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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Bremen, die dritte der Schwesterstädte, ist eine gar eigenthümliche Stadt.
Als Handelsplatz ist es der interessanteste, lebendigste, den man sich denken kann,
sonst aber in allen übrigen Beziehungen der langweiligste, einförmigste Ort der
Welt. Keine Stadt im ganzen übrigen Deutschland kenne ich, wo ich so ungern
leben möchte, als grade in Bremen. Man kennt hier nnr dreierlei: schnell und
gewandt rechnen, recht orthodoxe Predigten mit anhören, und gut essen und trin¬
ken. Daß es natürlich Ausnahmen von allem diesem gibt, ist gewiß, aber die
allgemeine Charakteristik der Stadt ist nnn entschieden so. Wer hier kein Kauf¬
mann, Prediger oder Feinschmecker ist, muß sich furchtbar langweilen, und gar
ein Fremder, der ohne sehr genane Bekanntschaften hier zu weilen verdammt ist,
kann entschieden nichts besseres thun, als alle seine freien Stunden im Rathskel-
ler bei der berühmten Frau Rose und den noch berühmteren Aposteln verbringen;
müßte ich hier leben, ich würde am Hafen, in Vegesack und Bremerhaven, und
sonst im Rathskeller sein.

Bremen ist als Handelsplatz lange nicht so großartig und besonders nicht so
vielseitig als Hamburg, aber es ist strebsamer und daher auch interessanter. Vielleicht
hat keine zweite Handelsstadt in ganz Europa in letzter Zeit ihre HandclstlMgkcit
so vergrößert"), als diese, wenig Kaufleute laufen den Bremern an Rührigkeit und
eifriger Geschäftigkeit den Rang ab. Die Kaufmannschaft hat daselbst einen für
Deutschland seltenen Unternehmungsgeist, vereint mit Schnelligkeit und Kühnheit,
und dabei doch wieder mit Vorsicht. Dadurch allein ist es ihr möglich geworden,
trotz aller ungünstigen Verhältnissen, und besonders der schlechten Handelslage
mitten zwischen den beiden mächtigen Concurrenten Hamburg und Amsterdam, sich
einen so bedeutenden eigenen Handel zu schaffen, und besonders auch den ganzen
amerikanischen Handel so sehr an sich zu ziehen. Die Stadt hat wohl über 500
Comptoire en ^roh handelnder Kaufleute, und es dürfte wohl in Nord - und
Südamerika keinen nur einigermaßen bedeutenden Handelsplatz geben, in dem sich
nicht Bremer Commanditen und Zweighäuser befinden. Dadurch aber erlangen
die hiesigen Kaufleute eine so sehr bedeutende Kenntuiß aller auswärtigen Ver¬
hältnisse, können ihre Haudclsopcratioueu mit so vieler Umsicht und so wieder mit
glücklichem Erfolg leiten. Man wird selten einen jungen Kaufmann in Bremen
Wden, der, bevor er sich selbst etablirt, nicht vorher längere Zeit im Auslande
gewesen, dort persönliche Handelsverbindungen angeknüpft hat. Wie ungemein
wichtig ist dies aber, wie wird das spätere Geschäft in jeder Beziehung dadurch
erleichtert! Es läßt sich dieses viele Reisen der jungen Bremer Kaufleute aber leicht er-



D. Red.
*) Und Trieft'!!
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B r e in e n.

Bremen, die dritte der Schwesterstädte, ist eine gar eigenthümliche Stadt.
Als Handelsplatz ist es der interessanteste, lebendigste, den man sich denken kann,
sonst aber in allen übrigen Beziehungen der langweiligste, einförmigste Ort der
Welt. Keine Stadt im ganzen übrigen Deutschland kenne ich, wo ich so ungern
leben möchte, als grade in Bremen. Man kennt hier nnr dreierlei: schnell und
gewandt rechnen, recht orthodoxe Predigten mit anhören, und gut essen und trin¬
ken. Daß es natürlich Ausnahmen von allem diesem gibt, ist gewiß, aber die
allgemeine Charakteristik der Stadt ist nnn entschieden so. Wer hier kein Kauf¬
mann, Prediger oder Feinschmecker ist, muß sich furchtbar langweilen, und gar
ein Fremder, der ohne sehr genane Bekanntschaften hier zu weilen verdammt ist,
kann entschieden nichts besseres thun, als alle seine freien Stunden im Rathskel-
ler bei der berühmten Frau Rose und den noch berühmteren Aposteln verbringen;
müßte ich hier leben, ich würde am Hafen, in Vegesack und Bremerhaven, und
sonst im Rathskeller sein.

