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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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III
Ein speculativer Schauspieler.

Es ist schort oft und viel über die Vor- und Nachtheile des Hau-
sirerhcmdelS geschrieben worden. Man hat erörtert, für welche Zweige
der Industrie diese Kleinkrämerei eine Nothwendigkeit ist und für welche
nicht. Einen Zweig des Haustrerthums hat man bis jetzt übersehen
und dieser ist -- die Gastspielerei, mit welcher die Schauspieler von einer
Bühne zur andern ihre Kunststücke colportiren. Einer der unermüdlich¬
sten Haustrer dieser Art ist Herr Emil Devrient; kein Wcinreisender,
kein tyroler Handschuhverkäufer ist so fleißig, kennt so genau die Gange
und den Absatz in dieser oder jener Stadt, in diesem oder jenem Hause.
Nachdem Herr Emil Devrient ein Dutzend Rollen an das königliche
Hoftheater verhandelt hat, tragt er sein Bündel hinüber in das König¬
städtertheater und bietet hier einige, ihm auf dem Lager gebliebene "Par-
thiechens" aus. Nachdem der Jahrmarkt an der Königsstadt zu Ende
sein wird, geht Herr Devrient über Hals und Kopf -- auf die wiener
Messe und wiederholt vielleicht dort (wie im vorigen Jahre) dieselbe
Procedur, erst am Burgtheater einen Theil seiner Artikel auszubieten und
dann an einem Vorstadttheater den Nest loszuschlagen. Es fehlte nur
noch, daß Herr Devrient bei solcher Gelegenheit auf den Zettel setzen
lasse: Ausverkauf, wegen dringender Abreise! Fort mit Schaden!

Schon gegen das ewige Gastspielen, das bei einigen Schauspiclvir-
tuosen immer mehr und mehr Mode wird, ist Gewichtiges einzuwenden,
Sie üben immer nachtheiligen Einfluß auf die Bühne aus, bei der sie
engagirt sind und die während ihrer Abwesenheit in ihrem Repertoire
gestört bleibt, so wie auf die Bühne, an welcher sie gastiren, weil sie
das Publicum gewöhnen, mehr auf die Virtuosität des Einzelnen, als
auf die Harmonie des Ganzen, auf das Zusammenspiel Aller, Ausmetk-
samkeit zu richten. Und doch ist das harmonische und rasche Ensemble
das Wesentlichste zur Geltendmachung eines dramatischen Werkes. Diese
fliegende Gastspielerei löst die Darstellung eines Dramas in einzelne
Bravourarien auf. Es lohnt sich kaum mehr der Mühe, ein Stück mit
ausgebildeten Einzelncharakteren zu schreiben; wer ein loses Machwerk
Mit einer oder zweien Virtuositätsrollen schreibt, wird sich besser belohnt
finden, als schriebe er ein Shakespeare'sches Meisterwerk. Was das wie¬
ner Burgtheater, trotz seiner vielen Mängel, noch immer im Range der
ersten deutschen Bühnen erhalt, das ist sein schönes, wohl ineinander ge¬
fügtes Ensemble. Was die berliner Hofbühne, trotz ihrer mannichfachen
brillanten Einzelkräfte, nicht zum vollen Leben kommen läßt, das ist die
Zerrissenheit, die bisher durch die fortwährenden Urlande und stete Zu¬
lassung fremder Gäste sich geltend machte.

Doch dieses Kapitel hat noch viele Seiten, die bei einer andern
Gelegenheit erörtert werden sollen. Was Herr Emil Devrient in's Be¬
sondere betrifft, so ist es nicht blos das ewige Herumgastiren, was bei


III
Ein speculativer Schauspieler.

Es ist schort oft und viel über die Vor- und Nachtheile des Hau-
sirerhcmdelS geschrieben worden. Man hat erörtert, für welche Zweige
der Industrie diese Kleinkrämerei eine Nothwendigkeit ist und für welche
nicht. Einen Zweig des Haustrerthums hat man bis jetzt übersehen
und dieser ist — die Gastspielerei, mit welcher die Schauspieler von einer
Bühne zur andern ihre Kunststücke colportiren. Einer der unermüdlich¬
sten Haustrer dieser Art ist Herr Emil Devrient; kein Wcinreisender,
kein tyroler Handschuhverkäufer ist so fleißig, kennt so genau die Gange
und den Absatz in dieser oder jener Stadt, in diesem oder jenem Hause.
Nachdem Herr Emil Devrient ein Dutzend Rollen an das königliche
Hoftheater verhandelt hat, tragt er sein Bündel hinüber in das König¬
städtertheater und bietet hier einige, ihm auf dem Lager gebliebene „Par-
thiechens" aus. Nachdem der Jahrmarkt an der Königsstadt zu Ende
sein wird, geht Herr Devrient über Hals und Kopf — auf die wiener
Messe und wiederholt vielleicht dort (wie im vorigen Jahre) dieselbe
Procedur, erst am Burgtheater einen Theil seiner Artikel auszubieten und
dann an einem Vorstadttheater den Nest loszuschlagen. Es fehlte nur
noch, daß Herr Devrient bei solcher Gelegenheit auf den Zettel setzen
lasse: Ausverkauf, wegen dringender Abreise! Fort mit Schaden!

