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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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serbisches Hochzeitlied beim Kolotanze rechnen wir zu den schönsten und tiefsinnig¬
sten Offenbarungen des Volksgeistes, welche wir kennen. Hier prahlt der Held,
kein schöneres Weib sei auf der Welt als seines, selbst nicht die weiße Wila im
Hain, der weibliche Waldgeist der Slaven, könne sich ihr vergleichen. Da kommt
die Wila aus dem Walde auf den Hof des Prahlenden und fordert ihn auf, sein
gepriesenes Weib heraufzuführen und ihr gegenüber zu stellen. Die Wila sieht
nun selbst die Wahrheit ein und spricht:


Leicht hast du's Held zu rühmen dich,
Daß deine Gattin schöner ist
Als ich, des Waldes Wila bin!
Sie hat die Mutter geboren,
Hülle' sie in seidne Windeln ein,
säugte sie süß mit Muttermilch.
Mich hat der Wald geboren,
Hüllte in grünes Laub mich ein.

So führt die Waldfrau den Vergleich noch eine Weile fort. -- Ein Volk,
das so die schone, echte Menschlichkeit zu erheben versteht, kann nicht schlecht, kann
der Freiheit nicht auf die Dauer verloren sein.

Deutsche Dichter sah ich in Ungarn vier, nämlich die Pseudonymen Nupertus
(Baron von Beyer), Carl Julius, Christian Oeser und Carl Wilm. Letzterer,
von Geburt ein Böhme, welcher damals in einer Caserne zu Pesth wohnte, ver¬
arbeitet das Stillleben, welches er eine Zeit lang als östreichischer Offizier an der
Militärgrenze führte, für das Genre unserer deutschen Dorfgeschichten. Es fehlt
ihm keineswegs an Talent, und einige an verschiedenen Orten zerstreute Proben
haben wir im Ganzen mit Vergnügen gelesen. Aber weil der Gedanke, walachi-
sche Dorfgeschichten, und zwar mit deutschem Hintergründe, zu schreiben, an und
für sich schon so piquant ist, so müssen wir den Verfasser warnen, daß er den
Contrast zwischen Natur- und Culturleben durch subjective Darstellung nicht allzu
stark hervorhebt.

Herr v. Beyer, Rupertus, war eine Zeit lang Rittergutsbesitzer unweit Berlin,
trat dann in östreichische Dienste und lebt jetzt, mit der Tochter eines ungarischen
Magnaten verheirathet, auf einem Weinberge bei Preßburg. In seinen bei Heckenast
kürzlich erschienenen Erzählungen erkennt man fast eben sowohl den märkischen
Edelmann, der sich seiner Zeit an die romantische Schule Berlins anschloß, als
den östreichischen Offizier heraus. Alle diese Elemente aber lehnen sich an die
Darstellung des wilden ungarischen Naturlebens an. Als Romantiker hat Ru¬
pertus natürlich das Recht, in seinen Erzählungen so subjectiv als möglich zu
sein: aber sie würden durch größere Objectivität doch uur gewinnen, zumal er in
der Selbstironie nicht glücklich ist. Am liebsten ist uns der Dichter, wo er einen
kräftigeren Ton anschlägt, durch deu er zuweilen seinem Freunde Gaudy zur
'5. pr'edle. Seite tritt.




serbisches Hochzeitlied beim Kolotanze rechnen wir zu den schönsten und tiefsinnig¬
sten Offenbarungen des Volksgeistes, welche wir kennen. Hier prahlt der Held,
kein schöneres Weib sei auf der Welt als seines, selbst nicht die weiße Wila im
Hain, der weibliche Waldgeist der Slaven, könne sich ihr vergleichen. Da kommt
die Wila aus dem Walde auf den Hof des Prahlenden und fordert ihn auf, sein
gepriesenes Weib heraufzuführen und ihr gegenüber zu stellen. Die Wila sieht
nun selbst die Wahrheit ein und spricht:


Leicht hast du's Held zu rühmen dich,
Daß deine Gattin schöner ist
Als ich, des Waldes Wila bin!
Sie hat die Mutter geboren,
Hülle' sie in seidne Windeln ein,
säugte sie süß mit Muttermilch.
Mich hat der Wald geboren,
Hüllte in grünes Laub mich ein.

So führt die Waldfrau den Vergleich noch eine Weile fort. — Ein Volk,
das so die schone, echte Menschlichkeit zu erheben versteht, kann nicht schlecht, kann
der Freiheit nicht auf die Dauer verloren sein.

