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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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nerälen gut seien. Der junge, tapferere, kriegsgewandte Erzherzog Karl, der
vielleicht alle Generäle seiner Zeit überragte, beweist, daß noch etwas ande¬
res dazu gehört; und der grane Blücher bewies acht Jahre später, daß die
jungen Leute nicht unerläßlich sind. Was aber unerläßlich, ist ein Heer,
das weiß, wofür es kämpft; das siegen will, koste es, was es
möge; und ein Führer, der diesem Heere Vertrauen einzuflößen im Stande
ist. Die Schlacht bei Ligny gleicht der Schlacht bei Jena, wie ein Bruder
dem andern; nur mit dem Unterschied, daß 1815 das ganze preußische Heer
wußte, was es wollte, und deswegen nach der Schlacht so enge zusammen¬
hielt, wie vor ihr. Bei gleicher, vollkommen gleicher Stimmung zweier
Heere civilisirter Nationen gibt die Kunst den Ausschlag; aber wo die
Heere nicht gleich gestimmt sind, wird stets dasjenige siegen, in dem der
Geist herrscht, der ans jedem Kämpfer einen Mann und aus allen zusammen
ein Heer macht, -- persönlicher Muth und Gesammtwollcn, durch Freiheits-,
Vaterlandsliebe oder religiösen Enthusiasmus gehoben: die Civilisation, ge¬
genüber der Barbarei, hat stets deu Vorzug, zu schaaren, wo diese anstößt,
eine Gesammtheit zu bilden, wo diese nur Eiuzclnbestrebuugen, selbst von
Tausend und Hunderttausenden kennt. --

Mein Führer aber ließ steh's nicht ausreden, daß der tapfere Marschall
zu alt gewesen sei. Er sagte weiter: "Es gab einen Augenblick, wo das
Geschick Europa's in seinen Händen lag. Das war im Jahre 1794, als
die Franzosen, nachdem sie die Engländer, Oesterreicher und Holländer aus
deu Niederlanden vertrieben hatten, Holland bedrohten. Man warnte ihn
damals, daß die Eroberung dieses Landes von der höchsten Bedeutung für
die Fortsetzung des Continentalkrieg.es sei. Aber Alles, was man Politik
nennt, war ihm so fremd, daß er dies nicht fühlte, und so um den Ruhm
kam, das Geschick Europa's entschieden zu haben. Er war übrigens des
Krieges müde; "der Adjutant, in den er sein größtes Vertrauen setzte,
hatte mit gewissen Berliner Juden Verträge abgeschlossen, die keine rasche
Expedition nach Holland erlaubten." -- S. 82. -- Mein Führer setzte hinzu:
"Wenn man bedenkt, wie die Eroberung von Holland den Convent befestigte,
so ist es merkwürdig genug, daß grade die gedankenlose Politik eiues preu¬
ßischen Marschalls edeler Race, nud die Habgier einiger Berliner Juden die
Revolution der gesellschaftlichen Ordnung vorbereiten helfen, in Folge der
es -- -- nächstens weder Adelige, noch Juden mehr geben wird!" --
"Nächstens?" frug ich. "Kiön",l,l." -- wiederholte mein Führer. "Gott
gebe seinen Segen dazu." -- Aber seit der Zeit sind vierzig Jahre verflossen,
und wir sagen noch immer: "Nächstens!"


nerälen gut seien. Der junge, tapferere, kriegsgewandte Erzherzog Karl, der
vielleicht alle Generäle seiner Zeit überragte, beweist, daß noch etwas ande¬
res dazu gehört; und der grane Blücher bewies acht Jahre später, daß die
jungen Leute nicht unerläßlich sind. Was aber unerläßlich, ist ein Heer,
das weiß, wofür es kämpft; das siegen will, koste es, was es
möge; und ein Führer, der diesem Heere Vertrauen einzuflößen im Stande
ist. Die Schlacht bei Ligny gleicht der Schlacht bei Jena, wie ein Bruder
dem andern; nur mit dem Unterschied, daß 1815 das ganze preußische Heer
wußte, was es wollte, und deswegen nach der Schlacht so enge zusammen¬
hielt, wie vor ihr. Bei gleicher, vollkommen gleicher Stimmung zweier
Heere civilisirter Nationen gibt die Kunst den Ausschlag; aber wo die
Heere nicht gleich gestimmt sind, wird stets dasjenige siegen, in dem der
Geist herrscht, der ans jedem Kämpfer einen Mann und aus allen zusammen
ein Heer macht, — persönlicher Muth und Gesammtwollcn, durch Freiheits-,
Vaterlandsliebe oder religiösen Enthusiasmus gehoben: die Civilisation, ge¬
genüber der Barbarei, hat stets deu Vorzug, zu schaaren, wo diese anstößt,
eine Gesammtheit zu bilden, wo diese nur Eiuzclnbestrebuugen, selbst von
Tausend und Hunderttausenden kennt. —

