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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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schaften und geschichtliche. Jene sollten die Dinge vorstellen, wie sie seien,
diese, wie sie geworden seien. Da aber alle Dinge geworden sind, auch
die Natur noch täglich wird, so bleiben uns bei solcher Einrheilung gar
-keine Naturwissenschaften, um nicht davon zu reden, daß man nicht steht,
wo die Philosophie hinkommen soll. Gutzkow knüpfte seine Rede an
Lübeck und wußte die Reformationsgeschichte gewandt und geistreich zu
entwickeln. Theodor Ereizenach kann, so oft er spricht, des Beifalles ge¬
wiß sein und von Braunfels brauche ich nicht erst zu sagen, daß er ein
gewandter Redner ist. Sonst habe ich von Frankfurter Literaten Nieman¬
den bemerkt, als den thätigen und vielgefälligcn Hrn. Ebner, den Heraus¬
7^. geber des neuen Blattes: "Der Frankfurter Beobachter."


IV.
Aus I"n6drü<L.

Wallfahrten. -- Cochem's Wiederauferstehung. -- Das Decret gegen Anders¬
gläubige. -- Ein Musiklehrer.

Einige Stunden von hier, zu Waldrast oberhalb Matrei, befand
sich in früherer Zeit ein Bild der Gottesmutter, dem man viele Wunder
nachrühmt. Nach der Aufhebung des dabei erbauten Hospizes der Ser¬
vicen durch Kaiser Joseph II. wurde es, wie man erzählt, nach Mieders
versetzt, wiewohl es auch an Aussagen nicht fehlt, die das Original in
die Hände einer andern Gemeinde legen. Als nun die servilen wieder
mit ihrem einstigen Sitze betraut wurden, forderten sie auch das Bild,
worauf sie ein altes Recht zu haben glaub/en; allein beide Gemeinden
verweigerten die Herausgabe, ja zwischen ihnen selbst erhob sich jetzt Aank
und Hader, wer von ihnen das wahre Wunderbild besitze. Endlich erhielt
jenes von Mieders den Preis und der Orden den Sieg über seine beiden
Gegner; mit großer Feier ward es wieder an eben den Platz gestellt, wo
nach des frommen Brandis*) Bericht eine englische Stimme einst seine
Entstehung verkündete. Scheint es doch, als ob man das Volk im
Glauben bestärken wollte, daß eine Wunderkraft an Holz und Stein ge¬
bunden sei. Man lenkt unverkennbar wieder in P. Cochem's Lehrsätze
ein, und in der That kam es schon dahin, daß ihn hier ein Vater selbst
hinter dem Rücken des Lehrers seinen Kindern in die Hände spielte. --
Das nennen nun unsere Jesuiten und ihre eifrigen Jünger "Reinbe¬
wahrung des Glaubens."

Begreiflicher Weise konnte den Leuten dieser Fahne nichts Widerli¬
cheres vorkommen, als eine Ansiedelung von Protestanten. Zwei Preu-
szinnen hatten jüngst das alte Schloß Kropfsberg gekauft, um sich, von
der anmuthigen Gegend angezogen, daselbst anzusiedeln. Sogleich witter¬
ten die geistlichen Herren der Nachbarschaft Gefahr für das glaubens¬
schwache Aillerthal; der Vorfall kam zur Kenntniß der Landesstelle, die
den Kauf wegen Mangels der kreisämtlichcn Bewilligung für nichtig er-



*) Des tirolischen Adlers immergrünendes Ehrenkränzel, Innsbruck 1678.

schaften und geschichtliche. Jene sollten die Dinge vorstellen, wie sie seien,
diese, wie sie geworden seien. Da aber alle Dinge geworden sind, auch
die Natur noch täglich wird, so bleiben uns bei solcher Einrheilung gar
-keine Naturwissenschaften, um nicht davon zu reden, daß man nicht steht,
wo die Philosophie hinkommen soll. Gutzkow knüpfte seine Rede an
Lübeck und wußte die Reformationsgeschichte gewandt und geistreich zu
entwickeln. Theodor Ereizenach kann, so oft er spricht, des Beifalles ge¬
wiß sein und von Braunfels brauche ich nicht erst zu sagen, daß er ein
gewandter Redner ist. Sonst habe ich von Frankfurter Literaten Nieman¬
den bemerkt, als den thätigen und vielgefälligcn Hrn. Ebner, den Heraus¬
7^. geber des neuen Blattes: „Der Frankfurter Beobachter."


IV.
Aus I«n6drü<L.

Wallfahrten. — Cochem's Wiederauferstehung. — Das Decret gegen Anders¬
gläubige. — Ein Musiklehrer.

Einige Stunden von hier, zu Waldrast oberhalb Matrei, befand
sich in früherer Zeit ein Bild der Gottesmutter, dem man viele Wunder
nachrühmt. Nach der Aufhebung des dabei erbauten Hospizes der Ser¬
vicen durch Kaiser Joseph II. wurde es, wie man erzählt, nach Mieders
versetzt, wiewohl es auch an Aussagen nicht fehlt, die das Original in
die Hände einer andern Gemeinde legen. Als nun die servilen wieder
mit ihrem einstigen Sitze betraut wurden, forderten sie auch das Bild,
worauf sie ein altes Recht zu haben glaub/en; allein beide Gemeinden
verweigerten die Herausgabe, ja zwischen ihnen selbst erhob sich jetzt Aank
und Hader, wer von ihnen das wahre Wunderbild besitze. Endlich erhielt
jenes von Mieders den Preis und der Orden den Sieg über seine beiden
Gegner; mit großer Feier ward es wieder an eben den Platz gestellt, wo
nach des frommen Brandis*) Bericht eine englische Stimme einst seine
Entstehung verkündete. Scheint es doch, als ob man das Volk im
Glauben bestärken wollte, daß eine Wunderkraft an Holz und Stein ge¬
bunden sei. Man lenkt unverkennbar wieder in P. Cochem's Lehrsätze
ein, und in der That kam es schon dahin, daß ihn hier ein Vater selbst
hinter dem Rücken des Lehrers seinen Kindern in die Hände spielte. —
Das nennen nun unsere Jesuiten und ihre eifrigen Jünger „Reinbe¬
wahrung des Glaubens."

Begreiflicher Weise konnte den Leuten dieser Fahne nichts Widerli¬
cheres vorkommen, als eine Ansiedelung von Protestanten. Zwei Preu-
szinnen hatten jüngst das alte Schloß Kropfsberg gekauft, um sich, von
der anmuthigen Gegend angezogen, daselbst anzusiedeln. Sogleich witter¬
ten die geistlichen Herren der Nachbarschaft Gefahr für das glaubens¬
schwache Aillerthal; der Vorfall kam zur Kenntniß der Landesstelle, die
den Kauf wegen Mangels der kreisämtlichcn Bewilligung für nichtig er-



*) Des tirolischen Adlers immergrünendes Ehrenkränzel, Innsbruck 1678.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/46>, abgerufen am 03.05.2024.