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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Mecklenburg und die Mecklenburger.



Neue und alte Sitten. -- Die große Wasche, -- Adel und Bureaukratie. -- DaS Landvolk. -- Schul¬
lehrer. _ D!c Gutsherrn und ihre Insassen. -- Graf Hahn. -- Ständische Reformationen. -- Die
Bürgermeister. -- Parchim und seine Bewohner. -- Hofsittcn. -- Ludwigslust. --
Censur, -- Buchhandlungen. -- Schriftsteller.

Nach langjähriger Abwesenheit betrat ich einmal wieder den heimischen Boden
und verspürte mit Vergnügen die Veränderungen, die der Fortschritt der Zeit
diesem Laude aufgedrängt hat; denn an freie Selbstentwickelung ist leider
bei uus noch nicht zu denken. Die Eisenbahnen sind es und die bessern Wege,
über die sich der Reisende steilen muß; denn wo er noch vor wenigen Jahren
langsam im Sande geschaukelt wurde, führen ihn jetzt bequeme Postwagen und
wohlberechnete Verbindungen schnell von einem Orte zum andern. Der Reiz der
Neuheit hat daher eine gewisse Reiselust erweckt, und der schwerfällige Mecklen¬
burger, aus seiner gewöhnlichen Apathie erwacht, entschließt sich die Grenze seines
Vaterlandes zu überschreiten und die freie Reichsstadt Hamburg in Augenschein
zu nehmen, wo ihn die Austernkeller mit allen möglichen Delicatessen anlächelt, für
deren Reize er durchaus uicht unempfänglich ist. Kehrt er zurück, so spricht er
auch eine Weile von dem Gesehenen, bis er nach und nach in seine alte Weise
zurückfällt, ißt, trinkt, schläft, Karten spielt, wenig an seine Toilette denkt, sich
wenig um die Schicksale von Staaten und Völker kümmert, dafür aber sehr genau
darauf hält, daß man ihm seinen Titel gebe, so wie er gerne bereit ist, sich vor
jedem Hochgeborner drei Mal zu bücken. Das ist denn doch in heutiger Zeit
ziemlich abgeschmackt und der Werth der kleinen lächerlichen drei Buchstaben des
"Von," das man sich hier so gerne als Aushängeschild anhängt, um dadurch an¬
dere fehlende Verdienste zu ersetzen, ist zu sehr im Preise gefallen, als daß man
noch nach einem so billigen Schmucke geizen sollte. Es schmeckt hier überhaupt
alles noch gar zu sehr nach der Zeit des Faustrechts und des Naubritterthums.
Man bemerkt überall ein gewisses rohes Element, das erst nach und nach durch
den Verkehr mit civilisirten und gesitteten Völkern verdrängt werden wird und
muß. Die Mecklenburger rauchen ungebührlich stark. Selbst auf der Eisenbahn
wurden außer Cigarren lange Pfeifen angesteckt, so daß es unmöglich war bei


Grenzl'oder. Hi, 1847, ?,
Mecklenburg und die Mecklenburger.



Neue und alte Sitten. — Die große Wasche, — Adel und Bureaukratie. — DaS Landvolk. — Schul¬
lehrer. _ D!c Gutsherrn und ihre Insassen. — Graf Hahn. — Ständische Reformationen. — Die
Bürgermeister. — Parchim und seine Bewohner. — Hofsittcn. — Ludwigslust. —
Censur, — Buchhandlungen. — Schriftsteller.