Schon gegen das ewige Gastspielen, das bei einigen Schauspiclvir-
tuosen immer mehr und mehr Mode wird, ist Gewichtiges einzuwenden,
Sie üben immer nachtheiligen Einfluß auf die Bühne aus, bei der sie
engagirt sind und die während ihrer Abwesenheit in ihrem Repertoire
gestört bleibt, so wie auf die Bühne, an welcher sie gastiren, weil sie
das Publicum gewöhnen, mehr auf die Virtuosität des Einzelnen, als
auf die Harmonie des Ganzen, auf das Zusammenspiel Aller, Ausmetk-
samkeit zu richten. Und doch ist das harmonische und rasche Ensemble
das Wesentlichste zur Geltendmachung eines dramatischen Werkes. Diese
fliegende Gastspielerei löst die Darstellung eines Dramas in einzelne
Bravourarien auf. Es lohnt sich kaum mehr der Mühe, ein Stück mit
ausgebildeten Einzelncharakteren zu schreiben; wer ein loses Machwerk
Mit einer oder zweien Virtuositätsrollen schreibt, wird sich besser belohnt
finden, als schriebe er ein Shakespeare'sches Meisterwerk. Was das wie¬
ner Burgtheater, trotz seiner vielen Mängel, noch immer im Range der
ersten deutschen Bühnen erhalt, das ist sein schönes, wohl ineinander ge¬
fügtes Ensemble. Was die berliner Hofbühne, trotz ihrer mannichfachen
brillanten Einzelkräfte, nicht zum vollen Leben kommen läßt, das ist die
Zerrissenheit, die bisher durch die fortwährenden Urlande und stete Zu¬
lassung fremder Gäste sich geltend machte.

Doch dieses Kapitel hat noch viele Seiten, die bei einer andern
Gelegenheit erörtert werden sollen. Was Herr Emil Devrient in's Be¬
sondere betrifft, so ist es nicht blos das ewige Herumgastiren, was bei


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[0505] III Ein speculativer Schauspieler. Es ist schort oft und viel über die Vor- und Nachtheile des Hau- sirerhcmdelS geschrieben worden. Man hat erörtert, für welche Zweige der Industrie diese Kleinkrämerei eine Nothwendigkeit ist und für welche nicht. Einen Zweig des Haustrerthums hat man bis jetzt übersehen und dieser ist — die Gastspielerei, mit welcher die Schauspieler von einer Bühne zur andern ihre Kunststücke colportiren. Einer der unermüdlich¬ sten Haustrer dieser Art ist Herr Emil Devrient; kein Wcinreisender, kein tyroler Handschuhverkäufer ist so fleißig, kennt so genau die Gange und den Absatz in dieser oder jener Stadt, in diesem oder jenem Hause. Nachdem Herr Emil Devrient ein Dutzend Rollen an das königliche Hoftheater verhandelt hat, tragt er sein Bündel hinüber in das König¬ städtertheater und bietet hier einige, ihm auf dem Lager gebliebene „Par- thiechens" aus. Nachdem der Jahrmarkt an der Königsstadt zu Ende sein wird, geht Herr Devrient über Hals und Kopf — auf die wiener Messe und wiederholt vielleicht dort (wie im vorigen Jahre) dieselbe Procedur, erst am Burgtheater einen Theil seiner Artikel auszubieten und dann an einem Vorstadttheater den Nest loszuschlagen. Es fehlte nur noch, daß Herr Devrient bei solcher Gelegenheit auf den Zettel setzen lasse: Ausverkauf, wegen dringender Abreise! Fort mit Schaden! Schon gegen das ewige Gastspielen, das bei einigen Schauspiclvir- tuosen immer mehr und mehr Mode wird, ist Gewichtiges einzuwenden, Sie üben immer nachtheiligen Einfluß auf die Bühne aus, bei der sie engagirt sind und die während ihrer Abwesenheit in ihrem Repertoire gestört bleibt, so wie auf die Bühne, an welcher sie gastiren, weil sie das Publicum gewöhnen, mehr auf die Virtuosität des Einzelnen, als auf die Harmonie des Ganzen, auf das Zusammenspiel Aller, Ausmetk- samkeit zu richten. Und doch ist das harmonische und rasche Ensemble das Wesentlichste zur Geltendmachung eines dramatischen Werkes. Diese fliegende Gastspielerei löst die Darstellung eines Dramas in einzelne Bravourarien auf. Es lohnt sich kaum mehr der Mühe, ein Stück mit ausgebildeten Einzelncharakteren zu schreiben; wer ein loses Machwerk Mit einer oder zweien Virtuositätsrollen schreibt, wird sich besser belohnt finden, als schriebe er ein Shakespeare'sches Meisterwerk. Was das wie¬ ner Burgtheater, trotz seiner vielen Mängel, noch immer im Range der ersten deutschen Bühnen erhalt, das ist sein schönes, wohl ineinander ge¬ fügtes Ensemble. Was die berliner Hofbühne, trotz ihrer mannichfachen brillanten Einzelkräfte, nicht zum vollen Leben kommen läßt, das ist die Zerrissenheit, die bisher durch die fortwährenden Urlande und stete Zu¬ lassung fremder Gäste sich geltend machte. Doch dieses Kapitel hat noch viele Seiten, die bei einer andern Gelegenheit erörtert werden sollen. Was Herr Emil Devrient in's Be¬ sondere betrifft, so ist es nicht blos das ewige Herumgastiren, was bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/505>, abgerufen am 26.04.2024.