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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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ungarischer Poeten geläufiger, als das Leben der Deutschen in Siebenbürgen, das
zu einfach und praktisch vernünftig ist, um die Folie der Poesie wünschenswert!)
zu machen.

In Bukarest ist der Verfasser ganz im Orient. "Diese Hütten, ans Holz und
Lehm flüchtig zusammengeklebt, aus denen die Hauptstadt des "Romanenrcichs"
größtentheils besteht; diese zeltartig mit spitzem Giebel an einander gelehnten
Buden, welche als Karawan - Serai ihren Mittelpunkt bilden; diese niedern Kir¬
chen in byzantinischen Formen, mit ihren Kuppeln und dicken Glockcnthürmcu;
diese engen, krummen Straßen, in denen sich das sonderbarste Gemisch aller Na¬
tionen und Volkstrachten auf- und abdrängt -- geben sie nicht schon dem flüch¬
tigen Beobachter ganz das Bild, unter welchem wir uns deu orieutalen Typus
veranschaulichen? Und wenn wir dazwischen moderne Paläste im pseudo-antiken
Kompilatorenstyle des-19. Jahrhunderts gewahren, wenn wir eleganten Equipa¬
gen mit den feinsten Pariser- und Wiener Toiletten gefüllt begegnen, wenn wir
Compagnien in Uniformen nach dem neuesten Schnitte mit europäischer Präcision
dahcrmarschireu sehen, wo wir eher den thurmartige" Kalpak des Fanarioteu und
den Turban des Osmanli uns heimisch denken gelernt haben, sind wir nicht eher
befremdet von diesen Erscheinungen, und geneigt, sie für Abnormitäten zuhalten?"

Das hindert aber nicht, mit derselben Sorgfalt, hier wie in Nustschuck und
Galatz, wohin von da aus die Reise geht, mit großer Aufmerksamkeit, soweit es
der flüchtigen Wanderung möglich ist, das politische sociale Leben zu betrachten.

Constantinopel ist nun der Mittelpunkt der Reise, und der Verfasser hat es
leicht, durch den bunten Wechsel der verschiedenartigsten Bilder angenehm zu unter¬
halte". Was er von historischen Notizen und politischen Betrachtungen gibt, will
nicht viel sagen, denn es kommt ans der dritten Hand, und ist außerdem das
gewöhnliche Räsonnement. Dagegen wird die Lebendigkeit und Wahrheit der ein¬
zelnen Schilderungen durch die ungesuchte, freilich etwas nüchterne Sprache nur
noch glaubwürdiger.

Die Zustände Athens schließen das Ganze. Des Baiers patriotisches Herz
schlägt auch uoch in der Ferne für den Sprößling seines Königshauses und
er endet mit der Versicherung, daß wenn auch von den politischen Parteien, die
sich gegenwärtig an der Negierung des Landes betheiligen, eine nach der andern
fallen sollte, dennoch der Thron König Otto's unangetastet feststehen wird, weil
seine Stützen in den Herzen des Volkes aufgerichtet sind. --


4. I. U. Lraigher

Ein vollständiger Gegensatz zu den vorerwähnten Reisenden mit seiner durch
und durch praktischen Auffassung ist der schwärmerische, katholische Reisende,



*) "Erinnerungen aus dem Orient." Trieft, 1847. Favargcr.
Grenzboten. IV.>,i

ungarischer Poeten geläufiger, als das Leben der Deutschen in Siebenbürgen, das
zu einfach und praktisch vernünftig ist, um die Folie der Poesie wünschenswert!)
zu machen.

In Bukarest ist der Verfasser ganz im Orient. „Diese Hütten, ans Holz und
Lehm flüchtig zusammengeklebt, aus denen die Hauptstadt des „Romanenrcichs"
größtentheils besteht; diese zeltartig mit spitzem Giebel an einander gelehnten
Buden, welche als Karawan - Serai ihren Mittelpunkt bilden; diese niedern Kir¬
chen in byzantinischen Formen, mit ihren Kuppeln und dicken Glockcnthürmcu;
diese engen, krummen Straßen, in denen sich das sonderbarste Gemisch aller Na¬
tionen und Volkstrachten auf- und abdrängt — geben sie nicht schon dem flüch¬
tigen Beobachter ganz das Bild, unter welchem wir uns deu orieutalen Typus
veranschaulichen? Und wenn wir dazwischen moderne Paläste im pseudo-antiken
Kompilatorenstyle des-19. Jahrhunderts gewahren, wenn wir eleganten Equipa¬
gen mit den feinsten Pariser- und Wiener Toiletten gefüllt begegnen, wenn wir
Compagnien in Uniformen nach dem neuesten Schnitte mit europäischer Präcision
dahcrmarschireu sehen, wo wir eher den thurmartige» Kalpak des Fanarioteu und
den Turban des Osmanli uns heimisch denken gelernt haben, sind wir nicht eher
befremdet von diesen Erscheinungen, und geneigt, sie für Abnormitäten zuhalten?"

