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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Adolph Zchmidt's
Geschichte der Denk- und Glaubensfreiheit
im ersten Jahrhundert der Kaiserherrschaft und des Christenthums.
(Geschrieben kurz vor der deutschen Revolution.)



Dies Buch ist von eben so neuem und zugleich die Gegenwart bewegendem
historischem Inhalte, mit so viel Geist und liebevoller Versenkung in den Gegen¬
stand geschrieben, daß wir demselben viel wohlverdientes Glück und ein langes
prophezeihen. Wir sind überzeugt, daß mit jedem Jahre die Theilnahme des ge¬
bildeten Publikums daran zunehmen werde. Ja, wir verhehlen unsere Meinung
nicht, daß es uns ein wie für unsre Zeit geschaffenes Buch dünkt, welches jedem
gebildeten Europäer förderlich zu lesen wäre, von uns Deutschen aber unbedingt
gelesen werden sollte. Das thut vor Allem die glückliche Wahl des Stoffs.
Wahrlich, es ist wohl die erste und größte Eigenschaft des Geschichtschreibers
jenes feine Gefühl von dem, was der Mensch der Gegenwart eben jetzt sür wissen¬
schaftlichen Bedarf hat; jene Gabe, das Augenmerk genau auf diejenigen Striche
geschichtlicher Vorgänge zu richten, welche als von der Sonne der Gegenwart be¬
schienen uns eben dadurch auffordern, uns vom Anfang bis zu Ende darin zu
ergehen und so die Geschichtswissenschaft zum praktischen Nutzen der Mitwelt zu
bearbeiten. In diesem Geiste arbeitet schon längst Adolph Schmidt; in dem¬
selben ist auch das vorliegende Buch geschrieben. Die Geschichte ist ihm (wie er
S. 1 der Einleitung sagt) "das Gedächtnißvermögen des Menschengeschlechts;"
mit ihm wagt er "mit Zuversicht aus der Gesammtanschauung der Vergangenheit
die nächste Phase der Zukunft zu bestimmen" (S. 9). -- Wie lächerlich erscheint
da nicht neben einem solchen Sinne der dem Verfasser gemachte Vorwurf, daß er
sein Buch nur geschrieben, um den Leser zwischen den Zeilen Parallelen mit der
nächsten Gegenwart ziehen zu lassen. Als wenn das die Geschichtswissenschaft nicht
von selbst und von Gott und Rechts wegen thäte, als wenn der echte Historiker
etwas anders erforschen möchte und könnte, als eben den Zusammenhang der alten
und der neuen Zeit. Sonst wäre, nach unserer Ansicht, all sein Reden nichts


Gr-nzbot-n. it. I8i". 16
Adolph Zchmidt's
Geschichte der Denk- und Glaubensfreiheit
im ersten Jahrhundert der Kaiserherrschaft und des Christenthums.
(Geschrieben kurz vor der deutschen Revolution.)



