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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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innerte aber nunmehr an das verloren gegangene Recht der Stadt,
wonach keine Militairabtheilung sich innerhalb derselben aufhalten
durfte, jeder adelige Name mahnte an eine Bedrohniß der Hoch-
geltung städtischer Patricierschaft, jeder Beamtentitel rief die Be¬
schränkung der Macht der städtischen Behörden ins Gedächtniß zu¬
rück. Diese neuen Elemente vermochten jedoch den Charakter der
Gesellschaft, besonders während des ersten Jahrzehend ihres Leipzi¬
ger Lebens, nur sehr wenig zu ändern; ja, ihr geselliger Einfluß
war immerhin äußerst beschränkt und unwichtig. Die Art der hie¬
sigen Geselligkeit läßt den Einzelnen ohne bedeutende pecuniäreMit-
tel überhaupt nicht leicht zu einem entscheidenden Einfluß gelangen,
und dazu waren jene neuen Gcsellschastsmitglieder im Allgemeinen
eben nicht wohlhabend genug. Vielleicht mochte auch selbst die Art
der hiesigen Geselligkeit einer wirklich tiefern Einwirkung derselben
<ins deren Charakter entgegenstehen. Man ist nämlich im Allge¬
meinen gar nicht darauf eingerichtet, Gäste zufällig und uneingela-
den bei sich zu sehen. Es giebt nach Verhältniß nur wenige Häu¬
ser, welche einzelne Tage der Woche festhalten, an denen die Bekann¬
ten sicher sind, die Famtlie daheim und zur Ausnahme von Gästen
geneigt zu finden. Es sind schon ziemlich genaue Beziehungen zu
einem Hause nöthig, ehe man derartige Besuche machen darf, ohne
fürchten zu müssen, störend in die Lebensgewohnheit der Familie
einzugreifen. Ja selbst bis in die Gegenwart herein ist diese
das gesellige Leben beschränkende Gewohnheit fast durchgängig
herrschend geblieben. Mag dies nun zum großen Theil auch da¬
nn begründet sein, daß besonders die jungen Männer der Gesellschaft
in Leipzig zu häufig wechseln, daß alljährlich darunter viele neu
auftauchen und eben so viele verschwinden, daß die vornehmeren
Familien durch Leipzigs Weltverkehr überhaupt zu geselligen Rück¬
sichten gegen zu Viele veranlaßt werden, um neben der Erfüllung
dieser auch noch Zeit und Lust zu einem engern gesellschaftlichen Le ¬
ben zu finden, so erklärt sich doch auch andrerseits diese Erscheinung
dadurch, daß von der Gesellschaft selbst zu große Ansprüche gemacht
werden. Diese Ansprüche haben sich n den letzten Jahren sogar
vielfach gesteigert, und vorzüglich darum mag es zur Gewohnheit
geworden sein, die gesellschaftlichen Pflichten mit einigen großen und
prachtvollen Fcstins abzuthun, übrigens aber auch selbst die nähern


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innerte aber nunmehr an das verloren gegangene Recht der Stadt,
wonach keine Militairabtheilung sich innerhalb derselben aufhalten
durfte, jeder adelige Name mahnte an eine Bedrohniß der Hoch-
geltung städtischer Patricierschaft, jeder Beamtentitel rief die Be¬
schränkung der Macht der städtischen Behörden ins Gedächtniß zu¬
rück. Diese neuen Elemente vermochten jedoch den Charakter der
Gesellschaft, besonders während des ersten Jahrzehend ihres Leipzi¬
ger Lebens, nur sehr wenig zu ändern; ja, ihr geselliger Einfluß
war immerhin äußerst beschränkt und unwichtig. Die Art der hie¬
sigen Geselligkeit läßt den Einzelnen ohne bedeutende pecuniäreMit-
tel überhaupt nicht leicht zu einem entscheidenden Einfluß gelangen,
und dazu waren jene neuen Gcsellschastsmitglieder im Allgemeinen
eben nicht wohlhabend genug. Vielleicht mochte auch selbst die Art
der hiesigen Geselligkeit einer wirklich tiefern Einwirkung derselben
<ins deren Charakter entgegenstehen. Man ist nämlich im Allge¬
meinen gar nicht darauf eingerichtet, Gäste zufällig und uneingela-
den bei sich zu sehen. Es giebt nach Verhältniß nur wenige Häu¬
ser, welche einzelne Tage der Woche festhalten, an denen die Bekann¬
ten sicher sind, die Famtlie daheim und zur Ausnahme von Gästen
geneigt zu finden. Es sind schon ziemlich genaue Beziehungen zu
einem Hause nöthig, ehe man derartige Besuche machen darf, ohne
fürchten zu müssen, störend in die Lebensgewohnheit der Familie
einzugreifen. Ja selbst bis in die Gegenwart herein ist diese
das gesellige Leben beschränkende Gewohnheit fast durchgängig
herrschend geblieben. Mag dies nun zum großen Theil auch da¬
nn begründet sein, daß besonders die jungen Männer der Gesellschaft
in Leipzig zu häufig wechseln, daß alljährlich darunter viele neu
auftauchen und eben so viele verschwinden, daß die vornehmeren
Familien durch Leipzigs Weltverkehr überhaupt zu geselligen Rück¬
sichten gegen zu Viele veranlaßt werden, um neben der Erfüllung
dieser auch noch Zeit und Lust zu einem engern gesellschaftlichen Le ¬
ben zu finden, so erklärt sich doch auch andrerseits diese Erscheinung
dadurch, daß von der Gesellschaft selbst zu große Ansprüche gemacht
werden. Diese Ansprüche haben sich n den letzten Jahren sogar
vielfach gesteigert, und vorzüglich darum mag es zur Gewohnheit
geworden sein, die gesellschaftlichen Pflichten mit einigen großen und
prachtvollen Fcstins abzuthun, übrigens aber auch selbst die nähern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/543>, abgerufen am 14.05.2024.