Das hindert aber nicht, mit derselben Sorgfalt, hier wie in Nustschuck und
Galatz, wohin von da aus die Reise geht, mit großer Aufmerksamkeit, soweit es
der flüchtigen Wanderung möglich ist, das politische sociale Leben zu betrachten.

Constantinopel ist nun der Mittelpunkt der Reise, und der Verfasser hat es
leicht, durch den bunten Wechsel der verschiedenartigsten Bilder angenehm zu unter¬
halte». Was er von historischen Notizen und politischen Betrachtungen gibt, will
nicht viel sagen, denn es kommt ans der dritten Hand, und ist außerdem das
gewöhnliche Räsonnement. Dagegen wird die Lebendigkeit und Wahrheit der ein¬
zelnen Schilderungen durch die ungesuchte, freilich etwas nüchterne Sprache nur
noch glaubwürdiger.

Die Zustände Athens schließen das Ganze. Des Baiers patriotisches Herz
schlägt auch uoch in der Ferne für den Sprößling seines Königshauses und
er endet mit der Versicherung, daß wenn auch von den politischen Parteien, die
sich gegenwärtig an der Negierung des Landes betheiligen, eine nach der andern
fallen sollte, dennoch der Thron König Otto's unangetastet feststehen wird, weil
seine Stützen in den Herzen des Volkes aufgerichtet sind. —


4. I. U. Lraigher

Ein vollständiger Gegensatz zu den vorerwähnten Reisenden mit seiner durch
und durch praktischen Auffassung ist der schwärmerische, katholische Reisende,



*) „Erinnerungen aus dem Orient." Trieft, 1847. Favargcr.
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[0129] ungarischer Poeten geläufiger, als das Leben der Deutschen in Siebenbürgen, das zu einfach und praktisch vernünftig ist, um die Folie der Poesie wünschenswert!) zu machen. In Bukarest ist der Verfasser ganz im Orient. „Diese Hütten, ans Holz und Lehm flüchtig zusammengeklebt, aus denen die Hauptstadt des „Romanenrcichs" größtentheils besteht; diese zeltartig mit spitzem Giebel an einander gelehnten Buden, welche als Karawan - Serai ihren Mittelpunkt bilden; diese niedern Kir¬ chen in byzantinischen Formen, mit ihren Kuppeln und dicken Glockcnthürmcu; diese engen, krummen Straßen, in denen sich das sonderbarste Gemisch aller Na¬ tionen und Volkstrachten auf- und abdrängt — geben sie nicht schon dem flüch¬ tigen Beobachter ganz das Bild, unter welchem wir uns deu orieutalen Typus veranschaulichen? Und wenn wir dazwischen moderne Paläste im pseudo-antiken Kompilatorenstyle des-19. Jahrhunderts gewahren, wenn wir eleganten Equipa¬ gen mit den feinsten Pariser- und Wiener Toiletten gefüllt begegnen, wenn wir Compagnien in Uniformen nach dem neuesten Schnitte mit europäischer Präcision dahcrmarschireu sehen, wo wir eher den thurmartige» Kalpak des Fanarioteu und den Turban des Osmanli uns heimisch denken gelernt haben, sind wir nicht eher befremdet von diesen Erscheinungen, und geneigt, sie für Abnormitäten zuhalten?" Das hindert aber nicht, mit derselben Sorgfalt, hier wie in Nustschuck und Galatz, wohin von da aus die Reise geht, mit großer Aufmerksamkeit, soweit es der flüchtigen Wanderung möglich ist, das politische sociale Leben zu betrachten. Constantinopel ist nun der Mittelpunkt der Reise, und der Verfasser hat es leicht, durch den bunten Wechsel der verschiedenartigsten Bilder angenehm zu unter¬ halte». Was er von historischen Notizen und politischen Betrachtungen gibt, will nicht viel sagen, denn es kommt ans der dritten Hand, und ist außerdem das gewöhnliche Räsonnement. Dagegen wird die Lebendigkeit und Wahrheit der ein¬ zelnen Schilderungen durch die ungesuchte, freilich etwas nüchterne Sprache nur noch glaubwürdiger. Die Zustände Athens schließen das Ganze. Des Baiers patriotisches Herz schlägt auch uoch in der Ferne für den Sprößling seines Königshauses und er endet mit der Versicherung, daß wenn auch von den politischen Parteien, die sich gegenwärtig an der Negierung des Landes betheiligen, eine nach der andern fallen sollte, dennoch der Thron König Otto's unangetastet feststehen wird, weil seine Stützen in den Herzen des Volkes aufgerichtet sind. — 4. I. U. Lraigher Ein vollständiger Gegensatz zu den vorerwähnten Reisenden mit seiner durch und durch praktischen Auffassung ist der schwärmerische, katholische Reisende, *) „Erinnerungen aus dem Orient." Trieft, 1847. Favargcr. Grenzboten. IV.>,i

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/129>, abgerufen am 05.05.2024.