Mein Führer aber ließ steh's nicht ausreden, daß der tapfere Marschall
zu alt gewesen sei. Er sagte weiter: „Es gab einen Augenblick, wo das
Geschick Europa's in seinen Händen lag. Das war im Jahre 1794, als
die Franzosen, nachdem sie die Engländer, Oesterreicher und Holländer aus
deu Niederlanden vertrieben hatten, Holland bedrohten. Man warnte ihn
damals, daß die Eroberung dieses Landes von der höchsten Bedeutung für
die Fortsetzung des Continentalkrieg.es sei. Aber Alles, was man Politik
nennt, war ihm so fremd, daß er dies nicht fühlte, und so um den Ruhm
kam, das Geschick Europa's entschieden zu haben. Er war übrigens des
Krieges müde; „der Adjutant, in den er sein größtes Vertrauen setzte,
hatte mit gewissen Berliner Juden Verträge abgeschlossen, die keine rasche
Expedition nach Holland erlaubten." — S. 82. — Mein Führer setzte hinzu:
„Wenn man bedenkt, wie die Eroberung von Holland den Convent befestigte,
so ist es merkwürdig genug, daß grade die gedankenlose Politik eiues preu¬
ßischen Marschalls edeler Race, nud die Habgier einiger Berliner Juden die
Revolution der gesellschaftlichen Ordnung vorbereiten helfen, in Folge der
es — — nächstens weder Adelige, noch Juden mehr geben wird!" —
„Nächstens?" frug ich. „Kiön«,l,l." — wiederholte mein Führer. „Gott
gebe seinen Segen dazu." — Aber seit der Zeit sind vierzig Jahre verflossen,
und wir sagen noch immer: „Nächstens!"


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[0143] nerälen gut seien. Der junge, tapferere, kriegsgewandte Erzherzog Karl, der vielleicht alle Generäle seiner Zeit überragte, beweist, daß noch etwas ande¬ res dazu gehört; und der grane Blücher bewies acht Jahre später, daß die jungen Leute nicht unerläßlich sind. Was aber unerläßlich, ist ein Heer, das weiß, wofür es kämpft; das siegen will, koste es, was es möge; und ein Führer, der diesem Heere Vertrauen einzuflößen im Stande ist. Die Schlacht bei Ligny gleicht der Schlacht bei Jena, wie ein Bruder dem andern; nur mit dem Unterschied, daß 1815 das ganze preußische Heer wußte, was es wollte, und deswegen nach der Schlacht so enge zusammen¬ hielt, wie vor ihr. Bei gleicher, vollkommen gleicher Stimmung zweier Heere civilisirter Nationen gibt die Kunst den Ausschlag; aber wo die Heere nicht gleich gestimmt sind, wird stets dasjenige siegen, in dem der Geist herrscht, der ans jedem Kämpfer einen Mann und aus allen zusammen ein Heer macht, — persönlicher Muth und Gesammtwollcn, durch Freiheits-, Vaterlandsliebe oder religiösen Enthusiasmus gehoben: die Civilisation, ge¬ genüber der Barbarei, hat stets deu Vorzug, zu schaaren, wo diese anstößt, eine Gesammtheit zu bilden, wo diese nur Eiuzclnbestrebuugen, selbst von Tausend und Hunderttausenden kennt. — Mein Führer aber ließ steh's nicht ausreden, daß der tapfere Marschall zu alt gewesen sei. Er sagte weiter: „Es gab einen Augenblick, wo das Geschick Europa's in seinen Händen lag. Das war im Jahre 1794, als die Franzosen, nachdem sie die Engländer, Oesterreicher und Holländer aus deu Niederlanden vertrieben hatten, Holland bedrohten. Man warnte ihn damals, daß die Eroberung dieses Landes von der höchsten Bedeutung für die Fortsetzung des Continentalkrieg.es sei. Aber Alles, was man Politik nennt, war ihm so fremd, daß er dies nicht fühlte, und so um den Ruhm kam, das Geschick Europa's entschieden zu haben. Er war übrigens des Krieges müde; „der Adjutant, in den er sein größtes Vertrauen setzte, hatte mit gewissen Berliner Juden Verträge abgeschlossen, die keine rasche Expedition nach Holland erlaubten." — S. 82. — Mein Führer setzte hinzu: „Wenn man bedenkt, wie die Eroberung von Holland den Convent befestigte, so ist es merkwürdig genug, daß grade die gedankenlose Politik eiues preu¬ ßischen Marschalls edeler Race, nud die Habgier einiger Berliner Juden die Revolution der gesellschaftlichen Ordnung vorbereiten helfen, in Folge der es — — nächstens weder Adelige, noch Juden mehr geben wird!" — „Nächstens?" frug ich. „Kiön«,l,l." — wiederholte mein Führer. „Gott gebe seinen Segen dazu." — Aber seit der Zeit sind vierzig Jahre verflossen, und wir sagen noch immer: „Nächstens!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/143>, abgerufen am 19.05.2024.