Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die polnischen Ereignisse.

Eine Stimme aus Oesterreich.


Es ist ein großes Unglück, das dieser Tage Oesterreich heim¬
gesucht, und obschon es dem Allerschlimmsten entgangen und den
schwersten Schlag paart hat, so ist doch das Ereigniß und zumal
seine Nachwehen nicht minder ein großes Unglück, zum Theil ein ver¬
schuldetes, zum Theil aber auch ein unverschuldetes. Verschuldet als
Erbe der traurigen Politik des vorigen Jahrhunderts, die Oesterreich
zum Theilnehmer machte an dem grausamen Act der Theilung eines
edlen Landes, an der Zerstückelung einer Nationalität, welche durch
Jahrhunderte als Vormauer der Civilisation gegen die asiatische Bar¬
barei gedient hat. Aber auch unverschuldet, in so weit Oesterreich
bei den letzten Ereignissen den größten Theil der Zeche bezahlen
mußte, während die andern beiden unbetheiligten Staaten so ziem¬
lich durchgeschlüpft sind. In der That, war der beabsichtigte pol¬
nische Aufstand ein Act der Nationalität, eine Rache der Geschichte
-- warum mußte grade auf Oesterreich die schwerste Wucht fallen ?
war er eine Folge administrativ-politischen Druckes, warum flammte
er nicht da auf, wo die Tyrannei nicht ein Mal die heiligsten Ge¬
bote der Natur und der Menschlichkeit achtet, wo die Jugend nach
dem Kaukasus, das Alter nach Sibirien geschleppt wird? Oester¬
reichs Schuld ist nicht kleiner, aber sie ist auch nicht größer, als
die der beiden andern Mächte der heiligen Theilungsallianz.

Die preußische Journalistik hat bei dieser Gelegenheit einen
wohlfeilen Patriotismus zur Schau getragen. Weil Preußen durch
eine bessere Geheimpolizei eher Kunde von dem drohenden Ausbruch


Grenzboten, i""o, l. 72
Die polnischen Ereignisse.

Eine Stimme aus Oesterreich.


Es ist ein großes Unglück, das dieser Tage Oesterreich heim¬
gesucht, und obschon es dem Allerschlimmsten entgangen und den
schwersten Schlag paart hat, so ist doch das Ereigniß und zumal
seine Nachwehen nicht minder ein großes Unglück, zum Theil ein ver¬
schuldetes, zum Theil aber auch ein unverschuldetes. Verschuldet als
Erbe der traurigen Politik des vorigen Jahrhunderts, die Oesterreich
zum Theilnehmer machte an dem grausamen Act der Theilung eines
edlen Landes, an der Zerstückelung einer Nationalität, welche durch
Jahrhunderte als Vormauer der Civilisation gegen die asiatische Bar¬
barei gedient hat. Aber auch unverschuldet, in so weit Oesterreich
bei den letzten Ereignissen den größten Theil der Zeche bezahlen
mußte, während die andern beiden unbetheiligten Staaten so ziem¬
lich durchgeschlüpft sind. In der That, war der beabsichtigte pol¬
nische Aufstand ein Act der Nationalität, eine Rache der Geschichte
— warum mußte grade auf Oesterreich die schwerste Wucht fallen ?
war er eine Folge administrativ-politischen Druckes, warum flammte
er nicht da auf, wo die Tyrannei nicht ein Mal die heiligsten Ge¬
bote der Natur und der Menschlichkeit achtet, wo die Jugend nach
dem Kaukasus, das Alter nach Sibirien geschleppt wird? Oester¬
reichs Schuld ist nicht kleiner, aber sie ist auch nicht größer, als
die der beiden andern Mächte der heiligen Theilungsallianz.

