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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Die deutsche Demokratie.



Wir haben es erreicht, das eine Ziel unserer Wünsche. Denn schwerlich
dürfte sich der Demokratie jetzt noch ein beträchtliches Hinderniß entgegenstellen.
Wie steht es aber mit dem andern Theil unserer Wünsche? Die Meisten von uns
erstrebten zugleich eine Verbesserung des geistigen und sittlichen Zustandes der
Nation, die Belebung und Verbreitung der Wissenschaft und Kunst, die Ueber¬
windung des positiven Dogmenglaubens, mit einem Worte die Befreiung der Ver¬
nunft. Wie steht es mit diesem Theil unserer Wünsche?

ES ist möglich, daß wir eiuen höhern Maßstab, als billig, anlegen, daß
wir von den großen Massen Eigenschaften fordern, die sich von ihnen weder jetzt,
noch in Zukunft erwarten lassen. Wenn das sich aber so verhält, ist dann das
Prinzip der Demokratie, der Volkssouveränität nicht etwas sehr Problematisches?
Zur Sell'stständigkeit gehört zweierlei, die Unbeschränktheit des Willens und die
Vernunftmäßigkeit des Willens. Nur der Vernünftige ist selbstständig und nur diese
Selbstständigkeit ist von Dauer. Denn die Folgen des unvernünftigen Handelns
treffen vernichtend auf den Handelnden zurück und rauben ihm seine Selvstständig-
keit nach dem Maße seiner Unvernunft.

Unsere exaltirten Republikaner freilich werden alle Aeußerungen des Volks¬
willens als solche vernünftig finden. DaS Volk ist ihnen eine Autorität, vor
der jede Reflexion, jede individuelle Meinung in den Staub sich beugen muß. .
Zuvor machen sie freilich aus diesem Volk, was ihnen beliebt; denn aber ist es
die Gottheit, der sich zu widersetzen als Ketzerei gilt.

Wir uun finden in den Aeußerungen des deutschen Volkslebens, so weit wir
dasselbe bis jetzt kennen zu lernen Gelegenheit hatten, außer manchem Erfreulichen
auch viel Unerfreuliches und Widriges, und wir scheuen uus um so weniger dies
auszusprechen, da wir andererseits uns eben so entschieden für das Prinzip der
Demokratie und für die sofortige Realisation dieses Prinzips erklären und wenn
die Demokratie auch nur ein kühner und unglücklicher Versuch bleiben sollte.

Wir erinnern zunächst an das Wuthgeschrei der Süddeutschen gegen Preußen.
Vor allen Dingen hätte hier gefordert werden müssen, daß man die frühere preußi¬
sche Regierung von dem preußischen Volke trenne; es hätte ferner gefordert werden


Die deutsche Demokratie.



Wir haben es erreicht, das eine Ziel unserer Wünsche. Denn schwerlich
dürfte sich der Demokratie jetzt noch ein beträchtliches Hinderniß entgegenstellen.
Wie steht es aber mit dem andern Theil unserer Wünsche? Die Meisten von uns
erstrebten zugleich eine Verbesserung des geistigen und sittlichen Zustandes der
Nation, die Belebung und Verbreitung der Wissenschaft und Kunst, die Ueber¬
windung des positiven Dogmenglaubens, mit einem Worte die Befreiung der Ver¬
nunft. Wie steht es mit diesem Theil unserer Wünsche?

ES ist möglich, daß wir eiuen höhern Maßstab, als billig, anlegen, daß
wir von den großen Massen Eigenschaften fordern, die sich von ihnen weder jetzt,
noch in Zukunft erwarten lassen. Wenn das sich aber so verhält, ist dann das
Prinzip der Demokratie, der Volkssouveränität nicht etwas sehr Problematisches?
Zur Sell'stständigkeit gehört zweierlei, die Unbeschränktheit des Willens und die
Vernunftmäßigkeit des Willens. Nur der Vernünftige ist selbstständig und nur diese
Selbstständigkeit ist von Dauer. Denn die Folgen des unvernünftigen Handelns
treffen vernichtend auf den Handelnden zurück und rauben ihm seine Selvstständig-
keit nach dem Maße seiner Unvernunft.

