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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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des dritten Actes laßt eine Abänderung, der fünfte Act Kürzungen wün¬
schen. Das wahrhaft Dramatische des Stoffes hat reiche poetische Blü¬
then getrieben; keine Floskeln, Leine Tiraden rufen das verstimmende Ge¬
fühl des Gemachtem, Absichtlichen hervor; man fühlt es diesen Versen an,
daß sie aus einer von der ganzen Bedeutung des Stoffes tiefinnerlich
durchdrungenen Brust hervorgequollen sind. Das konfessionelle ist nach
seinen verschiedenen Richtungen außerordentlich treffend in den einzelnen
Charakteren hingestellt. Wahrend der Rabbi de Santos den starren
Glaubenszwang, Acosta das Recht der freien Vernunft repräsentirt, steht
zwischen ihnen der Arzt de silva; auch er hat einst über Glaubenssachen
philosophirt und wenn ihn auch das Alter auf die feste Basis des Ueber-
lieferten zurückgezogen hat, so drängt ihn doch ein unabweisbares Bewußt¬
sein von der Berechtigung des freien Denkens auf den Weg des justv-
milivu hin, auf welchem er die aneinander gerathenen Extreme zu ver¬
mitteln strebt. Am reinsten im Glauben aber steht der Overrabbi Ben-
Akiba da, denn er leugnet, daß der Glaube bewiesen werden könne.

Uebrigens gibt dieses Stück einen neuen Beleg von der glücklichen
Vielseitigkeit des Dichters in der dramatischen Poesie aller Formen; stellen
wir "Werner" und das "Urbild des Tartüffe" daneben, so sehen wir
Tragödie, Schauspiel und Lustspiel würdig vertreten. Und wenn auch
diese neueste Dichtung vielleicht nur ein kleines Publicum für sich in
Anspruch nehmen kann -- denn, wie bei der Kammermusik jede Note,
will hier jeder Vers erfaßt, verstanden werden so wird doch dieses
kleine Publicum es über die ephemere Vergänglichkeit der nur mit einem
momentanen Interesse des Socialismus oder der Politik flatternden dra¬
matischen Eintagsfliegen hinaussehen; wir werden den Uriel Acosta nach
einem, nach zehn Jahren mit demselben Interesse, mit demselben poeti¬
schen Genusse wiedersehen und ihm deshalb gern und freudig den Adel
des Classischen zugestehen.

Die Darstellung war bis in die Nebenrollen eine vorzügliche, der
Beifall des zahlreich versammelten Publicums ein rauschender^ und für
Die, denen diese Thatsachen Gewicht haben, bemerke ich noch, daß der
Dichter dreimal gerufen ward.


E. P.
(Von einem andern Vorrespondente".)

Gutzkow's langerwartetes im Voraus vielbesprochenes Trauerspiel "Uriel
Acosta" ist endlich in Dresden gegeben worden. Die Erwartungen des Publi-
cums waren groß, der ganz ungewöhnliche Beifall zeigte, daß sie nicht getäuscht
worden sind. Der Umstand, daß Gutzkow in dieser Tragödie einen Stoff
aufnahm, den er schon vor Jahren als Novelle behandelt, zeigt, daß er
es hier mit einer Persönlichkeit zu thun hatte, die ihm besonders werth
war und deren er sich noch nicht entledigt zu haben glaubte; unläugbar
ist es ferner, daß der Dichter mit diesem Stücke einen tiefern Griff ins


des dritten Actes laßt eine Abänderung, der fünfte Act Kürzungen wün¬
schen. Das wahrhaft Dramatische des Stoffes hat reiche poetische Blü¬
then getrieben; keine Floskeln, Leine Tiraden rufen das verstimmende Ge¬
fühl des Gemachtem, Absichtlichen hervor; man fühlt es diesen Versen an,
daß sie aus einer von der ganzen Bedeutung des Stoffes tiefinnerlich
durchdrungenen Brust hervorgequollen sind. Das konfessionelle ist nach
seinen verschiedenen Richtungen außerordentlich treffend in den einzelnen
Charakteren hingestellt. Wahrend der Rabbi de Santos den starren
Glaubenszwang, Acosta das Recht der freien Vernunft repräsentirt, steht
zwischen ihnen der Arzt de silva; auch er hat einst über Glaubenssachen
philosophirt und wenn ihn auch das Alter auf die feste Basis des Ueber-
lieferten zurückgezogen hat, so drängt ihn doch ein unabweisbares Bewußt¬
sein von der Berechtigung des freien Denkens auf den Weg des justv-
milivu hin, auf welchem er die aneinander gerathenen Extreme zu ver¬
mitteln strebt. Am reinsten im Glauben aber steht der Overrabbi Ben-
Akiba da, denn er leugnet, daß der Glaube bewiesen werden könne.