Nach langjähriger Abwesenheit betrat ich einmal wieder den heimischen Boden
und verspürte mit Vergnügen die Veränderungen, die der Fortschritt der Zeit
diesem Laude aufgedrängt hat; denn an freie Selbstentwickelung ist leider
bei uus noch nicht zu denken. Die Eisenbahnen sind es und die bessern Wege,
über die sich der Reisende steilen muß; denn wo er noch vor wenigen Jahren
langsam im Sande geschaukelt wurde, führen ihn jetzt bequeme Postwagen und
wohlberechnete Verbindungen schnell von einem Orte zum andern. Der Reiz der
Neuheit hat daher eine gewisse Reiselust erweckt, und der schwerfällige Mecklen¬
burger, aus seiner gewöhnlichen Apathie erwacht, entschließt sich die Grenze seines
Vaterlandes zu überschreiten und die freie Reichsstadt Hamburg in Augenschein
zu nehmen, wo ihn die Austernkeller mit allen möglichen Delicatessen anlächelt, für
deren Reize er durchaus uicht unempfänglich ist. Kehrt er zurück, so spricht er
auch eine Weile von dem Gesehenen, bis er nach und nach in seine alte Weise
zurückfällt, ißt, trinkt, schläft, Karten spielt, wenig an seine Toilette denkt, sich
wenig um die Schicksale von Staaten und Völker kümmert, dafür aber sehr genau
darauf hält, daß man ihm seinen Titel gebe, so wie er gerne bereit ist, sich vor
jedem Hochgeborner drei Mal zu bücken. Das ist denn doch in heutiger Zeit
ziemlich abgeschmackt und der Werth der kleinen lächerlichen drei Buchstaben des
„Von," das man sich hier so gerne als Aushängeschild anhängt, um dadurch an¬
dere fehlende Verdienste zu ersetzen, ist zu sehr im Preise gefallen, als daß man
noch nach einem so billigen Schmucke geizen sollte. Es schmeckt hier überhaupt
alles noch gar zu sehr nach der Zeit des Faustrechts und des Naubritterthums.
Man bemerkt überall ein gewisses rohes Element, das erst nach und nach durch
den Verkehr mit civilisirten und gesitteten Völkern verdrängt werden wird und
muß. Die Mecklenburger rauchen ungebührlich stark. Selbst auf der Eisenbahn
wurden außer Cigarren lange Pfeifen angesteckt, so daß es unmöglich war bei


Grenzl'oder. Hi, 1847, ?,
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[0547] Mecklenburg und die Mecklenburger. Neue und alte Sitten. — Die große Wasche, — Adel und Bureaukratie. — DaS Landvolk. — Schul¬ lehrer. _ D!c Gutsherrn und ihre Insassen. — Graf Hahn. — Ständische Reformationen. — Die Bürgermeister. — Parchim und seine Bewohner. — Hofsittcn. — Ludwigslust. — Censur, — Buchhandlungen. — Schriftsteller. Nach langjähriger Abwesenheit betrat ich einmal wieder den heimischen Boden und verspürte mit Vergnügen die Veränderungen, die der Fortschritt der Zeit diesem Laude aufgedrängt hat; denn an freie Selbstentwickelung ist leider bei uus noch nicht zu denken. Die Eisenbahnen sind es und die bessern Wege, über die sich der Reisende steilen muß; denn wo er noch vor wenigen Jahren langsam im Sande geschaukelt wurde, führen ihn jetzt bequeme Postwagen und wohlberechnete Verbindungen schnell von einem Orte zum andern. Der Reiz der Neuheit hat daher eine gewisse Reiselust erweckt, und der schwerfällige Mecklen¬ burger, aus seiner gewöhnlichen Apathie erwacht, entschließt sich die Grenze seines Vaterlandes zu überschreiten und die freie Reichsstadt Hamburg in Augenschein zu nehmen, wo ihn die Austernkeller mit allen möglichen Delicatessen anlächelt, für deren Reize er durchaus uicht unempfänglich ist. Kehrt er zurück, so spricht er auch eine Weile von dem Gesehenen, bis er nach und nach in seine alte Weise zurückfällt, ißt, trinkt, schläft, Karten spielt, wenig an seine Toilette denkt, sich wenig um die Schicksale von Staaten und Völker kümmert, dafür aber sehr genau darauf hält, daß man ihm seinen Titel gebe, so wie er gerne bereit ist, sich vor jedem Hochgeborner drei Mal zu bücken. Das ist denn doch in heutiger Zeit ziemlich abgeschmackt und der Werth der kleinen lächerlichen drei Buchstaben des „Von," das man sich hier so gerne als Aushängeschild anhängt, um dadurch an¬ dere fehlende Verdienste zu ersetzen, ist zu sehr im Preise gefallen, als daß man noch nach einem so billigen Schmucke geizen sollte. Es schmeckt hier überhaupt alles noch gar zu sehr nach der Zeit des Faustrechts und des Naubritterthums. Man bemerkt überall ein gewisses rohes Element, das erst nach und nach durch den Verkehr mit civilisirten und gesitteten Völkern verdrängt werden wird und muß. Die Mecklenburger rauchen ungebührlich stark. Selbst auf der Eisenbahn wurden außer Cigarren lange Pfeifen angesteckt, so daß es unmöglich war bei Grenzl'oder. Hi, 1847, ?,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/547>, abgerufen am 07.05.2024.