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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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erhielt und die Flamme ersticken konnte, ehe sie aufloderte, haben
die Journale den Umstand benutzt, alle Schuld Oesterreich in die
Schuhe zu schieben; jeden Tag brachten die Breslauer und Ber¬
liner Zeitungen Berichte, welche die Sympathie der Polen für
Preußen schilderten und die Erbitterung gegen Oesterreich in's
grellste Licht stellten, während der ganze Unterschied nur darin be¬
stand, daß die österreichischen Truppen, da sie Krakau näher stan¬
den, zuerst die unglückliche Ehre hatten, die Polizei ausüben zu
müssen, indeß Preußen, da es die Unpopularitcit und die traurige
Aufgabe von einem Andern übernommen sah, kluger Weise diesen
das Geschäft allein ausführen ließ. Hätte ein preußisches Armee¬
corps zunächst bei Krakau gestanden, so wäre ihm der Auftrag ge¬
worden, "die Ordnung herzustellen," und es hätte nicht im Min¬
desten anders gehandelt, als die Oesterreicher. Die Manifestationen
wären dann umgekehrt gewesen, alle Sympathien -- hätte es ge¬
heißen -- wären für Oesterreich und die Erbitterung sei ganz allein
gegen Preußen gerichtet. Gewiß nicht mit größerem Rechte, als
jetzt, wo die Berichte entgegengesetzt lauten. Aber eben deßwegen
sollte man der Wahrheit ihr Recht lassen und das Unglück des
Einen nicht als Propaganda für den Andern ausbeuten.

Führen wir die Sache auf ihren Ursprung zurück. So weit
bis jetzt der Schleier dieses räthselhaften Polenaufstandes sich durch¬
schauen läßt, ist eine Thatsache festzustellen: Der Aufstand war
direct weder gegen Preußen und noch viel weniger gegen
Oesterreich gerichtet. In diesen beiden Staaten sollten bloß die
Mittel gesammelt werden an Mannschaft und Geld, um einen Ein¬
fall in das russische Polen zu machen und die dort vorbereitete Revolu¬
tion durchzukämpfen. Preußen war er so weit mehr bedroht, als
Oesterreich, da es auf drei seiner festen Plätze abgesehen war, von
denen namentlich Posen als Waffenlager und Ausgangspunkt
dienen sollte. Mit welchen Hoffnungen die Verschworenen sich
täuschten, wie sie eine Besitznahme dreier Festplätze von einem di¬
rekten Aufstand dialektisch unterscheiden zu können glaubten, wie
sie sich bereden konnten, Preußen und Oesterreich würden mit ver¬
schränkten Armen einem Aufstand zusehen, der, obschon gegen Ru߬
land gerichtet, sich doch aus ihrer Mitte rrcrutirte, dies ist noch
ein undurchdringliches Geheimniß. So ganz kopflos, wie die


erhielt und die Flamme ersticken konnte, ehe sie aufloderte, haben
die Journale den Umstand benutzt, alle Schuld Oesterreich in die
Schuhe zu schieben; jeden Tag brachten die Breslauer und Ber¬
liner Zeitungen Berichte, welche die Sympathie der Polen für
Preußen schilderten und die Erbitterung gegen Oesterreich in's
grellste Licht stellten, während der ganze Unterschied nur darin be¬
stand, daß die österreichischen Truppen, da sie Krakau näher stan¬
den, zuerst die unglückliche Ehre hatten, die Polizei ausüben zu
müssen, indeß Preußen, da es die Unpopularitcit und die traurige
Aufgabe von einem Andern übernommen sah, kluger Weise diesen
das Geschäft allein ausführen ließ. Hätte ein preußisches Armee¬
corps zunächst bei Krakau gestanden, so wäre ihm der Auftrag ge¬
worden, „die Ordnung herzustellen," und es hätte nicht im Min¬
desten anders gehandelt, als die Oesterreicher. Die Manifestationen
wären dann umgekehrt gewesen, alle Sympathien — hätte es ge¬
heißen — wären für Oesterreich und die Erbitterung sei ganz allein
gegen Preußen gerichtet. Gewiß nicht mit größerem Rechte, als
jetzt, wo die Berichte entgegengesetzt lauten. Aber eben deßwegen
sollte man der Wahrheit ihr Recht lassen und das Unglück des
Einen nicht als Propaganda für den Andern ausbeuten.

Führen wir die Sache auf ihren Ursprung zurück. So weit
bis jetzt der Schleier dieses räthselhaften Polenaufstandes sich durch¬
schauen läßt, ist eine Thatsache festzustellen: Der Aufstand war
direct weder gegen Preußen und noch viel weniger gegen
Oesterreich gerichtet. In diesen beiden Staaten sollten bloß die
Mittel gesammelt werden an Mannschaft und Geld, um einen Ein¬
fall in das russische Polen zu machen und die dort vorbereitete Revolu¬
tion durchzukämpfen. Preußen war er so weit mehr bedroht, als
Oesterreich, da es auf drei seiner festen Plätze abgesehen war, von
denen namentlich Posen als Waffenlager und Ausgangspunkt
dienen sollte. Mit welchen Hoffnungen die Verschworenen sich
täuschten, wie sie eine Besitznahme dreier Festplätze von einem di¬
rekten Aufstand dialektisch unterscheiden zu können glaubten, wie
sie sich bereden konnten, Preußen und Oesterreich würden mit ver¬
schränkten Armen einem Aufstand zusehen, der, obschon gegen Ru߬
land gerichtet, sich doch aus ihrer Mitte rrcrutirte, dies ist noch
ein undurchdringliches Geheimniß. So ganz kopflos, wie die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/574>, abgerufen am 14.05.2024.