Bremen ist als Handelsplatz lange nicht so großartig und besonders nicht so
vielseitig als Hamburg, aber es ist strebsamer und daher auch interessanter. Vielleicht
hat keine zweite Handelsstadt in ganz Europa in letzter Zeit ihre HandclstlMgkcit
so vergrößert"), als diese, wenig Kaufleute laufen den Bremern an Rührigkeit und
eifriger Geschäftigkeit den Rang ab. Die Kaufmannschaft hat daselbst einen für
Deutschland seltenen Unternehmungsgeist, vereint mit Schnelligkeit und Kühnheit,
und dabei doch wieder mit Vorsicht. Dadurch allein ist es ihr möglich geworden,
trotz aller ungünstigen Verhältnissen, und besonders der schlechten Handelslage
mitten zwischen den beiden mächtigen Concurrenten Hamburg und Amsterdam, sich
einen so bedeutenden eigenen Handel zu schaffen, und besonders auch den ganzen
amerikanischen Handel so sehr an sich zu ziehen. Die Stadt hat wohl über 500
Comptoire en ^roh handelnder Kaufleute, und es dürfte wohl in Nord - und
Südamerika keinen nur einigermaßen bedeutenden Handelsplatz geben, in dem sich
nicht Bremer Commanditen und Zweighäuser befinden. Dadurch aber erlangen
die hiesigen Kaufleute eine so sehr bedeutende Kenntuiß aller auswärtigen Ver¬
hältnisse, können ihre Haudclsopcratioueu mit so vieler Umsicht und so wieder mit
glücklichem Erfolg leiten. Man wird selten einen jungen Kaufmann in Bremen
Wden, der, bevor er sich selbst etablirt, nicht vorher längere Zeit im Auslande
gewesen, dort persönliche Handelsverbindungen angeknüpft hat. Wie ungemein
wichtig ist dies aber, wie wird das spätere Geschäft in jeder Beziehung dadurch
erleichtert! Es läßt sich dieses viele Reisen der jungen Bremer Kaufleute aber leicht er-



D. Red.
*) Und Trieft'!!
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[0381] »V. B r e in e n. Bremen, die dritte der Schwesterstädte, ist eine gar eigenthümliche Stadt. Als Handelsplatz ist es der interessanteste, lebendigste, den man sich denken kann, sonst aber in allen übrigen Beziehungen der langweiligste, einförmigste Ort der Welt. Keine Stadt im ganzen übrigen Deutschland kenne ich, wo ich so ungern leben möchte, als grade in Bremen. Man kennt hier nnr dreierlei: schnell und gewandt rechnen, recht orthodoxe Predigten mit anhören, und gut essen und trin¬ ken. Daß es natürlich Ausnahmen von allem diesem gibt, ist gewiß, aber die allgemeine Charakteristik der Stadt ist nnn entschieden so. Wer hier kein Kauf¬ mann, Prediger oder Feinschmecker ist, muß sich furchtbar langweilen, und gar ein Fremder, der ohne sehr genane Bekanntschaften hier zu weilen verdammt ist, kann entschieden nichts besseres thun, als alle seine freien Stunden im Rathskel- ler bei der berühmten Frau Rose und den noch berühmteren Aposteln verbringen; müßte ich hier leben, ich würde am Hafen, in Vegesack und Bremerhaven, und sonst im Rathskeller sein. Bremen ist als Handelsplatz lange nicht so großartig und besonders nicht so vielseitig als Hamburg, aber es ist strebsamer und daher auch interessanter. Vielleicht hat keine zweite Handelsstadt in ganz Europa in letzter Zeit ihre HandclstlMgkcit so vergrößert"), als diese, wenig Kaufleute laufen den Bremern an Rührigkeit und eifriger Geschäftigkeit den Rang ab. Die Kaufmannschaft hat daselbst einen für Deutschland seltenen Unternehmungsgeist, vereint mit Schnelligkeit und Kühnheit, und dabei doch wieder mit Vorsicht. Dadurch allein ist es ihr möglich geworden, trotz aller ungünstigen Verhältnissen, und besonders der schlechten Handelslage mitten zwischen den beiden mächtigen Concurrenten Hamburg und Amsterdam, sich einen so bedeutenden eigenen Handel zu schaffen, und besonders auch den ganzen amerikanischen Handel so sehr an sich zu ziehen. Die Stadt hat wohl über 500 Comptoire en ^roh handelnder Kaufleute, und es dürfte wohl in Nord - und Südamerika keinen nur einigermaßen bedeutenden Handelsplatz geben, in dem sich nicht Bremer Commanditen und Zweighäuser befinden. Dadurch aber erlangen die hiesigen Kaufleute eine so sehr bedeutende Kenntuiß aller auswärtigen Ver¬ hältnisse, können ihre Haudclsopcratioueu mit so vieler Umsicht und so wieder mit glücklichem Erfolg leiten. Man wird selten einen jungen Kaufmann in Bremen Wden, der, bevor er sich selbst etablirt, nicht vorher längere Zeit im Auslande gewesen, dort persönliche Handelsverbindungen angeknüpft hat. Wie ungemein wichtig ist dies aber, wie wird das spätere Geschäft in jeder Beziehung dadurch erleichtert! Es läßt sich dieses viele Reisen der jungen Bremer Kaufleute aber leicht er- D. Red. *) Und Trieft'!!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/381>, abgerufen am 05.05.2024.