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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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men gerechtfertigt erscheint durch die Nothwendigkeit, mittelst Verwerthung
der numerirten Plätze eine Erhöhung der Einnahme zur Deckung der
Kosten zu erzielen, hat der genannte Schritt doch eine bedeutende Gäh-
rung hervorgebracht und die Zahl der Mißvergnügten beträchtlich ver¬
mehrt. Natürlich geht es jetzt über den armen Vorstand her, der schon
an und für sich seine liebe Noth Mit dem Einstudiren, mit alle den
schnellen Tempis, mit krankgewordenen Deklamatoren und jähzornigen
Contrabässen hat. Noch besitzen wir ein Institut, genannt philharmoni¬
sche Gesellschaft, das sich befleißigt, im Instrumentalgcbiet ein Pendant
der Singakademie zu werden. Dieser Dilettantenverein greift energisch
und kräftig, vielleicht nur allzukräftig, von seiner Seite bei Aufführun¬
gen ein. Solisten unter den Blase-Jnstrumenten gibt die Kapelle dazu
her, und es bleibt dem Zuhörer die angenehme Aufgabe, durch Heraus¬
lauschen der größern Discretion seinen musikalischen Scharfsinn in Un¬
terscheidung der Künstler und Dilettanten zu üben. Wenn schon diesem
Tonclubb meistens jugendlicher, ja theilweise pueriler Individuen energi¬
sche Kraftäußerungen nicht verübelt werden können, um so weniger, ja
seltener dergleichen ihm öffentlich gestattet werden, bedürfte es doch
gestern der ganzen Grandezza des Dirigenten und feiner weisen Mäßi¬
gung der Tempi, um der vorschnellen Jugend einen Damm entgegenzu¬
stellen. Nichtsdestoweniger fand man im Ganzen die Aufführung zufrie¬
denstellend -- man ist hier nicht wählerisch. Der große Musard, Gebie¬
ter von zwölf Contrabässen, und der kleine Gertl in der Königstadt, ein
Fabius Cunctator, erziehen die Berliner jetzt so, daß ihnen das Rumpeln
eines bösartigen Basses süß und ein schneckenartiges Allegro sogar an¬
genehm vorkommt. Genug, die Compositionen zum Faust, an und für
sich Sprößlinge eines dilettantistrenden, wenn schon begeisterten Musi¬
kers, wurden wieder dilettantisch und begeistert vorgetragen. Daß für
ein verwöhnteres Ohr eigentlich Fehlgriff über Fehlgriff in Auffassung,
Erecution und Direction vorkam, dürfte hier in Berlin nicht erlaubt fein
zu sagen; ich schreibe es Ihnen daher nach Leipzig mit der Bitte, den
großen Componisten des Paulus zu ersuchen, sich für feine nächste An¬
A. Z. wesenheit mit einer guten Portion Geduld zu wappnen.


V.
F. L. Schlosser's "Weltgeschichte für das deutsche "oll."

Die Gcenzboten enthielten vor einiger Zeit einen Aussatz: Die
Heidelberger Historiker. Da Schlosser unter diesen obenan steht und die
übrigen, auch Gervinus, größtentheils von ihm ihren Ausgangspunkt ge¬
nommen haben oder nehmen, so dürften einige Bemerkungen über die
von Dr. Krieg? in Frankfurt für's deutsche Volk bearbeitete Weltgeschichte
auch für das größere Publicum von Wichtigkeit sein.
'

Die Ventersche Weltgeschichte, so vortrefflich sie auch geschrieben war,
ist theils veraltet, theils, da viele Köche den Brei verderben, durch die
verschiedenen Ueberarbeitungen, welche sie erfahren, ungenießbar geworden,


men gerechtfertigt erscheint durch die Nothwendigkeit, mittelst Verwerthung
der numerirten Plätze eine Erhöhung der Einnahme zur Deckung der
Kosten zu erzielen, hat der genannte Schritt doch eine bedeutende Gäh-
rung hervorgebracht und die Zahl der Mißvergnügten beträchtlich ver¬
mehrt. Natürlich geht es jetzt über den armen Vorstand her, der schon
an und für sich seine liebe Noth Mit dem Einstudiren, mit alle den
schnellen Tempis, mit krankgewordenen Deklamatoren und jähzornigen
Contrabässen hat. Noch besitzen wir ein Institut, genannt philharmoni¬
sche Gesellschaft, das sich befleißigt, im Instrumentalgcbiet ein Pendant
der Singakademie zu werden. Dieser Dilettantenverein greift energisch
und kräftig, vielleicht nur allzukräftig, von seiner Seite bei Aufführun¬
gen ein. Solisten unter den Blase-Jnstrumenten gibt die Kapelle dazu
her, und es bleibt dem Zuhörer die angenehme Aufgabe, durch Heraus¬
lauschen der größern Discretion seinen musikalischen Scharfsinn in Un¬
terscheidung der Künstler und Dilettanten zu üben. Wenn schon diesem
Tonclubb meistens jugendlicher, ja theilweise pueriler Individuen energi¬
sche Kraftäußerungen nicht verübelt werden können, um so weniger, ja
seltener dergleichen ihm öffentlich gestattet werden, bedürfte es doch
gestern der ganzen Grandezza des Dirigenten und feiner weisen Mäßi¬
gung der Tempi, um der vorschnellen Jugend einen Damm entgegenzu¬
stellen. Nichtsdestoweniger fand man im Ganzen die Aufführung zufrie¬
denstellend — man ist hier nicht wählerisch. Der große Musard, Gebie¬
ter von zwölf Contrabässen, und der kleine Gertl in der Königstadt, ein
Fabius Cunctator, erziehen die Berliner jetzt so, daß ihnen das Rumpeln
eines bösartigen Basses süß und ein schneckenartiges Allegro sogar an¬
genehm vorkommt. Genug, die Compositionen zum Faust, an und für
sich Sprößlinge eines dilettantistrenden, wenn schon begeisterten Musi¬
kers, wurden wieder dilettantisch und begeistert vorgetragen. Daß für
ein verwöhnteres Ohr eigentlich Fehlgriff über Fehlgriff in Auffassung,
Erecution und Direction vorkam, dürfte hier in Berlin nicht erlaubt fein
zu sagen; ich schreibe es Ihnen daher nach Leipzig mit der Bitte, den
großen Componisten des Paulus zu ersuchen, sich für feine nächste An¬
A. Z. wesenheit mit einer guten Portion Geduld zu wappnen.


V.
F. L. Schlosser's „Weltgeschichte für das deutsche «oll."

Die Gcenzboten enthielten vor einiger Zeit einen Aussatz: Die
Heidelberger Historiker. Da Schlosser unter diesen obenan steht und die
übrigen, auch Gervinus, größtentheils von ihm ihren Ausgangspunkt ge¬
nommen haben oder nehmen, so dürften einige Bemerkungen über die
von Dr. Krieg? in Frankfurt für's deutsche Volk bearbeitete Weltgeschichte
auch für das größere Publicum von Wichtigkeit sein.
'

Die Ventersche Weltgeschichte, so vortrefflich sie auch geschrieben war,
ist theils veraltet, theils, da viele Köche den Brei verderben, durch die
verschiedenen Ueberarbeitungen, welche sie erfahren, ungenießbar geworden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/224>, abgerufen am 03.05.2024.