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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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klären. Die Stadt selbst ist ein so unbeschreiblich langweiliger Ort, daß jeder junge
Mann sich von Herzen sehnen wird, mir daraus fort zu kommen, und so lange Jahre
als nur möglich wegzubleiben. Kommt er dann endlich wieder heim, heirathet und
etablirt sich selbst, so weiß er anch wieder nichts anderes daselbst zu beginnen, als
zu rechnen, zu speculiren und zu sinnen, wie er sein Geschäft vergrößere; denn
keine Zerstreuungen irgend einer Art ziehen ihn davon ab. Die Frau kocht, be¬
sorgt das Hauswesen und hört oder lies't Krummacher'sche Predigten, der Mann
rechnet und verzehrt das von der Frau Gekochte. Kommt mau in Privatgesell¬
schaften zusammen, so sprechen die Damen wieder von dem Feuer der Küche und
dem noch größeren der Hölle, was ihnen ihre Prediger so grausig vorzumalen
verstehen, die Männer aber von ihren Haudelsspeeulativucn und Kassenbüchern,
bis man sich dann endlich zu einem sehr soliden Nachtmahl vereinigt. Ge¬
wiß, die Einförmigkeit und Langweiligkeit von Bremen trägt sehr viel dazu
bei, es zu einer so vorzüglichen Handelsstadt zu machen, wie die Lebenslust und
Großartigkeit von Hamburg diesem hierin viel schadet. Ob sich dies mit der Zeit
anch ändern wird, mögen die Götter wissen; vor der Hand sind Bremer Ci¬
garren und Bremer Orthodoxie beide noch gleich bekannt in Deutschland, und es
werden von den respectiven Geschäftsreisenden darin, in beiden Fächern, noch recht
gute Geschäfte gemacht. Gleich stark sind Beide, und erfordern daher einen gu¬
ten Magen, doch sind Erstere im Allgemeinen beliebter wie Letztere.

Dazu hat die Stadt seit einer Reihe von Jahren das Glück, einen Mann
an der Spitze ihres Senates, ja man kann wohl sagen, als fast unbeschränkten
Selbstherrscher zu besitzen, dem an geistiger Schärfe, seltener diplomatischer
Gewandtheit und ungemeiner Rührigkeit und Thätigkeit wohl uur Wenige in
Deutschland gleichkommen, nämlich den auch in den weitesten Kreisen so ehrenvoll
bekannten Bürgermeister Smidt. Was dieser in heikler langen Laufbahn für
Bremen gethan, ist erstaunlich, und der jetzige blühende Zustand desselben ist in
mancher Hinficht sein Werk, wenigstens hat er fast immer deu regsten Anstoß zu
allen nützlichen Unternehmungen gegeben. Von ihm geht auch zum Theil das richtige
Erkennen der Stellung Bremens zum übrige" Deutschland und besonders zum Zollverein
ans, was die Stadt so sehr auszeichnet und ihr noch so großen Vortheil bringen
wird. Die Bremer Kaufleute preisen jetzt ihren deutschen Patriotismus und ihre
Aufopferung für die deutsche Einheit, und in ihrem Sinne thut es auch die in
Bremen gut organisirte und rührige Zeitnngspresse, und wir Anderen helfen mit
vollen Backen anch noch dabei in's Lärmhorn stoßen. Nun, was in Bremen hier¬
in geschieht, ist vielleicht nicht so sehr Patriotismus, als vielmehr richtige Erkennt¬
niß der Verhältnisse und kluge Benutzung der Umstände. Die dortigen Kaufleute
denken uicht minder als andere Kaufleute: erst komme ich, und zum zweiten Mal ich,
und zum dritten Mal wieder ich. Die Bremer DampfschiMhrtsliiüe nach New-
York, die gut eingerichtete Organisirung der Answanderungsbeförderuug, die Hin-


klären. Die Stadt selbst ist ein so unbeschreiblich langweiliger Ort, daß jeder junge
Mann sich von Herzen sehnen wird, mir daraus fort zu kommen, und so lange Jahre
als nur möglich wegzubleiben. Kommt er dann endlich wieder heim, heirathet und
etablirt sich selbst, so weiß er anch wieder nichts anderes daselbst zu beginnen, als
zu rechnen, zu speculiren und zu sinnen, wie er sein Geschäft vergrößere; denn
keine Zerstreuungen irgend einer Art ziehen ihn davon ab. Die Frau kocht, be¬
sorgt das Hauswesen und hört oder lies't Krummacher'sche Predigten, der Mann
rechnet und verzehrt das von der Frau Gekochte. Kommt mau in Privatgesell¬
schaften zusammen, so sprechen die Damen wieder von dem Feuer der Küche und
dem noch größeren der Hölle, was ihnen ihre Prediger so grausig vorzumalen
verstehen, die Männer aber von ihren Haudelsspeeulativucn und Kassenbüchern,
bis man sich dann endlich zu einem sehr soliden Nachtmahl vereinigt. Ge¬
wiß, die Einförmigkeit und Langweiligkeit von Bremen trägt sehr viel dazu
bei, es zu einer so vorzüglichen Handelsstadt zu machen, wie die Lebenslust und
Großartigkeit von Hamburg diesem hierin viel schadet. Ob sich dies mit der Zeit
anch ändern wird, mögen die Götter wissen; vor der Hand sind Bremer Ci¬
garren und Bremer Orthodoxie beide noch gleich bekannt in Deutschland, und es
werden von den respectiven Geschäftsreisenden darin, in beiden Fächern, noch recht
gute Geschäfte gemacht. Gleich stark sind Beide, und erfordern daher einen gu¬
ten Magen, doch sind Erstere im Allgemeinen beliebter wie Letztere.

Dazu hat die Stadt seit einer Reihe von Jahren das Glück, einen Mann
an der Spitze ihres Senates, ja man kann wohl sagen, als fast unbeschränkten
Selbstherrscher zu besitzen, dem an geistiger Schärfe, seltener diplomatischer
Gewandtheit und ungemeiner Rührigkeit und Thätigkeit wohl uur Wenige in
Deutschland gleichkommen, nämlich den auch in den weitesten Kreisen so ehrenvoll
bekannten Bürgermeister Smidt. Was dieser in heikler langen Laufbahn für
Bremen gethan, ist erstaunlich, und der jetzige blühende Zustand desselben ist in
mancher Hinficht sein Werk, wenigstens hat er fast immer deu regsten Anstoß zu
allen nützlichen Unternehmungen gegeben. Von ihm geht auch zum Theil das richtige
Erkennen der Stellung Bremens zum übrige» Deutschland und besonders zum Zollverein
ans, was die Stadt so sehr auszeichnet und ihr noch so großen Vortheil bringen
wird. Die Bremer Kaufleute preisen jetzt ihren deutschen Patriotismus und ihre
Aufopferung für die deutsche Einheit, und in ihrem Sinne thut es auch die in
Bremen gut organisirte und rührige Zeitnngspresse, und wir Anderen helfen mit
vollen Backen anch noch dabei in's Lärmhorn stoßen. Nun, was in Bremen hier¬
in geschieht, ist vielleicht nicht so sehr Patriotismus, als vielmehr richtige Erkennt¬
niß der Verhältnisse und kluge Benutzung der Umstände. Die dortigen Kaufleute
denken uicht minder als andere Kaufleute: erst komme ich, und zum zweiten Mal ich,
und zum dritten Mal wieder ich. Die Bremer DampfschiMhrtsliiüe nach New-
York, die gut eingerichtete Organisirung der Answanderungsbeförderuug, die Hin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/382>, abgerufen am 26.05.2024.