Unsere exaltirten Republikaner freilich werden alle Aeußerungen des Volks¬
willens als solche vernünftig finden. DaS Volk ist ihnen eine Autorität, vor
der jede Reflexion, jede individuelle Meinung in den Staub sich beugen muß. .
Zuvor machen sie freilich aus diesem Volk, was ihnen beliebt; denn aber ist es
die Gottheit, der sich zu widersetzen als Ketzerei gilt.

Wir uun finden in den Aeußerungen des deutschen Volkslebens, so weit wir
dasselbe bis jetzt kennen zu lernen Gelegenheit hatten, außer manchem Erfreulichen
auch viel Unerfreuliches und Widriges, und wir scheuen uus um so weniger dies
auszusprechen, da wir andererseits uns eben so entschieden für das Prinzip der
Demokratie und für die sofortige Realisation dieses Prinzips erklären und wenn
die Demokratie auch nur ein kühner und unglücklicher Versuch bleiben sollte.

Wir erinnern zunächst an das Wuthgeschrei der Süddeutschen gegen Preußen.
Vor allen Dingen hätte hier gefordert werden müssen, daß man die frühere preußi¬
sche Regierung von dem preußischen Volke trenne; es hätte ferner gefordert werden


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[0470] Die deutsche Demokratie. Wir haben es erreicht, das eine Ziel unserer Wünsche. Denn schwerlich dürfte sich der Demokratie jetzt noch ein beträchtliches Hinderniß entgegenstellen. Wie steht es aber mit dem andern Theil unserer Wünsche? Die Meisten von uns erstrebten zugleich eine Verbesserung des geistigen und sittlichen Zustandes der Nation, die Belebung und Verbreitung der Wissenschaft und Kunst, die Ueber¬ windung des positiven Dogmenglaubens, mit einem Worte die Befreiung der Ver¬ nunft. Wie steht es mit diesem Theil unserer Wünsche? ES ist möglich, daß wir eiuen höhern Maßstab, als billig, anlegen, daß wir von den großen Massen Eigenschaften fordern, die sich von ihnen weder jetzt, noch in Zukunft erwarten lassen. Wenn das sich aber so verhält, ist dann das Prinzip der Demokratie, der Volkssouveränität nicht etwas sehr Problematisches? Zur Sell'stständigkeit gehört zweierlei, die Unbeschränktheit des Willens und die Vernunftmäßigkeit des Willens. Nur der Vernünftige ist selbstständig und nur diese Selbstständigkeit ist von Dauer. Denn die Folgen des unvernünftigen Handelns treffen vernichtend auf den Handelnden zurück und rauben ihm seine Selvstständig- keit nach dem Maße seiner Unvernunft. Unsere exaltirten Republikaner freilich werden alle Aeußerungen des Volks¬ willens als solche vernünftig finden. DaS Volk ist ihnen eine Autorität, vor der jede Reflexion, jede individuelle Meinung in den Staub sich beugen muß. . Zuvor machen sie freilich aus diesem Volk, was ihnen beliebt; denn aber ist es die Gottheit, der sich zu widersetzen als Ketzerei gilt. Wir uun finden in den Aeußerungen des deutschen Volkslebens, so weit wir dasselbe bis jetzt kennen zu lernen Gelegenheit hatten, außer manchem Erfreulichen auch viel Unerfreuliches und Widriges, und wir scheuen uus um so weniger dies auszusprechen, da wir andererseits uns eben so entschieden für das Prinzip der Demokratie und für die sofortige Realisation dieses Prinzips erklären und wenn die Demokratie auch nur ein kühner und unglücklicher Versuch bleiben sollte. Wir erinnern zunächst an das Wuthgeschrei der Süddeutschen gegen Preußen. Vor allen Dingen hätte hier gefordert werden müssen, daß man die frühere preußi¬ sche Regierung von dem preußischen Volke trenne; es hätte ferner gefordert werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/470>, abgerufen am 06.05.2024.