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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Prag und der neue Panslavismus.



Der Fremde, der völlig unvorbereitet durch Zeitungsartikel in diesen Tagen
unsere Stadt beträte, würde in den ersten Augenblicken unfehlbar glauben müssen,
das alte Prag wolle trotz schlechter Zeiten versäumte Faschingsfreuden nachholen.
Ueberall und überall phantastische Trachten, Schnurenröcke in den böhmischen Far¬
ben, roth und weiß, überall Pistolen im Gurt, klirrende Säbel, polnische Mützen,
Zipfelmützen mit Pelz verbrämt -- die seltsame Garderobe verschollener Zeiten
und fabelhafter Länder. Dort gehn Mäuner schneeweiß angezogen in der Tracht
der Drahtbinder, sie tragen Sandalen und weiße, runde Hüte mit farbiger Sticke¬
rei illustrirt -- das sind Slovaken, Kroaten, Slavonier. Dort gehn andere mit
gestickten Wamms, rothgestreiften Pumphosen, seltsamen Mützen von rothen
Sammet, -- es siud Dalmatcn, Moutcucgriner. schaurige Pfaffengestalten in
schwarzen Talaren, langen Haaren, Einsiedlerbärten, mit rothen Gürtel um den
Leib wandeln dort in der Mitte eines bewaffneten Haufens, es sind serbische
Popen. Der Slavencvngreß der am 4. eröffnet werden soll, hat diese ganze
Fastnacht heraufbeschworen, und Prag, das wir von Kindesgcbein her als eine
deutsche Stadt gekannt, ist mit einem Male eine rein slavische Stadt geworden.
Vorerst freilich nur in den Köpfen der Jugend, der Studenten, der Frauen; der
Bürger, das Volk weiß wenig davon. Der Krämer, der Gewerbsmann blickt
Mit eigenthümlichen Mienen in dies Treiben, er versteht nichts vom westslavischcn
Reiche, nichts vom Panslavismus; er weiß nur, daß der Handel und Verkehr
stille steht und ahnt, daß die Gäste, die sogenannten Stammesbrüder, von Ost,
Nord und Süd noch viel Unheil in's Land bringen. Auch das Volk, so gut
czechisch es sein mag, kann sich für ein Parlament nicht begeistern, dessen Zweck es
nicht versteht und nimmt von den Umzügen der Kongreßmitglieder, die mit wehen¬
den panslavischen Fahnen die Stadt durchschreiten, nicht mehr Notiz, als von
einer ihm unbegreiflichen Maskerade.

Am Nachmittag des 30. Mai kamen die Abgeordneten des bevorstehenden Con-
gresses in großer Anzahl mit dem Eisenbahntrain an, es waren vorwiegend De¬
putate aus den südslavischen Ländern, Slavonier, Kroaten, Dalmaten, aber auch
Polen und Serben waren dabei. Da ihre Ankunft bekannt gegeben worden war,


Prag und der neue Panslavismus.



Der Fremde, der völlig unvorbereitet durch Zeitungsartikel in diesen Tagen
unsere Stadt beträte, würde in den ersten Augenblicken unfehlbar glauben müssen,
das alte Prag wolle trotz schlechter Zeiten versäumte Faschingsfreuden nachholen.
Ueberall und überall phantastische Trachten, Schnurenröcke in den böhmischen Far¬
ben, roth und weiß, überall Pistolen im Gurt, klirrende Säbel, polnische Mützen,
Zipfelmützen mit Pelz verbrämt — die seltsame Garderobe verschollener Zeiten
und fabelhafter Länder. Dort gehn Mäuner schneeweiß angezogen in der Tracht
der Drahtbinder, sie tragen Sandalen und weiße, runde Hüte mit farbiger Sticke¬
rei illustrirt — das sind Slovaken, Kroaten, Slavonier. Dort gehn andere mit
gestickten Wamms, rothgestreiften Pumphosen, seltsamen Mützen von rothen
Sammet, — es siud Dalmatcn, Moutcucgriner. schaurige Pfaffengestalten in
schwarzen Talaren, langen Haaren, Einsiedlerbärten, mit rothen Gürtel um den
Leib wandeln dort in der Mitte eines bewaffneten Haufens, es sind serbische
Popen. Der Slavencvngreß der am 4. eröffnet werden soll, hat diese ganze
Fastnacht heraufbeschworen, und Prag, das wir von Kindesgcbein her als eine
deutsche Stadt gekannt, ist mit einem Male eine rein slavische Stadt geworden.
Vorerst freilich nur in den Köpfen der Jugend, der Studenten, der Frauen; der
Bürger, das Volk weiß wenig davon. Der Krämer, der Gewerbsmann blickt
Mit eigenthümlichen Mienen in dies Treiben, er versteht nichts vom westslavischcn
Reiche, nichts vom Panslavismus; er weiß nur, daß der Handel und Verkehr
stille steht und ahnt, daß die Gäste, die sogenannten Stammesbrüder, von Ost,
Nord und Süd noch viel Unheil in's Land bringen. Auch das Volk, so gut
czechisch es sein mag, kann sich für ein Parlament nicht begeistern, dessen Zweck es
nicht versteht und nimmt von den Umzügen der Kongreßmitglieder, die mit wehen¬
den panslavischen Fahnen die Stadt durchschreiten, nicht mehr Notiz, als von
einer ihm unbegreiflichen Maskerade.