Die preußische Journalistik hat bei dieser Gelegenheit einen
wohlfeilen Patriotismus zur Schau getragen. Weil Preußen durch
eine bessere Geheimpolizei eher Kunde von dem drohenden Ausbruch


Grenzboten, i»»o, l. 72
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0573" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182383"/>
            </div>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die polnischen Ereignisse.</head><lb/>
          <note type="byline"> Eine Stimme aus Oesterreich.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1364"> Es ist ein großes Unglück, das dieser Tage Oesterreich heim¬<lb/>
gesucht, und obschon es dem Allerschlimmsten entgangen und den<lb/>
schwersten Schlag paart hat, so ist doch das Ereigniß und zumal<lb/>
seine Nachwehen nicht minder ein großes Unglück, zum Theil ein ver¬<lb/>
schuldetes, zum Theil aber auch ein unverschuldetes. Verschuldet als<lb/>
Erbe der traurigen Politik des vorigen Jahrhunderts, die Oesterreich<lb/>
zum Theilnehmer machte an dem grausamen Act der Theilung eines<lb/>
edlen Landes, an der Zerstückelung einer Nationalität, welche durch<lb/>
Jahrhunderte als Vormauer der Civilisation gegen die asiatische Bar¬<lb/>
barei gedient hat. Aber auch unverschuldet, in so weit Oesterreich<lb/>
bei den letzten Ereignissen den größten Theil der Zeche bezahlen<lb/>
mußte, während die andern beiden unbetheiligten Staaten so ziem¬<lb/>
lich durchgeschlüpft sind. In der That, war der beabsichtigte pol¬<lb/>
nische Aufstand ein Act der Nationalität, eine Rache der Geschichte<lb/>
&#x2014; warum mußte grade auf Oesterreich die schwerste Wucht fallen ?<lb/>
war er eine Folge administrativ-politischen Druckes, warum flammte<lb/>
er nicht da auf, wo die Tyrannei nicht ein Mal die heiligsten Ge¬<lb/>
bote der Natur und der Menschlichkeit achtet, wo die Jugend nach<lb/>
dem Kaukasus, das Alter nach Sibirien geschleppt wird? Oester¬<lb/>
reichs Schuld ist nicht kleiner, aber sie ist auch nicht größer, als<lb/>
die der beiden andern Mächte der heiligen Theilungsallianz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1365" next="#ID_1366"> Die preußische Journalistik hat bei dieser Gelegenheit einen<lb/>
wohlfeilen Patriotismus zur Schau getragen. Weil Preußen durch<lb/>
eine bessere Geheimpolizei eher Kunde von dem drohenden Ausbruch</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten, i»»o, l. 72</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0573] Die polnischen Ereignisse. Eine Stimme aus Oesterreich. Es ist ein großes Unglück, das dieser Tage Oesterreich heim¬ gesucht, und obschon es dem Allerschlimmsten entgangen und den schwersten Schlag paart hat, so ist doch das Ereigniß und zumal seine Nachwehen nicht minder ein großes Unglück, zum Theil ein ver¬ schuldetes, zum Theil aber auch ein unverschuldetes. Verschuldet als Erbe der traurigen Politik des vorigen Jahrhunderts, die Oesterreich zum Theilnehmer machte an dem grausamen Act der Theilung eines edlen Landes, an der Zerstückelung einer Nationalität, welche durch Jahrhunderte als Vormauer der Civilisation gegen die asiatische Bar¬ barei gedient hat. Aber auch unverschuldet, in so weit Oesterreich bei den letzten Ereignissen den größten Theil der Zeche bezahlen mußte, während die andern beiden unbetheiligten Staaten so ziem¬ lich durchgeschlüpft sind. In der That, war der beabsichtigte pol¬ nische Aufstand ein Act der Nationalität, eine Rache der Geschichte — warum mußte grade auf Oesterreich die schwerste Wucht fallen ? war er eine Folge administrativ-politischen Druckes, warum flammte er nicht da auf, wo die Tyrannei nicht ein Mal die heiligsten Ge¬ bote der Natur und der Menschlichkeit achtet, wo die Jugend nach dem Kaukasus, das Alter nach Sibirien geschleppt wird? Oester¬ reichs Schuld ist nicht kleiner, aber sie ist auch nicht größer, als die der beiden andern Mächte der heiligen Theilungsallianz. Die preußische Journalistik hat bei dieser Gelegenheit einen wohlfeilen Patriotismus zur Schau getragen. Weil Preußen durch eine bessere Geheimpolizei eher Kunde von dem drohenden Ausbruch Grenzboten, i»»o, l. 72

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/573
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/573>, abgerufen am 28.04.2024.