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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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kraut und Gustav-Adophsvereiu an, wir gewinnen den Wanderer lieb, der
über dem bunten Leben in der Fremde die rauhere Heimath nicht vergißt.

Adolf Stahr erzählt in seinem ersten Bande, der uns vorliegt, und
der bcläustg 438 tüchtige Seiten umsaßt, seine Reise von Oldenburg nach
Nizza, von Nizza nach Florenz, von da nach Rom, den Ausenthalt in Rom,
eine Villcgiatnr in Aricia, die Fahrt nach Neapel, eine Villcgiatur in So-
reut, einen Ausflug nach Pästum, und gibt uns zum Schluß "och eine
kleine ästhetische Abhandlung über den hellenischen Tempelbau, zum Theil
Auszug aus deu Werken von K. Bötticher: die Tektonik der Hellenen, und
Schnaase: Geschichte der Kunst; eine Abhandlung, in der über die gothische
Kunstform ziemlich streng abgeurtheilt wird, so streng, daß die Germanen
dargestellt werden, "als energische Handwerker, deren F^rmensprache ein
so todter, mathematischer Schematismus blieb, daß sein conventionclles Ver¬
ständniß an die Umhegung der Banhütte und ihre handwerksmäßige Tra¬
dition gebunden, dem Nichttechniker aber verschlossen blieb, daher anch kaum
das Ende des Geschlechts überlebte und mit der sinkenden Mechanik ver¬
loren ging," die Hellenen dagegen "als durch und durch gesittigte, aber
in der Natur eingeschlossene und von der Mutterbrust derselben ihren geisti¬
gen Lebensstrom saugende Dichter."

Als Motto hat Stahr seinem Buche deu schönen Goethe'sehen Spruch
vorgesetzt: "Lust, Freude, Theilnahme an den Dingen ist das einzig Reelle
und was wieder Realität hervorbringt. Alles andere ist eitel und vereitelt
nur." Diese Lust am Seienden gibt ihm denn auch ein gutes Auge dafür,
macht seine Schilderungen lebendig und heiter und hebt ihn aus deu düstern
Jrrgängen der Reflexion in das lebensvolle Reich der Anschauung und der
Kunst. Während aber Willkomm in seinen Schilderungen überall das Hand¬
greifliche, Feste, Derbe und Grobe hervorhebt, sieht Stahr's feiner Sinn
überall das Zierliche, Feine; und nach diesem ästhetischen Maaßstabe
seines Auges fällt auch sein Urtheil aus. Was man im Kopfe hat, geht
auch in die Sinne über; zwei verschiedene Menschen, die an demselben Ge¬
genstand vorübergehen, werden anch Verschiedenes wahrnehmen, weil der
äußere Sinn nur Träger des innern ist. Beispiele: "Mein Schisser war
ein schlanker Bursche, mit einem feinen französischen Gesicht. Er war aus
einem kleinen französischen Ort, 10 Stunden von Genf. Es war noch ziem¬
lich früh, und da es ihm schien, als werfe ich beim Einsteigen einen
musternden Blick auf seine geflickten Schifferhosen und seine Alltagsjacke, so
hielt er es für nöthig, sich zu entschuldigen, indem er sagte: "?in'ä<)in>k2
Monsieur uno wo trouvv oncoro äans mon noxliA^ unus u'al


kraut und Gustav-Adophsvereiu an, wir gewinnen den Wanderer lieb, der
über dem bunten Leben in der Fremde die rauhere Heimath nicht vergißt.

Adolf Stahr erzählt in seinem ersten Bande, der uns vorliegt, und
der bcläustg 438 tüchtige Seiten umsaßt, seine Reise von Oldenburg nach
Nizza, von Nizza nach Florenz, von da nach Rom, den Ausenthalt in Rom,
eine Villcgiatnr in Aricia, die Fahrt nach Neapel, eine Villcgiatur in So-
reut, einen Ausflug nach Pästum, und gibt uns zum Schluß »och eine
kleine ästhetische Abhandlung über den hellenischen Tempelbau, zum Theil
Auszug aus deu Werken von K. Bötticher: die Tektonik der Hellenen, und
Schnaase: Geschichte der Kunst; eine Abhandlung, in der über die gothische
Kunstform ziemlich streng abgeurtheilt wird, so streng, daß die Germanen
dargestellt werden, „als energische Handwerker, deren F^rmensprache ein
so todter, mathematischer Schematismus blieb, daß sein conventionclles Ver¬
ständniß an die Umhegung der Banhütte und ihre handwerksmäßige Tra¬
dition gebunden, dem Nichttechniker aber verschlossen blieb, daher anch kaum
das Ende des Geschlechts überlebte und mit der sinkenden Mechanik ver¬
loren ging," die Hellenen dagegen „als durch und durch gesittigte, aber
in der Natur eingeschlossene und von der Mutterbrust derselben ihren geisti¬
gen Lebensstrom saugende Dichter."

