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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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L. Steub's "drei Sommer in Tyrol." ^



Von Chur läuft am jungen Rhein herauf eine Chaussee, von
Bregenz herunter kommt eine andere ihr entgegen und in Feldkirch stoßen
beide aufeinander. Von da aus zieht sich die große Straße quer durch
das nördliche Tyrol. Ueber Pludenz, Stuben, Landeck, Wasserreit und
Telfs gelangt sie in streng westlicher Richtung gen Innsbruck, von da
steigt sie nordostwärts nach Salzburg und dem Salzkammergut. Dann
stoßt auf sie herab, von München kommend, der große Weg nach Ita¬
lien; von Botzen laufen, gabelförmig gespalten, zwei Straßen zu ihr
auf: über Briren und den Brenner die östliche, über Meraue-und
durch das Engadiner Thal die westliche. Dies Alles sind bekannte
Dinge; die Namen rechts und links an diesen Routen kennt unsere
Reiscwelt genau; auch was sich von da aus mit kleinen Abstechern
erreichen läßt, schilderten die Touristen in großen Büchern. Nur leider
von dem Leben, was drinnen in den Thälern, droben auf den Bergen,
unten längs der Bergwasser sich selbständig gestaltet oder veraltet, was
seit Jahrhunderten sich eigenthümlich fortentwickelte oder fremden Ein¬
flüssen anheimfiel, erhalten wir höchst selten eine Kunde; die Welt jagt
so geschwind, da hat man keine Zeit zum Leben in den Thälern, voll¬
ends zum Sicheinleben mit deren Menschen; die Reise ist keine Lust,
sondern ein Geschäft, das man so weit als möglich ausdehnt und so
rasch als möglich abthut, um in den Wintergesellschaften die Prüfung
über den verbrachten Sommer glänzend zu bestehen, um überall als
Augenzeuge mitsprechen zu können, wo es sich um berühmte Berggipfel
und bekannte Aussichten handelt, oder -- um ein Buch zu geben,
worin die blosirte Gesellschaftswelt ihre Reiseerinnerungen hübsch de-
corirt und zierlich ausstaffirt wiederfindet, damit sie sich mit der Lectüre
in sanften Schlummer lesen könne. Für solchen Geschmack taugen die
"Drei Sommer in Tyrol" von Ludwig Steub nicht im Mindesten.


Grenzhvrc". >V. 1840.
L. Steub's „drei Sommer in Tyrol." ^



Von Chur läuft am jungen Rhein herauf eine Chaussee, von
Bregenz herunter kommt eine andere ihr entgegen und in Feldkirch stoßen
beide aufeinander. Von da aus zieht sich die große Straße quer durch
das nördliche Tyrol. Ueber Pludenz, Stuben, Landeck, Wasserreit und
Telfs gelangt sie in streng westlicher Richtung gen Innsbruck, von da
steigt sie nordostwärts nach Salzburg und dem Salzkammergut. Dann
stoßt auf sie herab, von München kommend, der große Weg nach Ita¬
lien; von Botzen laufen, gabelförmig gespalten, zwei Straßen zu ihr
auf: über Briren und den Brenner die östliche, über Meraue-und
durch das Engadiner Thal die westliche. Dies Alles sind bekannte
Dinge; die Namen rechts und links an diesen Routen kennt unsere
Reiscwelt genau; auch was sich von da aus mit kleinen Abstechern
erreichen läßt, schilderten die Touristen in großen Büchern. Nur leider
von dem Leben, was drinnen in den Thälern, droben auf den Bergen,
unten längs der Bergwasser sich selbständig gestaltet oder veraltet, was
seit Jahrhunderten sich eigenthümlich fortentwickelte oder fremden Ein¬
flüssen anheimfiel, erhalten wir höchst selten eine Kunde; die Welt jagt
so geschwind, da hat man keine Zeit zum Leben in den Thälern, voll¬
ends zum Sicheinleben mit deren Menschen; die Reise ist keine Lust,
sondern ein Geschäft, das man so weit als möglich ausdehnt und so
rasch als möglich abthut, um in den Wintergesellschaften die Prüfung
über den verbrachten Sommer glänzend zu bestehen, um überall als
Augenzeuge mitsprechen zu können, wo es sich um berühmte Berggipfel
und bekannte Aussichten handelt, oder — um ein Buch zu geben,
worin die blosirte Gesellschaftswelt ihre Reiseerinnerungen hübsch de-
corirt und zierlich ausstaffirt wiederfindet, damit sie sich mit der Lectüre
in sanften Schlummer lesen könne. Für solchen Geschmack taugen die
„Drei Sommer in Tyrol" von Ludwig Steub nicht im Mindesten.


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[0413] L. Steub's „drei Sommer in Tyrol." ^ Von Chur läuft am jungen Rhein herauf eine Chaussee, von Bregenz herunter kommt eine andere ihr entgegen und in Feldkirch stoßen beide aufeinander. Von da aus zieht sich die große Straße quer durch das nördliche Tyrol. Ueber Pludenz, Stuben, Landeck, Wasserreit und Telfs gelangt sie in streng westlicher Richtung gen Innsbruck, von da steigt sie nordostwärts nach Salzburg und dem Salzkammergut. Dann stoßt auf sie herab, von München kommend, der große Weg nach Ita¬ lien; von Botzen laufen, gabelförmig gespalten, zwei Straßen zu ihr auf: über Briren und den Brenner die östliche, über Meraue-und durch das Engadiner Thal die westliche. Dies Alles sind bekannte Dinge; die Namen rechts und links an diesen Routen kennt unsere Reiscwelt genau; auch was sich von da aus mit kleinen Abstechern erreichen läßt, schilderten die Touristen in großen Büchern. Nur leider von dem Leben, was drinnen in den Thälern, droben auf den Bergen, unten längs der Bergwasser sich selbständig gestaltet oder veraltet, was seit Jahrhunderten sich eigenthümlich fortentwickelte oder fremden Ein¬ flüssen anheimfiel, erhalten wir höchst selten eine Kunde; die Welt jagt so geschwind, da hat man keine Zeit zum Leben in den Thälern, voll¬ ends zum Sicheinleben mit deren Menschen; die Reise ist keine Lust, sondern ein Geschäft, das man so weit als möglich ausdehnt und so rasch als möglich abthut, um in den Wintergesellschaften die Prüfung über den verbrachten Sommer glänzend zu bestehen, um überall als Augenzeuge mitsprechen zu können, wo es sich um berühmte Berggipfel und bekannte Aussichten handelt, oder — um ein Buch zu geben, worin die blosirte Gesellschaftswelt ihre Reiseerinnerungen hübsch de- corirt und zierlich ausstaffirt wiederfindet, damit sie sich mit der Lectüre in sanften Schlummer lesen könne. Für solchen Geschmack taugen die „Drei Sommer in Tyrol" von Ludwig Steub nicht im Mindesten. Grenzhvrc». >V. 1840.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/413>, abgerufen am 03.05.2024.