der jungen Män¬<lb/>
nerwelt theilen. Es hat auch mehrere Jahre gedauert, ehe diese<lb/>
neuen Gesellschaftselemente sich wirklich einzubürgern vermochten.<lb/>
Leipzig hat für den Geburtsadel niemals eine Vorliebe gezeigt und<lb/>
sogar immer eine kleine Abneigung gegen die gesellschaftliche Aner¬<lb/>
kennung des Militairs gehabt. Jede Uniform in den Salons er-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0542] Von der Gesellschaft Leipzigs. Leipzig kannte bis zum Jahre 1830 gesellschaftlich keinen Blut¬ adel und keine eigentliche Bureauaristokratie. Geld und Geist wa¬ ren in seiner Gesellschaft die einzig mächtigen Elemente, und dazu trat noch an die Stelle des WappenadclS der Adel der Patricier- schast, welcher auch 'die städtischen Aemter besetzte. Leipzig zeigte sonach in seinem politischen und gesellschaftlichen Charakter nicht wenig Ähnlichkeit mit den freien Reichs- und Hansestädten. Leip¬ zigs Bürgermeister regierte mit seinem Ministerium, dem Magistrat, als Vicekönig, der Rector der Universität genoß fürstlicher Ehren und herrschte in seinem Bereiche mit seinem Staatsrathe, dem aka¬ demischen Senat, fast unumschränkt. Aber die politischen Umgestal¬ tungen des Landes brachten auch mancherlei Veränderungen in der Stellung beider Korporationen. Ein Kreisdirector ward General- gouvemeur, der Bürgermeister und der Rector somit mediatisirt. Die königlichen Beamten der verschiedenen Behörden Leipzigs tra¬ ten in ihren Forderungen nach gesellschaftlicher Geltung neben die städtischen und akademischen Würdenträger, die Officiere der Garni¬ son gelangten in die bisher nur vom schwarzen Frack decorirten Ge¬ sellschaftszimmer, und die junge Kaufmannschaft, wie die Ausstu- dirten und Studenten mußten mit ihnen das Reich der jungen Män¬ nerwelt theilen. Es hat auch mehrere Jahre gedauert, ehe diese neuen Gesellschaftselemente sich wirklich einzubürgern vermochten. Leipzig hat für den Geburtsadel niemals eine Vorliebe gezeigt und sogar immer eine kleine Abneigung gegen die gesellschaftliche Aner¬ kennung des Militairs gehabt. Jede Uniform in den Salons er-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/542
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/542>, abgerufen am 28.04.2024.