Am Nachmittag des 30. Mai kamen die Abgeordneten des bevorstehenden Con-
gresses in großer Anzahl mit dem Eisenbahntrain an, es waren vorwiegend De¬
putate aus den südslavischen Ländern, Slavonier, Kroaten, Dalmaten, aber auch
Polen und Serben waren dabei. Da ihre Ankunft bekannt gegeben worden war,


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[0393] Prag und der neue Panslavismus. Der Fremde, der völlig unvorbereitet durch Zeitungsartikel in diesen Tagen unsere Stadt beträte, würde in den ersten Augenblicken unfehlbar glauben müssen, das alte Prag wolle trotz schlechter Zeiten versäumte Faschingsfreuden nachholen. Ueberall und überall phantastische Trachten, Schnurenröcke in den böhmischen Far¬ ben, roth und weiß, überall Pistolen im Gurt, klirrende Säbel, polnische Mützen, Zipfelmützen mit Pelz verbrämt — die seltsame Garderobe verschollener Zeiten und fabelhafter Länder. Dort gehn Mäuner schneeweiß angezogen in der Tracht der Drahtbinder, sie tragen Sandalen und weiße, runde Hüte mit farbiger Sticke¬ rei illustrirt — das sind Slovaken, Kroaten, Slavonier. Dort gehn andere mit gestickten Wamms, rothgestreiften Pumphosen, seltsamen Mützen von rothen Sammet, — es siud Dalmatcn, Moutcucgriner. schaurige Pfaffengestalten in schwarzen Talaren, langen Haaren, Einsiedlerbärten, mit rothen Gürtel um den Leib wandeln dort in der Mitte eines bewaffneten Haufens, es sind serbische Popen. Der Slavencvngreß der am 4. eröffnet werden soll, hat diese ganze Fastnacht heraufbeschworen, und Prag, das wir von Kindesgcbein her als eine deutsche Stadt gekannt, ist mit einem Male eine rein slavische Stadt geworden. Vorerst freilich nur in den Köpfen der Jugend, der Studenten, der Frauen; der Bürger, das Volk weiß wenig davon. Der Krämer, der Gewerbsmann blickt Mit eigenthümlichen Mienen in dies Treiben, er versteht nichts vom westslavischcn Reiche, nichts vom Panslavismus; er weiß nur, daß der Handel und Verkehr stille steht und ahnt, daß die Gäste, die sogenannten Stammesbrüder, von Ost, Nord und Süd noch viel Unheil in's Land bringen. Auch das Volk, so gut czechisch es sein mag, kann sich für ein Parlament nicht begeistern, dessen Zweck es nicht versteht und nimmt von den Umzügen der Kongreßmitglieder, die mit wehen¬ den panslavischen Fahnen die Stadt durchschreiten, nicht mehr Notiz, als von einer ihm unbegreiflichen Maskerade. Am Nachmittag des 30. Mai kamen die Abgeordneten des bevorstehenden Con- gresses in großer Anzahl mit dem Eisenbahntrain an, es waren vorwiegend De¬ putate aus den südslavischen Ländern, Slavonier, Kroaten, Dalmaten, aber auch Polen und Serben waren dabei. Da ihre Ankunft bekannt gegeben worden war,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/393>, abgerufen am 06.05.2024.