Dies Buch ist von eben so neuem und zugleich die Gegenwart bewegendem
historischem Inhalte, mit so viel Geist und liebevoller Versenkung in den Gegen¬
stand geschrieben, daß wir demselben viel wohlverdientes Glück und ein langes
prophezeihen. Wir sind überzeugt, daß mit jedem Jahre die Theilnahme des ge¬
bildeten Publikums daran zunehmen werde. Ja, wir verhehlen unsere Meinung
nicht, daß es uns ein wie für unsre Zeit geschaffenes Buch dünkt, welches jedem
gebildeten Europäer förderlich zu lesen wäre, von uns Deutschen aber unbedingt
gelesen werden sollte. Das thut vor Allem die glückliche Wahl des Stoffs.
Wahrlich, es ist wohl die erste und größte Eigenschaft des Geschichtschreibers
jenes feine Gefühl von dem, was der Mensch der Gegenwart eben jetzt sür wissen¬
schaftlichen Bedarf hat; jene Gabe, das Augenmerk genau auf diejenigen Striche
geschichtlicher Vorgänge zu richten, welche als von der Sonne der Gegenwart be¬
schienen uns eben dadurch auffordern, uns vom Anfang bis zu Ende darin zu
ergehen und so die Geschichtswissenschaft zum praktischen Nutzen der Mitwelt zu
bearbeiten. In diesem Geiste arbeitet schon längst Adolph Schmidt; in dem¬
selben ist auch das vorliegende Buch geschrieben. Die Geschichte ist ihm (wie er
S. 1 der Einleitung sagt) „das Gedächtnißvermögen des Menschengeschlechts;"
mit ihm wagt er „mit Zuversicht aus der Gesammtanschauung der Vergangenheit
die nächste Phase der Zukunft zu bestimmen" (S. 9). — Wie lächerlich erscheint
da nicht neben einem solchen Sinne der dem Verfasser gemachte Vorwurf, daß er
sein Buch nur geschrieben, um den Leser zwischen den Zeilen Parallelen mit der
nächsten Gegenwart ziehen zu lassen. Als wenn das die Geschichtswissenschaft nicht
von selbst und von Gott und Rechts wegen thäte, als wenn der echte Historiker
etwas anders erforschen möchte und könnte, als eben den Zusammenhang der alten
und der neuen Zeit. Sonst wäre, nach unserer Ansicht, all sein Reden nichts


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[0127] Adolph Zchmidt's Geschichte der Denk- und Glaubensfreiheit im ersten Jahrhundert der Kaiserherrschaft und des Christenthums. (Geschrieben kurz vor der deutschen Revolution.) Dies Buch ist von eben so neuem und zugleich die Gegenwart bewegendem historischem Inhalte, mit so viel Geist und liebevoller Versenkung in den Gegen¬ stand geschrieben, daß wir demselben viel wohlverdientes Glück und ein langes prophezeihen. Wir sind überzeugt, daß mit jedem Jahre die Theilnahme des ge¬ bildeten Publikums daran zunehmen werde. Ja, wir verhehlen unsere Meinung nicht, daß es uns ein wie für unsre Zeit geschaffenes Buch dünkt, welches jedem gebildeten Europäer förderlich zu lesen wäre, von uns Deutschen aber unbedingt gelesen werden sollte. Das thut vor Allem die glückliche Wahl des Stoffs. Wahrlich, es ist wohl die erste und größte Eigenschaft des Geschichtschreibers jenes feine Gefühl von dem, was der Mensch der Gegenwart eben jetzt sür wissen¬ schaftlichen Bedarf hat; jene Gabe, das Augenmerk genau auf diejenigen Striche geschichtlicher Vorgänge zu richten, welche als von der Sonne der Gegenwart be¬ schienen uns eben dadurch auffordern, uns vom Anfang bis zu Ende darin zu ergehen und so die Geschichtswissenschaft zum praktischen Nutzen der Mitwelt zu bearbeiten. In diesem Geiste arbeitet schon längst Adolph Schmidt; in dem¬ selben ist auch das vorliegende Buch geschrieben. Die Geschichte ist ihm (wie er S. 1 der Einleitung sagt) „das Gedächtnißvermögen des Menschengeschlechts;" mit ihm wagt er „mit Zuversicht aus der Gesammtanschauung der Vergangenheit die nächste Phase der Zukunft zu bestimmen" (S. 9). — Wie lächerlich erscheint da nicht neben einem solchen Sinne der dem Verfasser gemachte Vorwurf, daß er sein Buch nur geschrieben, um den Leser zwischen den Zeilen Parallelen mit der nächsten Gegenwart ziehen zu lassen. Als wenn das die Geschichtswissenschaft nicht von selbst und von Gott und Rechts wegen thäte, als wenn der echte Historiker etwas anders erforschen möchte und könnte, als eben den Zusammenhang der alten und der neuen Zeit. Sonst wäre, nach unserer Ansicht, all sein Reden nichts Gr-nzbot-n. it. I8i». 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/127>, abgerufen am 06.05.2024.