Uebrigens gibt dieses Stück einen neuen Beleg von der glücklichen
Vielseitigkeit des Dichters in der dramatischen Poesie aller Formen; stellen
wir „Werner" und das „Urbild des Tartüffe" daneben, so sehen wir
Tragödie, Schauspiel und Lustspiel würdig vertreten. Und wenn auch
diese neueste Dichtung vielleicht nur ein kleines Publicum für sich in
Anspruch nehmen kann — denn, wie bei der Kammermusik jede Note,
will hier jeder Vers erfaßt, verstanden werden so wird doch dieses
kleine Publicum es über die ephemere Vergänglichkeit der nur mit einem
momentanen Interesse des Socialismus oder der Politik flatternden dra¬
matischen Eintagsfliegen hinaussehen; wir werden den Uriel Acosta nach
einem, nach zehn Jahren mit demselben Interesse, mit demselben poeti¬
schen Genusse wiedersehen und ihm deshalb gern und freudig den Adel
des Classischen zugestehen.

Die Darstellung war bis in die Nebenrollen eine vorzügliche, der
Beifall des zahlreich versammelten Publicums ein rauschender^ und für
Die, denen diese Thatsachen Gewicht haben, bemerke ich noch, daß der
Dichter dreimal gerufen ward.


E. P.
(Von einem andern Vorrespondente».)

Gutzkow's langerwartetes im Voraus vielbesprochenes Trauerspiel „Uriel
Acosta" ist endlich in Dresden gegeben worden. Die Erwartungen des Publi-
cums waren groß, der ganz ungewöhnliche Beifall zeigte, daß sie nicht getäuscht
worden sind. Der Umstand, daß Gutzkow in dieser Tragödie einen Stoff
aufnahm, den er schon vor Jahren als Novelle behandelt, zeigt, daß er
es hier mit einer Persönlichkeit zu thun hatte, die ihm besonders werth
war und deren er sich noch nicht entledigt zu haben glaubte; unläugbar
ist es ferner, daß der Dichter mit diesem Stücke einen tiefern Griff ins


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[0481] des dritten Actes laßt eine Abänderung, der fünfte Act Kürzungen wün¬ schen. Das wahrhaft Dramatische des Stoffes hat reiche poetische Blü¬ then getrieben; keine Floskeln, Leine Tiraden rufen das verstimmende Ge¬ fühl des Gemachtem, Absichtlichen hervor; man fühlt es diesen Versen an, daß sie aus einer von der ganzen Bedeutung des Stoffes tiefinnerlich durchdrungenen Brust hervorgequollen sind. Das konfessionelle ist nach seinen verschiedenen Richtungen außerordentlich treffend in den einzelnen Charakteren hingestellt. Wahrend der Rabbi de Santos den starren Glaubenszwang, Acosta das Recht der freien Vernunft repräsentirt, steht zwischen ihnen der Arzt de silva; auch er hat einst über Glaubenssachen philosophirt und wenn ihn auch das Alter auf die feste Basis des Ueber- lieferten zurückgezogen hat, so drängt ihn doch ein unabweisbares Bewußt¬ sein von der Berechtigung des freien Denkens auf den Weg des justv- milivu hin, auf welchem er die aneinander gerathenen Extreme zu ver¬ mitteln strebt. Am reinsten im Glauben aber steht der Overrabbi Ben- Akiba da, denn er leugnet, daß der Glaube bewiesen werden könne. Uebrigens gibt dieses Stück einen neuen Beleg von der glücklichen Vielseitigkeit des Dichters in der dramatischen Poesie aller Formen; stellen wir „Werner" und das „Urbild des Tartüffe" daneben, so sehen wir Tragödie, Schauspiel und Lustspiel würdig vertreten. Und wenn auch diese neueste Dichtung vielleicht nur ein kleines Publicum für sich in Anspruch nehmen kann — denn, wie bei der Kammermusik jede Note, will hier jeder Vers erfaßt, verstanden werden so wird doch dieses kleine Publicum es über die ephemere Vergänglichkeit der nur mit einem momentanen Interesse des Socialismus oder der Politik flatternden dra¬ matischen Eintagsfliegen hinaussehen; wir werden den Uriel Acosta nach einem, nach zehn Jahren mit demselben Interesse, mit demselben poeti¬ schen Genusse wiedersehen und ihm deshalb gern und freudig den Adel des Classischen zugestehen. Die Darstellung war bis in die Nebenrollen eine vorzügliche, der Beifall des zahlreich versammelten Publicums ein rauschender^ und für Die, denen diese Thatsachen Gewicht haben, bemerke ich noch, daß der Dichter dreimal gerufen ward. E. P. (Von einem andern Vorrespondente».) Gutzkow's langerwartetes im Voraus vielbesprochenes Trauerspiel „Uriel Acosta" ist endlich in Dresden gegeben worden. Die Erwartungen des Publi- cums waren groß, der ganz ungewöhnliche Beifall zeigte, daß sie nicht getäuscht worden sind. Der Umstand, daß Gutzkow in dieser Tragödie einen Stoff aufnahm, den er schon vor Jahren als Novelle behandelt, zeigt, daß er es hier mit einer Persönlichkeit zu thun hatte, die ihm besonders werth war und deren er sich noch nicht entledigt zu haben glaubte; unläugbar ist es ferner, daß der Dichter mit diesem Stücke einen tiefern Griff ins

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/481>, abgerufen am 03.05.2024.