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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Von Wien geht die Reise nach Preßburg und Pesth. Bei der ungemeinen
Unparteilichkeit, mit welcher der Verfasser allen, nach den heterogensten Erschei¬
nungen ihr Recht angedeihen zu lassen strebt, ist es nicht zu vermeiden, daß er
ebenso die nationalen Tendenzen der Magyaren anerkennt, als die centralisirenden An¬
sichten der deutschen Regierung. Eine solche Unparteilichkeit hat aber etwas Mißli¬
ches, und steht immer mit einem gewissen Jndifferentismus im Zusammenhang.
Allein wenn auch die Ansichten über die politische Entwickelung des ungarischen
Ständcwesens in keiner Weise schlagend oder erschöpfend zu nennen sind, so ist
es immer schon ein Gewinn, wenn man "im Reich" begreift, daß es sich in die¬
sen Streitigkeiten doch um ernste, wesentliche Interessen handelt, daß nicht fri¬
vole Zänkereien einzelner Mächtigen sich Luft machen, sondern daß bedeutende
Keime nach einer Entfaltung streben. Viel befriedigender übrigens, als die Schil¬
derung dieser politischen Bewegung, die doch nur vom Hörensagen genommen sein
kann, ist die Darstellung der unmittelbaren, äußeren Eindrücke: Trachten, Wege,
Markt, sociales Leben u. tgi.

Mit der Ankunft in Semlin -- von wo ans der Verfasser einen Abstecher
nach Belgrad unternimmt -- treten wir in eine uns beinahe ganz fremde Welt.
Zwar ist durch die mehrfache Uebersetzung Moralischer Heldengesänge bei uns
ein gewisses ästhetisches Interesse für das tapfere Volk der Serben rege ge¬
worden, das sein heroisches Zeitalter so gut gehabt hat, als die Nationen der
romanisch-germanischen Bildung, auch hat Ranke's elegante Darstellung der ser¬
bischen Revolution uns die Gegenwart dieses Volkes einigermaßen näher gerückt,
aber beides reicht doch nicht hin, uns ein anschauliches Bild von diesem halb
türkischen halb christlichen Wesen zu macheu, denn jene Poesien haben zu den un¬
mittelbaren Verhältnissen der Gegenwart doch nur eine sehr entfernte Beziehung,
und die Darstellung des preußischen Historikers leidet bei aller Kunst doch an
einem wesentlichen Mangel: er nimmt zu sehr Rücksicht auf jene seinem Königshause
befreundete slavische Großmacht, deren unheimliches Wirken wie mit einem feinen,
aber undurchdringlichen Netz das ganze System der südöstlichen Provinzen um¬
strickt. Der Verfasser sucht uns nnn aus den Nachrichten, die er an Ort und
Stelle einsammelte, ein vollständiges Gemälde der neuen serbischen Geschichte
zu geben, von ihrem Heldenkampf uuter Czerui Georg, vou dein er freilich
nur die Lichtseite" hervorhebt, ohne auf das Blutige in seinem Charakter hin¬
zuweisen; von Rußlands Verrath, Oesterreichs politischer Lethargie und der
trotz dieser Hemmnisse allmälig sich verbreitenden politischen Freiheit des serbi¬
schen Volks.

In Hermannstadt finden wir uns wieder auf befreundeten Boden. Auch dem
Reisenden wird wohl zu Muth, wenn er seine Sprache und die gewohnten Sitten
seines Vaterlandes um sich sieht. Das Zigeunerwesen, welches in den Umgebun¬
gen von Kronstäbe geschildert wird, ist uns durch die mannigfachen Darstellungen


Von Wien geht die Reise nach Preßburg und Pesth. Bei der ungemeinen
Unparteilichkeit, mit welcher der Verfasser allen, nach den heterogensten Erschei¬
nungen ihr Recht angedeihen zu lassen strebt, ist es nicht zu vermeiden, daß er
ebenso die nationalen Tendenzen der Magyaren anerkennt, als die centralisirenden An¬
sichten der deutschen Regierung. Eine solche Unparteilichkeit hat aber etwas Mißli¬
ches, und steht immer mit einem gewissen Jndifferentismus im Zusammenhang.
Allein wenn auch die Ansichten über die politische Entwickelung des ungarischen
Ständcwesens in keiner Weise schlagend oder erschöpfend zu nennen sind, so ist
es immer schon ein Gewinn, wenn man „im Reich" begreift, daß es sich in die¬
sen Streitigkeiten doch um ernste, wesentliche Interessen handelt, daß nicht fri¬
vole Zänkereien einzelner Mächtigen sich Luft machen, sondern daß bedeutende
Keime nach einer Entfaltung streben. Viel befriedigender übrigens, als die Schil¬
derung dieser politischen Bewegung, die doch nur vom Hörensagen genommen sein
kann, ist die Darstellung der unmittelbaren, äußeren Eindrücke: Trachten, Wege,
Markt, sociales Leben u. tgi.

