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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Bilder aus der Nähe und Ferne.

"Wer Menschen menschlich sehen, und n>i die
Liebenswürdigkeit der menschlichen Nowr wieder
Glauben gewinnen will, der ausi reisen."

II.
Italien.

Adolf Stahr, Ein Jahr in Italien. I.Bd. Oldenburg 1847. Schulze.
E. Willkomm, Italienische Nächte. Reiseskizzen und Studien. 2 Bde.
Leipzig 1847. Fleischer.

Seit Goethe gehört es unter gebildeten Leuten so sehr zum guten Ton,
in das Zion der Kunst zu pilgern, daß es bald eine Art Auszeichnung sein
wird, sagen zu können: ich war noch nicht in Italien. Was man dann ge¬
sehen, gehört, erfahren, will mau denn auch gern Freunden und Bekannten
der Heimath anbeiten. Theils erregen die alten Gegenstände, von befreun¬
deten Augen angeschaut, ein neues, lebendigeres Interesse, theils hebt die
Persönlichkeit, was sonst alltäglich oder gleichgültig wäre. Was man also
mit Lust und Liebe sich ausgemalt, im vertrauteren Kreise erzählt, will
mau dein größern Publikum auch nicht vorenthalten. So bringt uns denn
beinahe jedes Jahr neue Beiträge zur Kenntniß jenes gelobten Landes, und
wenn man auch nicht gerade Lust hat, von Anfang bis zu Ende dem Rei¬
senden in einer Tour zu folgen, die Millionen vor ihm gegangen sind und
Millionen- nach ihm betreten werden, so blättert man gern darin, und er¬
frischt entweder die Erinnerung an lieb gewesene, oder halb verwischte Züge,
oder man übt die Phantasie, sich nach dem gegebenen Rahmen auszumalen,
was der eigenen Anschauung ein ungünstiges Geschick entzieht.

Die beiden Schriften, über die wir hier berichten, sind anmuthig und
lehrreich geschrieben, ich möchte die Auffassung der ersten aristokratisch, die
der zweiten demokratisch nennen; wenn der erste Reisende uns überall den
Eindruck eines feingebildeten, denkenden, und sinnigen Mannes macht, so
heimelt uns in dem zweiten etwas Deutschgemüthliches, etwas Vier, Sauer-


Bilder aus der Nähe und Ferne.

„Wer Menschen menschlich sehen, und n>i die
Liebenswürdigkeit der menschlichen Nowr wieder
Glauben gewinnen will, der ausi reisen."

II.
Italien.

Adolf Stahr, Ein Jahr in Italien. I.Bd. Oldenburg 1847. Schulze.
E. Willkomm, Italienische Nächte. Reiseskizzen und Studien. 2 Bde.
Leipzig 1847. Fleischer.

Seit Goethe gehört es unter gebildeten Leuten so sehr zum guten Ton,
in das Zion der Kunst zu pilgern, daß es bald eine Art Auszeichnung sein
wird, sagen zu können: ich war noch nicht in Italien. Was man dann ge¬
sehen, gehört, erfahren, will mau denn auch gern Freunden und Bekannten
der Heimath anbeiten. Theils erregen die alten Gegenstände, von befreun¬
deten Augen angeschaut, ein neues, lebendigeres Interesse, theils hebt die
Persönlichkeit, was sonst alltäglich oder gleichgültig wäre. Was man also
mit Lust und Liebe sich ausgemalt, im vertrauteren Kreise erzählt, will
mau dein größern Publikum auch nicht vorenthalten. So bringt uns denn
beinahe jedes Jahr neue Beiträge zur Kenntniß jenes gelobten Landes, und
wenn man auch nicht gerade Lust hat, von Anfang bis zu Ende dem Rei¬
senden in einer Tour zu folgen, die Millionen vor ihm gegangen sind und
Millionen- nach ihm betreten werden, so blättert man gern darin, und er¬
frischt entweder die Erinnerung an lieb gewesene, oder halb verwischte Züge,
oder man übt die Phantasie, sich nach dem gegebenen Rahmen auszumalen,
was der eigenen Anschauung ein ungünstiges Geschick entzieht.

Die beiden Schriften, über die wir hier berichten, sind anmuthig und
lehrreich geschrieben, ich möchte die Auffassung der ersten aristokratisch, die
der zweiten demokratisch nennen; wenn der erste Reisende uns überall den
Eindruck eines feingebildeten, denkenden, und sinnigen Mannes macht, so
heimelt uns in dem zweiten etwas Deutschgemüthliches, etwas Vier, Sauer-


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[0161] Bilder aus der Nähe und Ferne. „Wer Menschen menschlich sehen, und n>i die Liebenswürdigkeit der menschlichen Nowr wieder Glauben gewinnen will, der ausi reisen." II. Italien. Adolf Stahr, Ein Jahr in Italien. I.Bd. Oldenburg 1847. Schulze. E. Willkomm, Italienische Nächte. Reiseskizzen und Studien. 2 Bde. Leipzig 1847. Fleischer. Seit Goethe gehört es unter gebildeten Leuten so sehr zum guten Ton, in das Zion der Kunst zu pilgern, daß es bald eine Art Auszeichnung sein wird, sagen zu können: ich war noch nicht in Italien. Was man dann ge¬ sehen, gehört, erfahren, will mau denn auch gern Freunden und Bekannten der Heimath anbeiten. Theils erregen die alten Gegenstände, von befreun¬ deten Augen angeschaut, ein neues, lebendigeres Interesse, theils hebt die Persönlichkeit, was sonst alltäglich oder gleichgültig wäre. Was man also mit Lust und Liebe sich ausgemalt, im vertrauteren Kreise erzählt, will mau dein größern Publikum auch nicht vorenthalten. So bringt uns denn beinahe jedes Jahr neue Beiträge zur Kenntniß jenes gelobten Landes, und wenn man auch nicht gerade Lust hat, von Anfang bis zu Ende dem Rei¬ senden in einer Tour zu folgen, die Millionen vor ihm gegangen sind und Millionen- nach ihm betreten werden, so blättert man gern darin, und er¬ frischt entweder die Erinnerung an lieb gewesene, oder halb verwischte Züge, oder man übt die Phantasie, sich nach dem gegebenen Rahmen auszumalen, was der eigenen Anschauung ein ungünstiges Geschick entzieht. Die beiden Schriften, über die wir hier berichten, sind anmuthig und lehrreich geschrieben, ich möchte die Auffassung der ersten aristokratisch, die der zweiten demokratisch nennen; wenn der erste Reisende uns überall den Eindruck eines feingebildeten, denkenden, und sinnigen Mannes macht, so heimelt uns in dem zweiten etwas Deutschgemüthliches, etwas Vier, Sauer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/161>, abgerufen am 07.05.2024.