Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Gießen und seine Universität.



I. Die Studentenschaft.

Wie an andern Universitäten zeigten sich in Gießen, und zeigen sich
noch immer die Nachwehen des Rausches, welcher die deutsche Studenten¬
welt nach den Befreiungskriegen ergriffen hatte; hier und in Jena war
er ja bekanntlich am stärksten. Deshalb mußte sich hier nothgedrun¬
gen ein größerer Katzenjammer, als anderswo einstellen. Kein Land
hat wohl der Frankfurter Untersuchungscommission verhältnißmäßig so
viele Opfer geliefert als Hessendarmstadt. In Gießen war der wahre
Herd des excentrischen Demagogentreibens. Darum ist auch kein Land
mehr abgekühlt worden, als Darmstadt, keine Universität hatte mehr
Mark verloren, als Gießen. "Verflogen ist der Spiritus; -- das
Phlegma war geblieben!"

Nach Auflösung der Burschenschafter tummelte sich in Gießen der
flachste esnrit 6" eoins. Dieser Ausdruck ist als akademischer terminus
eigentlich eine contraclietio in rin'ecto. So bewährte es sich auch in
Gießen. Der Corpsphilister desavouirte Kunst und Wissenschaft, wo
sich dieselbe nicht als Würze oder prunkvolles Ornament des flachen
Treibens der Burschenwelt mit Glaces und Champagnerflaschen in
eine Kategorie einrangiren lassen wollte, als "philiströs." Die wis,
senschaftlichen und literarischen Fehden, welche damals alle Welt be¬
wegten, -- in Gießen fanden sie keinen Boden. Die Halleschen und
deutschen Jahrbücher eristirten hier nur für den Gelehrten. -- Jung¬
oder Althegclianer, Heine oder Börne, Bettina oder Rahel? ""Keins
von beiden!"" erwiderte der Gießener Studiosus, und trank behaglich
seinen Schoppen. Man trank Bier, hofirte den Damen, paukte sich,
rasselte mit den Sporen, rauchte Tabak und sprach von Corps- und
Renonceconventen. Die Logik der Gießener Musensöhne kannte nur


Gvenzboten. IV. 18
Gießen und seine Universität.



I. Die Studentenschaft.

Wie an andern Universitäten zeigten sich in Gießen, und zeigen sich
noch immer die Nachwehen des Rausches, welcher die deutsche Studenten¬
welt nach den Befreiungskriegen ergriffen hatte; hier und in Jena war
er ja bekanntlich am stärksten. Deshalb mußte sich hier nothgedrun¬
gen ein größerer Katzenjammer, als anderswo einstellen. Kein Land
hat wohl der Frankfurter Untersuchungscommission verhältnißmäßig so
viele Opfer geliefert als Hessendarmstadt. In Gießen war der wahre
Herd des excentrischen Demagogentreibens. Darum ist auch kein Land
mehr abgekühlt worden, als Darmstadt, keine Universität hatte mehr
Mark verloren, als Gießen. „Verflogen ist der Spiritus; — das
Phlegma war geblieben!"

Nach Auflösung der Burschenschafter tummelte sich in Gießen der
flachste esnrit 6« eoins. Dieser Ausdruck ist als akademischer terminus
eigentlich eine contraclietio in rin'ecto. So bewährte es sich auch in
Gießen. Der Corpsphilister desavouirte Kunst und Wissenschaft, wo
sich dieselbe nicht als Würze oder prunkvolles Ornament des flachen
Treibens der Burschenwelt mit Glaces und Champagnerflaschen in
eine Kategorie einrangiren lassen wollte, als „philiströs." Die wis,
senschaftlichen und literarischen Fehden, welche damals alle Welt be¬
wegten, — in Gießen fanden sie keinen Boden. Die Halleschen und
deutschen Jahrbücher eristirten hier nur für den Gelehrten. — Jung¬
oder Althegclianer, Heine oder Börne, Bettina oder Rahel? „„Keins
von beiden!"" erwiderte der Gießener Studiosus, und trank behaglich
seinen Schoppen. Man trank Bier, hofirte den Damen, paukte sich,
rasselte mit den Sporen, rauchte Tabak und sprach von Corps- und
Renonceconventen. Die Logik der Gießener Musensöhne kannte nur