Deutsche Dichter sah ich in Ungarn vier, nämlich die Pseudonymen Nupertus
(Baron von Beyer), Carl Julius, Christian Oeser und Carl Wilm. Letzterer,
von Geburt ein Böhme, welcher damals in einer Caserne zu Pesth wohnte, ver¬
arbeitet das Stillleben, welches er eine Zeit lang als östreichischer Offizier an der
Militärgrenze führte, für das Genre unserer deutschen Dorfgeschichten. Es fehlt
ihm keineswegs an Talent, und einige an verschiedenen Orten zerstreute Proben
haben wir im Ganzen mit Vergnügen gelesen. Aber weil der Gedanke, walachi-
sche Dorfgeschichten, und zwar mit deutschem Hintergründe, zu schreiben, an und
für sich schon so piquant ist, so müssen wir den Verfasser warnen, daß er den
Contrast zwischen Natur- und Culturleben durch subjective Darstellung nicht allzu
stark hervorhebt.

Herr v. Beyer, Rupertus, war eine Zeit lang Rittergutsbesitzer unweit Berlin,
trat dann in östreichische Dienste und lebt jetzt, mit der Tochter eines ungarischen
Magnaten verheirathet, auf einem Weinberge bei Preßburg. In seinen bei Heckenast
kürzlich erschienenen Erzählungen erkennt man fast eben sowohl den märkischen
Edelmann, der sich seiner Zeit an die romantische Schule Berlins anschloß, als
den östreichischen Offizier heraus. Alle diese Elemente aber lehnen sich an die
Darstellung des wilden ungarischen Naturlebens an. Als Romantiker hat Ru¬
pertus natürlich das Recht, in seinen Erzählungen so subjectiv als möglich zu
sein: aber sie würden durch größere Objectivität doch uur gewinnen, zumal er in
der Selbstironie nicht glücklich ist. Am liebsten ist uns der Dichter, wo er einen
kräftigeren Ton anschlägt, durch deu er zuweilen seinem Freunde Gaudy zur
'5. pr'edle. Seite tritt.




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[0469] serbisches Hochzeitlied beim Kolotanze rechnen wir zu den schönsten und tiefsinnig¬ sten Offenbarungen des Volksgeistes, welche wir kennen. Hier prahlt der Held, kein schöneres Weib sei auf der Welt als seines, selbst nicht die weiße Wila im Hain, der weibliche Waldgeist der Slaven, könne sich ihr vergleichen. Da kommt die Wila aus dem Walde auf den Hof des Prahlenden und fordert ihn auf, sein gepriesenes Weib heraufzuführen und ihr gegenüber zu stellen. Die Wila sieht nun selbst die Wahrheit ein und spricht: Leicht hast du's Held zu rühmen dich, Daß deine Gattin schöner ist Als ich, des Waldes Wila bin! Sie hat die Mutter geboren, Hülle' sie in seidne Windeln ein, säugte sie süß mit Muttermilch. Mich hat der Wald geboren, Hüllte in grünes Laub mich ein. So führt die Waldfrau den Vergleich noch eine Weile fort. — Ein Volk, das so die schone, echte Menschlichkeit zu erheben versteht, kann nicht schlecht, kann der Freiheit nicht auf die Dauer verloren sein. Deutsche Dichter sah ich in Ungarn vier, nämlich die Pseudonymen Nupertus (Baron von Beyer), Carl Julius, Christian Oeser und Carl Wilm. Letzterer, von Geburt ein Böhme, welcher damals in einer Caserne zu Pesth wohnte, ver¬ arbeitet das Stillleben, welches er eine Zeit lang als östreichischer Offizier an der Militärgrenze führte, für das Genre unserer deutschen Dorfgeschichten. Es fehlt ihm keineswegs an Talent, und einige an verschiedenen Orten zerstreute Proben haben wir im Ganzen mit Vergnügen gelesen. Aber weil der Gedanke, walachi- sche Dorfgeschichten, und zwar mit deutschem Hintergründe, zu schreiben, an und für sich schon so piquant ist, so müssen wir den Verfasser warnen, daß er den Contrast zwischen Natur- und Culturleben durch subjective Darstellung nicht allzu stark hervorhebt. Herr v. Beyer, Rupertus, war eine Zeit lang Rittergutsbesitzer unweit Berlin, trat dann in östreichische Dienste und lebt jetzt, mit der Tochter eines ungarischen Magnaten verheirathet, auf einem Weinberge bei Preßburg. In seinen bei Heckenast kürzlich erschienenen Erzählungen erkennt man fast eben sowohl den märkischen Edelmann, der sich seiner Zeit an die romantische Schule Berlins anschloß, als den östreichischen Offizier heraus. Alle diese Elemente aber lehnen sich an die Darstellung des wilden ungarischen Naturlebens an. Als Romantiker hat Ru¬ pertus natürlich das Recht, in seinen Erzählungen so subjectiv als möglich zu sein: aber sie würden durch größere Objectivität doch uur gewinnen, zumal er in der Selbstironie nicht glücklich ist. Am liebsten ist uns der Dichter, wo er einen kräftigeren Ton anschlägt, durch deu er zuweilen seinem Freunde Gaudy zur '5. pr'edle. Seite tritt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/469>, abgerufen am 18.05.2024.