Mit der Ankunft in Semlin — von wo ans der Verfasser einen Abstecher
nach Belgrad unternimmt — treten wir in eine uns beinahe ganz fremde Welt.
Zwar ist durch die mehrfache Uebersetzung Moralischer Heldengesänge bei uns
ein gewisses ästhetisches Interesse für das tapfere Volk der Serben rege ge¬
worden, das sein heroisches Zeitalter so gut gehabt hat, als die Nationen der
romanisch-germanischen Bildung, auch hat Ranke's elegante Darstellung der ser¬
bischen Revolution uns die Gegenwart dieses Volkes einigermaßen näher gerückt,
aber beides reicht doch nicht hin, uns ein anschauliches Bild von diesem halb
türkischen halb christlichen Wesen zu macheu, denn jene Poesien haben zu den un¬
mittelbaren Verhältnissen der Gegenwart doch nur eine sehr entfernte Beziehung,
und die Darstellung des preußischen Historikers leidet bei aller Kunst doch an
einem wesentlichen Mangel: er nimmt zu sehr Rücksicht auf jene seinem Königshause
befreundete slavische Großmacht, deren unheimliches Wirken wie mit einem feinen,
aber undurchdringlichen Netz das ganze System der südöstlichen Provinzen um¬
strickt. Der Verfasser sucht uns nnn aus den Nachrichten, die er an Ort und
Stelle einsammelte, ein vollständiges Gemälde der neuen serbischen Geschichte
zu geben, von ihrem Heldenkampf uuter Czerui Georg, vou dein er freilich
nur die Lichtseite» hervorhebt, ohne auf das Blutige in seinem Charakter hin¬
zuweisen; von Rußlands Verrath, Oesterreichs politischer Lethargie und der
trotz dieser Hemmnisse allmälig sich verbreitenden politischen Freiheit des serbi¬
schen Volks.

In Hermannstadt finden wir uns wieder auf befreundeten Boden. Auch dem
Reisenden wird wohl zu Muth, wenn er seine Sprache und die gewohnten Sitten
seines Vaterlandes um sich sieht. Das Zigeunerwesen, welches in den Umgebun¬
gen von Kronstäbe geschildert wird, ist uns durch die mannigfachen Darstellungen


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[0128] Von Wien geht die Reise nach Preßburg und Pesth. Bei der ungemeinen Unparteilichkeit, mit welcher der Verfasser allen, nach den heterogensten Erschei¬ nungen ihr Recht angedeihen zu lassen strebt, ist es nicht zu vermeiden, daß er ebenso die nationalen Tendenzen der Magyaren anerkennt, als die centralisirenden An¬ sichten der deutschen Regierung. Eine solche Unparteilichkeit hat aber etwas Mißli¬ ches, und steht immer mit einem gewissen Jndifferentismus im Zusammenhang. Allein wenn auch die Ansichten über die politische Entwickelung des ungarischen Ständcwesens in keiner Weise schlagend oder erschöpfend zu nennen sind, so ist es immer schon ein Gewinn, wenn man „im Reich" begreift, daß es sich in die¬ sen Streitigkeiten doch um ernste, wesentliche Interessen handelt, daß nicht fri¬ vole Zänkereien einzelner Mächtigen sich Luft machen, sondern daß bedeutende Keime nach einer Entfaltung streben. Viel befriedigender übrigens, als die Schil¬ derung dieser politischen Bewegung, die doch nur vom Hörensagen genommen sein kann, ist die Darstellung der unmittelbaren, äußeren Eindrücke: Trachten, Wege, Markt, sociales Leben u. tgi. Mit der Ankunft in Semlin — von wo ans der Verfasser einen Abstecher nach Belgrad unternimmt — treten wir in eine uns beinahe ganz fremde Welt. Zwar ist durch die mehrfache Uebersetzung Moralischer Heldengesänge bei uns ein gewisses ästhetisches Interesse für das tapfere Volk der Serben rege ge¬ worden, das sein heroisches Zeitalter so gut gehabt hat, als die Nationen der romanisch-germanischen Bildung, auch hat Ranke's elegante Darstellung der ser¬ bischen Revolution uns die Gegenwart dieses Volkes einigermaßen näher gerückt, aber beides reicht doch nicht hin, uns ein anschauliches Bild von diesem halb türkischen halb christlichen Wesen zu macheu, denn jene Poesien haben zu den un¬ mittelbaren Verhältnissen der Gegenwart doch nur eine sehr entfernte Beziehung, und die Darstellung des preußischen Historikers leidet bei aller Kunst doch an einem wesentlichen Mangel: er nimmt zu sehr Rücksicht auf jene seinem Königshause befreundete slavische Großmacht, deren unheimliches Wirken wie mit einem feinen, aber undurchdringlichen Netz das ganze System der südöstlichen Provinzen um¬ strickt. Der Verfasser sucht uns nnn aus den Nachrichten, die er an Ort und Stelle einsammelte, ein vollständiges Gemälde der neuen serbischen Geschichte zu geben, von ihrem Heldenkampf uuter Czerui Georg, vou dein er freilich nur die Lichtseite» hervorhebt, ohne auf das Blutige in seinem Charakter hin¬ zuweisen; von Rußlands Verrath, Oesterreichs politischer Lethargie und der trotz dieser Hemmnisse allmälig sich verbreitenden politischen Freiheit des serbi¬ schen Volks. In Hermannstadt finden wir uns wieder auf befreundeten Boden. Auch dem Reisenden wird wohl zu Muth, wenn er seine Sprache und die gewohnten Sitten seines Vaterlandes um sich sieht. Das Zigeunerwesen, welches in den Umgebun¬ gen von Kronstäbe geschildert wird, ist uns durch die mannigfachen Darstellungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/128>, abgerufen am 18.05.2024.