Als Motto hat Stahr seinem Buche deu schönen Goethe'sehen Spruch
vorgesetzt: „Lust, Freude, Theilnahme an den Dingen ist das einzig Reelle
und was wieder Realität hervorbringt. Alles andere ist eitel und vereitelt
nur." Diese Lust am Seienden gibt ihm denn auch ein gutes Auge dafür,
macht seine Schilderungen lebendig und heiter und hebt ihn aus deu düstern
Jrrgängen der Reflexion in das lebensvolle Reich der Anschauung und der
Kunst. Während aber Willkomm in seinen Schilderungen überall das Hand¬
greifliche, Feste, Derbe und Grobe hervorhebt, sieht Stahr's feiner Sinn
überall das Zierliche, Feine; und nach diesem ästhetischen Maaßstabe
seines Auges fällt auch sein Urtheil aus. Was man im Kopfe hat, geht
auch in die Sinne über; zwei verschiedene Menschen, die an demselben Ge¬
genstand vorübergehen, werden anch Verschiedenes wahrnehmen, weil der
äußere Sinn nur Träger des innern ist. Beispiele: „Mein Schisser war
ein schlanker Bursche, mit einem feinen französischen Gesicht. Er war aus
einem kleinen französischen Ort, 10 Stunden von Genf. Es war noch ziem¬
lich früh, und da es ihm schien, als werfe ich beim Einsteigen einen
musternden Blick auf seine geflickten Schifferhosen und seine Alltagsjacke, so
hielt er es für nöthig, sich zu entschuldigen, indem er sagte: „?in'ä<)in>k2
Monsieur uno wo trouvv oncoro äans mon noxliA^ unus u'al


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[0162] kraut und Gustav-Adophsvereiu an, wir gewinnen den Wanderer lieb, der über dem bunten Leben in der Fremde die rauhere Heimath nicht vergißt. Adolf Stahr erzählt in seinem ersten Bande, der uns vorliegt, und der bcläustg 438 tüchtige Seiten umsaßt, seine Reise von Oldenburg nach Nizza, von Nizza nach Florenz, von da nach Rom, den Ausenthalt in Rom, eine Villcgiatnr in Aricia, die Fahrt nach Neapel, eine Villcgiatur in So- reut, einen Ausflug nach Pästum, und gibt uns zum Schluß »och eine kleine ästhetische Abhandlung über den hellenischen Tempelbau, zum Theil Auszug aus deu Werken von K. Bötticher: die Tektonik der Hellenen, und Schnaase: Geschichte der Kunst; eine Abhandlung, in der über die gothische Kunstform ziemlich streng abgeurtheilt wird, so streng, daß die Germanen dargestellt werden, „als energische Handwerker, deren F^rmensprache ein so todter, mathematischer Schematismus blieb, daß sein conventionclles Ver¬ ständniß an die Umhegung der Banhütte und ihre handwerksmäßige Tra¬ dition gebunden, dem Nichttechniker aber verschlossen blieb, daher anch kaum das Ende des Geschlechts überlebte und mit der sinkenden Mechanik ver¬ loren ging," die Hellenen dagegen „als durch und durch gesittigte, aber in der Natur eingeschlossene und von der Mutterbrust derselben ihren geisti¬ gen Lebensstrom saugende Dichter." Als Motto hat Stahr seinem Buche deu schönen Goethe'sehen Spruch vorgesetzt: „Lust, Freude, Theilnahme an den Dingen ist das einzig Reelle und was wieder Realität hervorbringt. Alles andere ist eitel und vereitelt nur." Diese Lust am Seienden gibt ihm denn auch ein gutes Auge dafür, macht seine Schilderungen lebendig und heiter und hebt ihn aus deu düstern Jrrgängen der Reflexion in das lebensvolle Reich der Anschauung und der Kunst. Während aber Willkomm in seinen Schilderungen überall das Hand¬ greifliche, Feste, Derbe und Grobe hervorhebt, sieht Stahr's feiner Sinn überall das Zierliche, Feine; und nach diesem ästhetischen Maaßstabe seines Auges fällt auch sein Urtheil aus. Was man im Kopfe hat, geht auch in die Sinne über; zwei verschiedene Menschen, die an demselben Ge¬ genstand vorübergehen, werden anch Verschiedenes wahrnehmen, weil der äußere Sinn nur Träger des innern ist. Beispiele: „Mein Schisser war ein schlanker Bursche, mit einem feinen französischen Gesicht. Er war aus einem kleinen französischen Ort, 10 Stunden von Genf. Es war noch ziem¬ lich früh, und da es ihm schien, als werfe ich beim Einsteigen einen musternden Blick auf seine geflickten Schifferhosen und seine Alltagsjacke, so hielt er es für nöthig, sich zu entschuldigen, indem er sagte: „?in'ä<)in>k2 Monsieur uno wo trouvv oncoro äans mon noxliA^ unus u'al

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/162>, abgerufen am 19.05.2024.