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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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4.

Sehen Sie sich den Herrn dort an, mit offenem Blicke, keckem und
doch mildem Auge, -- jetzt streicht er sich den langen Schnurrbart -- das
ist der Generallieutenant von Rüchel. Ein tapferer Degen. "Bei Kreuz-
nach zerriß eine Kugel die Zügel in seiner Hand und er war in Gefahr,
gefangen genommen zu werden. In dem Treffen bei Kaiserslautern war
er es, der das Centrum der Franzosen angriff. In dem bei Martinshöhe
führte er, den Stock anstatt des Degens in der Hand, zwei Schwadroue
Prinz Louis-Dragoner gegen den Feind. Von da an hatte er den glän¬
zendsten Ruf." -- "Und gewiß mit Recht;" setzte ich hinzu. Mein Führer
aber zischelte und wackelte weiter: "Das Beispiel des Generals war sehr
nachtheilig, denn er bestätigte die Gemüther in dem alten Vorurtheile, daß
die Tapferkeit die erste Eigenschaft eiues neuen Offiziers sei." -- "Oh!
Herr Baron von X., was Sie für ein fortgeschrittener Mann sind! Das
Vorurtheil -- der Tapferkeit -- für Offiziere?" Mein namenloser Führer
gehörte sicher damals zu deu ueugebackensteu Küchlein der Welt. Wir alten
Leute deuten, die Tapferkeit ist die unerläßlichste Tugend jedes Soldaten
vom ersten bis zum letzten; sie genügt nicht grade bei deu ersten, aber fehlt
sie auch nur bei diesen, so ist Alles verloren, und besitzt das ganze Heer
sie, so ist eine verlorene Schlacht nnr verlorene Zeit, nicht aber eine ver¬
lorene Sache.

Aber unser Führer stand damals in Preußen dem Extrem gegenüber,
und gerieth wahrscheinlich so selbst in's Extrem. Den Preußen fehlte 1806
der höhere Aufschwung, der Blitzfunke der Begeisterung für eine hohe Sache.
Und deswegen hatte selbst die Tapferkeit, die kräftig auftrat, etwas Ver¬
letzendes. Tapferkeit ist überhaupt eine dienende Tugend, die von ihrem
Herrn veredelt oder in den Koth hinabgezogen wird. Die Henkersge-
sellen, die in den heißesten Julitagen die Hunde einfangen, -- sind viel¬
leicht tapferer, als die tapfersten Helden der heißesten Schlachttage. Stra¬
ßenräuber, Stierfechter, Miethlinge, Corsaren -- sind oft alle gleich tapfer.
Aber zu einer edeln Tugend wird die Taperkeit nur im Dienste einer edeln
Sache; und wo ihr diese fehlt, tritt nur ihre nervenstarke Thiernatur her¬
vor. Der Mensch, der tapfer ist, im Dienste eines gemeinen Bedürf¬
nisses, steht nicht höher wie der hungernde Wolf, der von seinem Magen
getrieben, den Menschen angreift.

Die Tapferkeit in Preußen hatte damals etwas von der rein brutalen
Natur, weil der höhere Grundsatz, der allein sie zu einer Göttcrtligend
macht, fehlte. Daher erklärt es sich leicht, daß junge Leute, wie mein


4.

Sehen Sie sich den Herrn dort an, mit offenem Blicke, keckem und
doch mildem Auge, — jetzt streicht er sich den langen Schnurrbart — das
ist der Generallieutenant von Rüchel. Ein tapferer Degen. „Bei Kreuz-
nach zerriß eine Kugel die Zügel in seiner Hand und er war in Gefahr,
gefangen genommen zu werden. In dem Treffen bei Kaiserslautern war
er es, der das Centrum der Franzosen angriff. In dem bei Martinshöhe
führte er, den Stock anstatt des Degens in der Hand, zwei Schwadroue
Prinz Louis-Dragoner gegen den Feind. Von da an hatte er den glän¬
zendsten Ruf." — „Und gewiß mit Recht;" setzte ich hinzu. Mein Führer
aber zischelte und wackelte weiter: „Das Beispiel des Generals war sehr
nachtheilig, denn er bestätigte die Gemüther in dem alten Vorurtheile, daß
die Tapferkeit die erste Eigenschaft eiues neuen Offiziers sei." — „Oh!
Herr Baron von X., was Sie für ein fortgeschrittener Mann sind! Das
Vorurtheil — der Tapferkeit — für Offiziere?" Mein namenloser Führer
gehörte sicher damals zu deu ueugebackensteu Küchlein der Welt. Wir alten
Leute deuten, die Tapferkeit ist die unerläßlichste Tugend jedes Soldaten
vom ersten bis zum letzten; sie genügt nicht grade bei deu ersten, aber fehlt
sie auch nur bei diesen, so ist Alles verloren, und besitzt das ganze Heer
sie, so ist eine verlorene Schlacht nnr verlorene Zeit, nicht aber eine ver¬
lorene Sache.

