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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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zeigt oft schlagend, wie das Volk mehr werth war als seine Führer. Kr be¬
kämpft die neuere Geschichtsauffassung Mancher, die um des Erfolges willen nur
die Männer des Schreckens gerechtfertigt finden. Er ist ein Gegner der I^inter-
"no on I.r i""re! und nennt diese einfach: Kram'v !Ja it-irtvi'une I'esclii,-
vit^e! Weswegen in grausamem Unsinn den Tod und den heiligen Namen der
Freiheit fesseln? "

Diese Ansicht geht durch sein Werk durch und ist die gute Seite. Er sieht
nicht wie der Todgedankc bereits beim Sturme der Bastille lebendig war, wie
er sich schon vorher am Tage der Sitzung im Ballspielsaale in der Bewaffnung
der Wähler von Paris neben die Vertreter des Volkes stellt, wie er in den
Jakobinern sich über die Nationalversammlung erhebt, wie er in der Kammer von
Paris den Nationalconvent beherrscht. Er schwebt zu hoch in den Lüften, um
ein wenig in die Tiefen zu sehen. Aber wenn er dem: "ein In niort!" mit
blutiger Hand begegnet, da schaudert sein besseres Gefühl zusammen. Und um
dieses bessern Gefühls willen bitten wir Mutter Gerechtigkeit und Vater
Recht dem etwas verwilderten und wirren Sohne seine tollen Streiche "ut
Sünden gegen sie in Gnaden zu vergeben.


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II.
Aus Berlin.

Der Landtag. -- Uriel Acosta. - Die Schauspieler. -- Preußische und sächsische Steno¬
graphen. -- Ein Brutus für drei Thaler.

Berlin gleicht in diesen Tagen einem Schlachtfelde nach dem Gefechte, auf
dem der Dunkelheit wegen, beide Parteien nicht wissen, wer den Sieg davon¬
trug. Weder die Regierung, noch die Partei des Fortschrittes haben können
triumphiren; sie haben Beide verloren und hoffentlich Beide durch ihren Verlust
gelernt, was ihnen zu wissen Noth that. Das Schlimmste, was den Liberalen
begegnen könnte, wäre ein Streit im Innern der Partei. Die Preußen behaup¬
ten, die Rheinländer hätten Alles verdorben durch ein unnützes Diplomatisiren.
Die Rheinländer werfen den Preußen vor, es habe ihnen im entscheidenden Au¬
genblicke an politischem Takte gefehlt, und statt die matte Adresse des Herrn
von Auerswald anzunehmen, hätten sie sie verwerfen sollen, wodurch man zu der
ersten viel entscheidcneren Adresse hätte seine Zuflucht nehmen müssen. Herr von
Vincke aus Westphalen verlangte in der ersten Sitzung Minister, die wie in Eng¬
land mit ihrem Kopfe verantwortlich wären. Herr von Bodelschwingh hat geant¬
wortet, "sie wären mir Diener des Königs und in keiner Weise verantwortlich,
man möge bedenken, wohin solche Redensarten von Verantwortlichkeit mit dem
Kopfe, in einem monarchischen Staate sichren müßten."

Mitten in dieser Aufregung politischer Parteikämpfe, die Männer und
Franc" in gleichem Maße ergriffen hat, ward Gutzkow's Uriel Acosta gestern
zum ersten Male dargestellt. Muß der Autor sich mit Recht beklagen, daß man
sein Gedicht dem Publicum grade in einem Zeitpunkte vorführte, wo das allge-


zeigt oft schlagend, wie das Volk mehr werth war als seine Führer. Kr be¬
kämpft die neuere Geschichtsauffassung Mancher, die um des Erfolges willen nur
die Männer des Schreckens gerechtfertigt finden. Er ist ein Gegner der I^inter-
»no on I.r i»»re! und nennt diese einfach: Kram'v !Ja it-irtvi'une I'esclii,-
vit^e! Weswegen in grausamem Unsinn den Tod und den heiligen Namen der
Freiheit fesseln? "

Diese Ansicht geht durch sein Werk durch und ist die gute Seite. Er sieht
nicht wie der Todgedankc bereits beim Sturme der Bastille lebendig war, wie
er sich schon vorher am Tage der Sitzung im Ballspielsaale in der Bewaffnung
der Wähler von Paris neben die Vertreter des Volkes stellt, wie er in den
Jakobinern sich über die Nationalversammlung erhebt, wie er in der Kammer von
Paris den Nationalconvent beherrscht. Er schwebt zu hoch in den Lüften, um
ein wenig in die Tiefen zu sehen. Aber wenn er dem: „ein In niort!" mit
blutiger Hand begegnet, da schaudert sein besseres Gefühl zusammen. Und um
dieses bessern Gefühls willen bitten wir Mutter Gerechtigkeit und Vater
Recht dem etwas verwilderten und wirren Sohne seine tollen Streiche «ut
Sünden gegen sie in Gnaden zu vergeben.


5 .......''
II.
Aus Berlin.

Der Landtag. — Uriel Acosta. - Die Schauspieler. — Preußische und sächsische Steno¬
graphen. — Ein Brutus für drei Thaler.

Berlin gleicht in diesen Tagen einem Schlachtfelde nach dem Gefechte, auf
dem der Dunkelheit wegen, beide Parteien nicht wissen, wer den Sieg davon¬
trug. Weder die Regierung, noch die Partei des Fortschrittes haben können
triumphiren; sie haben Beide verloren und hoffentlich Beide durch ihren Verlust
gelernt, was ihnen zu wissen Noth that. Das Schlimmste, was den Liberalen
begegnen könnte, wäre ein Streit im Innern der Partei. Die Preußen behaup¬
ten, die Rheinländer hätten Alles verdorben durch ein unnützes Diplomatisiren.
Die Rheinländer werfen den Preußen vor, es habe ihnen im entscheidenden Au¬
genblicke an politischem Takte gefehlt, und statt die matte Adresse des Herrn
von Auerswald anzunehmen, hätten sie sie verwerfen sollen, wodurch man zu der
ersten viel entscheidcneren Adresse hätte seine Zuflucht nehmen müssen. Herr von
Vincke aus Westphalen verlangte in der ersten Sitzung Minister, die wie in Eng¬
land mit ihrem Kopfe verantwortlich wären. Herr von Bodelschwingh hat geant¬
wortet, „sie wären mir Diener des Königs und in keiner Weise verantwortlich,
man möge bedenken, wohin solche Redensarten von Verantwortlichkeit mit dem
Kopfe, in einem monarchischen Staate sichren müßten."

Mitten in dieser Aufregung politischer Parteikämpfe, die Männer und
Franc» in gleichem Maße ergriffen hat, ward Gutzkow's Uriel Acosta gestern
zum ersten Male dargestellt. Muß der Autor sich mit Recht beklagen, daß man
sein Gedicht dem Publicum grade in einem Zeitpunkte vorführte, wo das allge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/140>, abgerufen am 05.05.2024.