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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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der eingeschlossenen Luft den Rauch zu ertrage". Ueberall ist Tabaksgeruch, in
Büchern, in Kleidern und in Wäsche. Letztere wird Überdem bei weitem nicht
häufig genug gewechselt. Im ganzen Norden Deutschlands haben die Frauen noch
ein Vergnügen an selbstgesponneuer Leinwand, von der sie gerne ganze Schätze
in vollen Kisten bei Seite stellen, und diejenige, die den größten Vorrath davon
besitzt und sagen kann, daß sie die längere Zeit für ihren Haushalt damit aus¬
reiche, ist am stolzesten und fühlt sich beglückt durch diese Überlegenheit. Dadurch
entsteht das hassenswerthe System "große Wäsche" zu halten, und diese un-
glückseligen "Mirs <le letos" der Hausfrauen sind ein wahrer Fluch aller Haus¬
haltungen. Jeder ist gezwungen sich so einzurichten, um mit seiner Wäsche bis
zu dem großen Tage auszureichen, und diese sorgfältige Eintheilung ist die
Ursache, daß die Herrenwelt ihre Hemdmanschetten meistens verstecken muß. Im
Händewaschen sind sie überdem auch uicht besonders eifrig, ja mau kann sogar
sagen, es sei die größte Seltenheit, ein paar reingewaschene Hände zu sehen, und
ihre Gesichtsfarbe ist gleichfalls, was mau auf Englisch so gut durch fallor
cum^lsction" ausdrückt, wovon die Ursache entweder in der überreichen Küche und
einem wunderbaren Appetit, im vielen Rauchen, oder auch in der Nichtanwendung
von Seife zu suchen sein mag, da ja die Esguimv's an demselben Uebel leiden,
aber uur weil es ihnen an Wasser gebricht und sie ihren Durst mit Oel löschen.

Uebrigens sind die Mecklenburger ein guter Schlag Menschen, obwohl sie
noch wenig von einem "iron "V I'lwmmo und der Perfectibilität wissen und wissen
wollen. Das Land ist spärlich bevölkert und schlecht angebaut. Es gibt hier zwei
mächtige Elemente, den Adel und die Bureaukratie, und was darüber ist, das
ist von Uebel. Die Prediger predigen hier wie überall auf christlichem Boden:
daß alle Menschen Brüder und Kinder Gottes sind; -- doch würde ein meck¬
lenburgischer Junker es für die größte Beschimpfung nehmen, wollte man ihm
sagen, ein Mann aus dem Volke sei sein Mitmensch, dessen Freuden und Leiden
eben so hoch in der Wage des Geschickes wiegen als die seinigen. Wie schön
und poetisch auch Herr "I. v. W." das Erndtefest in Mecklenburg in Kühne's
"Europa" geschildert hat, so sieht das Landvolk hier doch keineswegs aus, wie
es dort auf dem Papier gezeichnet ist.

Die lieblichen Schnitterinnen, die in der "Europa" mit den Masern in der
Mittagsstunde hinter einer Hecke versteckt kosend ausruhen, sie gehören einem der¬
ben Menschenschlag an, der die deutsche Sprache kaum versteht, seltener noch
spricht, der kaum seine Bibel buchstabiren kann, mit dem Schreiben sich nie be¬
faßt hat, über die Grenze seines Dorfes hinaus nichts kennt, weiß oder versteht.
Ihre Häuser siud mit Stroh gedeckt und haben keine Esse; in dem schwarzen
Rauche sitzen die Bewohner nach vollbrachtem Tagewerk vor dem großen Feuer;
auf dem roh gearbeiteten hölzernen Tische brennt eine düstere Thranlampe, über
ihren Köpfen an der Decke hängen die Schinken und Würste und sonstigen Winter-


der eingeschlossenen Luft den Rauch zu ertrage«. Ueberall ist Tabaksgeruch, in
Büchern, in Kleidern und in Wäsche. Letztere wird Überdem bei weitem nicht
häufig genug gewechselt. Im ganzen Norden Deutschlands haben die Frauen noch
ein Vergnügen an selbstgesponneuer Leinwand, von der sie gerne ganze Schätze
in vollen Kisten bei Seite stellen, und diejenige, die den größten Vorrath davon
besitzt und sagen kann, daß sie die längere Zeit für ihren Haushalt damit aus¬
reiche, ist am stolzesten und fühlt sich beglückt durch diese Überlegenheit. Dadurch
entsteht das hassenswerthe System „große Wäsche" zu halten, und diese un-
glückseligen „Mirs <le letos" der Hausfrauen sind ein wahrer Fluch aller Haus¬
haltungen. Jeder ist gezwungen sich so einzurichten, um mit seiner Wäsche bis
zu dem großen Tage auszureichen, und diese sorgfältige Eintheilung ist die
Ursache, daß die Herrenwelt ihre Hemdmanschetten meistens verstecken muß. Im
Händewaschen sind sie überdem auch uicht besonders eifrig, ja mau kann sogar
sagen, es sei die größte Seltenheit, ein paar reingewaschene Hände zu sehen, und
ihre Gesichtsfarbe ist gleichfalls, was mau auf Englisch so gut durch fallor
cum^lsction" ausdrückt, wovon die Ursache entweder in der überreichen Küche und
einem wunderbaren Appetit, im vielen Rauchen, oder auch in der Nichtanwendung
von Seife zu suchen sein mag, da ja die Esguimv's an demselben Uebel leiden,
aber uur weil es ihnen an Wasser gebricht und sie ihren Durst mit Oel löschen.

Uebrigens sind die Mecklenburger ein guter Schlag Menschen, obwohl sie
noch wenig von einem «iron «V I'lwmmo und der Perfectibilität wissen und wissen
wollen. Das Land ist spärlich bevölkert und schlecht angebaut. Es gibt hier zwei
mächtige Elemente, den Adel und die Bureaukratie, und was darüber ist, das
ist von Uebel. Die Prediger predigen hier wie überall auf christlichem Boden:
daß alle Menschen Brüder und Kinder Gottes sind; — doch würde ein meck¬
lenburgischer Junker es für die größte Beschimpfung nehmen, wollte man ihm
sagen, ein Mann aus dem Volke sei sein Mitmensch, dessen Freuden und Leiden
eben so hoch in der Wage des Geschickes wiegen als die seinigen. Wie schön
und poetisch auch Herr „I. v. W." das Erndtefest in Mecklenburg in Kühne's
„Europa" geschildert hat, so sieht das Landvolk hier doch keineswegs aus, wie
es dort auf dem Papier gezeichnet ist.

Die lieblichen Schnitterinnen, die in der „Europa" mit den Masern in der
Mittagsstunde hinter einer Hecke versteckt kosend ausruhen, sie gehören einem der¬
ben Menschenschlag an, der die deutsche Sprache kaum versteht, seltener noch
spricht, der kaum seine Bibel buchstabiren kann, mit dem Schreiben sich nie be¬
faßt hat, über die Grenze seines Dorfes hinaus nichts kennt, weiß oder versteht.
Ihre Häuser siud mit Stroh gedeckt und haben keine Esse; in dem schwarzen
Rauche sitzen die Bewohner nach vollbrachtem Tagewerk vor dem großen Feuer;
auf dem roh gearbeiteten hölzernen Tische brennt eine düstere Thranlampe, über
ihren Köpfen an der Decke hängen die Schinken und Würste und sonstigen Winter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/548>, abgerufen am 28.05.2024.