Aber unser Führer stand damals in Preußen dem Extrem gegenüber,
und gerieth wahrscheinlich so selbst in's Extrem. Den Preußen fehlte 1806
der höhere Aufschwung, der Blitzfunke der Begeisterung für eine hohe Sache.
Und deswegen hatte selbst die Tapferkeit, die kräftig auftrat, etwas Ver¬
letzendes. Tapferkeit ist überhaupt eine dienende Tugend, die von ihrem
Herrn veredelt oder in den Koth hinabgezogen wird. Die Henkersge-
sellen, die in den heißesten Julitagen die Hunde einfangen, — sind viel¬
leicht tapferer, als die tapfersten Helden der heißesten Schlachttage. Stra¬
ßenräuber, Stierfechter, Miethlinge, Corsaren — sind oft alle gleich tapfer.
Aber zu einer edeln Tugend wird die Taperkeit nur im Dienste einer edeln
Sache; und wo ihr diese fehlt, tritt nur ihre nervenstarke Thiernatur her¬
vor. Der Mensch, der tapfer ist, im Dienste eines gemeinen Bedürf¬
nisses, steht nicht höher wie der hungernde Wolf, der von seinem Magen
getrieben, den Menschen angreift.

Die Tapferkeit in Preußen hatte damals etwas von der rein brutalen
Natur, weil der höhere Grundsatz, der allein sie zu einer Göttcrtligend
macht, fehlte. Daher erklärt es sich leicht, daß junge Leute, wie mein


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[0144] 4. Sehen Sie sich den Herrn dort an, mit offenem Blicke, keckem und doch mildem Auge, — jetzt streicht er sich den langen Schnurrbart — das ist der Generallieutenant von Rüchel. Ein tapferer Degen. „Bei Kreuz- nach zerriß eine Kugel die Zügel in seiner Hand und er war in Gefahr, gefangen genommen zu werden. In dem Treffen bei Kaiserslautern war er es, der das Centrum der Franzosen angriff. In dem bei Martinshöhe führte er, den Stock anstatt des Degens in der Hand, zwei Schwadroue Prinz Louis-Dragoner gegen den Feind. Von da an hatte er den glän¬ zendsten Ruf." — „Und gewiß mit Recht;" setzte ich hinzu. Mein Führer aber zischelte und wackelte weiter: „Das Beispiel des Generals war sehr nachtheilig, denn er bestätigte die Gemüther in dem alten Vorurtheile, daß die Tapferkeit die erste Eigenschaft eiues neuen Offiziers sei." — „Oh! Herr Baron von X., was Sie für ein fortgeschrittener Mann sind! Das Vorurtheil — der Tapferkeit — für Offiziere?" Mein namenloser Führer gehörte sicher damals zu deu ueugebackensteu Küchlein der Welt. Wir alten Leute deuten, die Tapferkeit ist die unerläßlichste Tugend jedes Soldaten vom ersten bis zum letzten; sie genügt nicht grade bei deu ersten, aber fehlt sie auch nur bei diesen, so ist Alles verloren, und besitzt das ganze Heer sie, so ist eine verlorene Schlacht nnr verlorene Zeit, nicht aber eine ver¬ lorene Sache. Aber unser Führer stand damals in Preußen dem Extrem gegenüber, und gerieth wahrscheinlich so selbst in's Extrem. Den Preußen fehlte 1806 der höhere Aufschwung, der Blitzfunke der Begeisterung für eine hohe Sache. Und deswegen hatte selbst die Tapferkeit, die kräftig auftrat, etwas Ver¬ letzendes. Tapferkeit ist überhaupt eine dienende Tugend, die von ihrem Herrn veredelt oder in den Koth hinabgezogen wird. Die Henkersge- sellen, die in den heißesten Julitagen die Hunde einfangen, — sind viel¬ leicht tapferer, als die tapfersten Helden der heißesten Schlachttage. Stra¬ ßenräuber, Stierfechter, Miethlinge, Corsaren — sind oft alle gleich tapfer. Aber zu einer edeln Tugend wird die Taperkeit nur im Dienste einer edeln Sache; und wo ihr diese fehlt, tritt nur ihre nervenstarke Thiernatur her¬ vor. Der Mensch, der tapfer ist, im Dienste eines gemeinen Bedürf¬ nisses, steht nicht höher wie der hungernde Wolf, der von seinem Magen getrieben, den Menschen angreift. Die Tapferkeit in Preußen hatte damals etwas von der rein brutalen Natur, weil der höhere Grundsatz, der allein sie zu einer Göttcrtligend macht, fehlte. Daher erklärt es sich leicht, daß junge Leute, wie mein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/144>, abgerufen am 07.05.2024.