Gvenzboten. IV. 18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183715"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Gießen und seine Universität.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> I. Die Studentenschaft.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_348"> Wie an andern Universitäten zeigten sich in Gießen, und zeigen sich<lb/>
noch immer die Nachwehen des Rausches, welcher die deutsche Studenten¬<lb/>
welt nach den Befreiungskriegen ergriffen hatte; hier und in Jena war<lb/>
er ja bekanntlich am stärksten. Deshalb mußte sich hier nothgedrun¬<lb/>
gen ein größerer Katzenjammer, als anderswo einstellen. Kein Land<lb/>
hat wohl der Frankfurter Untersuchungscommission verhältnißmäßig so<lb/>
viele Opfer geliefert als Hessendarmstadt. In Gießen war der wahre<lb/>
Herd des excentrischen Demagogentreibens. Darum ist auch kein Land<lb/>
mehr abgekühlt worden, als Darmstadt, keine Universität hatte mehr<lb/>
Mark verloren, als Gießen. &#x201E;Verflogen ist der Spiritus; &#x2014; das<lb/>
Phlegma war geblieben!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_349" next="#ID_350"> Nach Auflösung der Burschenschafter tummelte sich in Gießen der<lb/>
flachste esnrit 6« eoins. Dieser Ausdruck ist als akademischer terminus<lb/>
eigentlich eine contraclietio in rin'ecto. So bewährte es sich auch in<lb/>
Gießen. Der Corpsphilister desavouirte Kunst und Wissenschaft, wo<lb/>
sich dieselbe nicht als Würze oder prunkvolles Ornament des flachen<lb/>
Treibens der Burschenwelt mit Glaces und Champagnerflaschen in<lb/>
eine Kategorie einrangiren lassen wollte, als &#x201E;philiströs." Die wis,<lb/>
senschaftlichen und literarischen Fehden, welche damals alle Welt be¬<lb/>
wegten, &#x2014; in Gießen fanden sie keinen Boden. Die Halleschen und<lb/>
deutschen Jahrbücher eristirten hier nur für den Gelehrten. &#x2014; Jung¬<lb/>
oder Althegclianer, Heine oder Börne, Bettina oder Rahel? &#x201E;&#x201E;Keins<lb/>
von beiden!"" erwiderte der Gießener Studiosus, und trank behaglich<lb/>
seinen Schoppen. Man trank Bier, hofirte den Damen, paukte sich,<lb/>
rasselte mit den Sporen, rauchte Tabak und sprach von Corps- und<lb/>
Renonceconventen. Die Logik der Gießener Musensöhne kannte nur</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Gvenzboten. IV. 18</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0133] Gießen und seine Universität. I. Die Studentenschaft. Wie an andern Universitäten zeigten sich in Gießen, und zeigen sich noch immer die Nachwehen des Rausches, welcher die deutsche Studenten¬ welt nach den Befreiungskriegen ergriffen hatte; hier und in Jena war er ja bekanntlich am stärksten. Deshalb mußte sich hier nothgedrun¬ gen ein größerer Katzenjammer, als anderswo einstellen. Kein Land hat wohl der Frankfurter Untersuchungscommission verhältnißmäßig so viele Opfer geliefert als Hessendarmstadt. In Gießen war der wahre Herd des excentrischen Demagogentreibens. Darum ist auch kein Land mehr abgekühlt worden, als Darmstadt, keine Universität hatte mehr Mark verloren, als Gießen. „Verflogen ist der Spiritus; — das Phlegma war geblieben!" Nach Auflösung der Burschenschafter tummelte sich in Gießen der flachste esnrit 6« eoins. Dieser Ausdruck ist als akademischer terminus eigentlich eine contraclietio in rin'ecto. So bewährte es sich auch in Gießen. Der Corpsphilister desavouirte Kunst und Wissenschaft, wo sich dieselbe nicht als Würze oder prunkvolles Ornament des flachen Treibens der Burschenwelt mit Glaces und Champagnerflaschen in eine Kategorie einrangiren lassen wollte, als „philiströs." Die wis, senschaftlichen und literarischen Fehden, welche damals alle Welt be¬ wegten, — in Gießen fanden sie keinen Boden. Die Halleschen und deutschen Jahrbücher eristirten hier nur für den Gelehrten. — Jung¬ oder Althegclianer, Heine oder Börne, Bettina oder Rahel? „„Keins von beiden!"" erwiderte der Gießener Studiosus, und trank behaglich seinen Schoppen. Man trank Bier, hofirte den Damen, paukte sich, rasselte mit den Sporen, rauchte Tabak und sprach von Corps- und Renonceconventen. Die Logik der Gießener Musensöhne kannte nur Gvenzboten. IV. 18

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/133
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/133>, abgerufen am 03.05.2024.