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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Zwei französische Gesetze.



Der vielgepriesene französische Codex enthält zwei Gesetze, von denen das
eine barbarischer, das andere wilder Natur ist. Die Unauflöslichkeit der
Ehe ist ein Ueberbleibsel der Barbarei des Mittelalters, das Verbot, die Vater¬
schaft natürlicher Kinder nachzusuchen, ein Resultat der verwilderten Civili¬
sation. Nur die ultramontanen Gelüste einer, von der "heiligen Allianz" ge¬
machten Restauration, haben die Wiedereinführung des ersteren dieser Gesetze mög¬
lich gemacht; das letztere hat der frivole, oft an Wildheit streifende Leichtsinn der
französischen Nation zu Stande gebracht. In Frankreich hat dieses Gesetz eine
ganz besondere Bedeutung, die ich zur Charakteristik der französischen Einzelnaturen
(am Felsen der Nationalität wetzen sich die einzelnen Scharten in der Regel aus,)
hier näher entwickeln will. Bekanntlich gestattet das Gesetz der Unauflöslichkeit
der Ehe die sogenannte Scheidung "von Tisch und Bett," welche die Unsittlichkeit
des Verhältnisses natürlich nur noch steigert: "der Mann geht rechts, die Frau links"
und hat eine oder die andere Partei Vermögen, so muß sie einen Theil davon zu
einer Pension hergeben, die gleichsam die Kosten des Rechts - oder Linksgeheus be¬
streitet. Es soll kein bloßer Witz sein, wenn ich sage, daß der Franzose das ganze
Leben nach Rente", geistigen und materiellen, berechnet; es ist dies ganz ein¬
fach ein Resultat seiner ans Positivität und Genußsucht gebauten Natur. Der
Franzose arbeitet während der einen Hälfte seines Lebens mit bewundernswerther
Energie, um die Früchte seiner Arbeit während der andern Hälfte sorgenfrei ver¬
zehren zu können. Am reellsten tritt ihm bei dieser Geistesbeschaffenheit das Ziel
seiner Wünsche natürlich entgegen, wenn er noch in der Blüthe des Lebens die
erwünschte Rente im angenehmen Schooße der Ehe findet. Hiermit steht "ollkom¬
men im Einklange, daß in Frankreich mehr, als in irgend einem andern Lande,
das Vermögen von der Frauenseite in die Familie kommt, und die Fälle, in
denen reiche Männer arme Frauen heirathen, seltener als überall sind. Trägt
nun die Frau die Striemen des Schmerzes über die Untreue ihres Mannes im
Herzen, oder die der Schläge des Schlemmers und Trunkenboldes ans dem Rücken
und ist es ihr nach einem kostspieligen Prozesse, dessen Kosten natürlich sie ge¬
tragen hat, gelungen, die erwünschte Scheidung "von Tisch und Bett" zu Stande


"renzbottn. et. ,"4".
Zwei französische Gesetze.



Der vielgepriesene französische Codex enthält zwei Gesetze, von denen das
eine barbarischer, das andere wilder Natur ist. Die Unauflöslichkeit der
Ehe ist ein Ueberbleibsel der Barbarei des Mittelalters, das Verbot, die Vater¬
schaft natürlicher Kinder nachzusuchen, ein Resultat der verwilderten Civili¬
sation. Nur die ultramontanen Gelüste einer, von der „heiligen Allianz" ge¬
machten Restauration, haben die Wiedereinführung des ersteren dieser Gesetze mög¬
lich gemacht; das letztere hat der frivole, oft an Wildheit streifende Leichtsinn der
französischen Nation zu Stande gebracht. In Frankreich hat dieses Gesetz eine
ganz besondere Bedeutung, die ich zur Charakteristik der französischen Einzelnaturen
(am Felsen der Nationalität wetzen sich die einzelnen Scharten in der Regel aus,)
hier näher entwickeln will. Bekanntlich gestattet das Gesetz der Unauflöslichkeit
der Ehe die sogenannte Scheidung „von Tisch und Bett," welche die Unsittlichkeit
des Verhältnisses natürlich nur noch steigert: „der Mann geht rechts, die Frau links"
und hat eine oder die andere Partei Vermögen, so muß sie einen Theil davon zu
einer Pension hergeben, die gleichsam die Kosten des Rechts - oder Linksgeheus be¬
streitet. Es soll kein bloßer Witz sein, wenn ich sage, daß der Franzose das ganze
Leben nach Rente», geistigen und materiellen, berechnet; es ist dies ganz ein¬
fach ein Resultat seiner ans Positivität und Genußsucht gebauten Natur. Der
Franzose arbeitet während der einen Hälfte seines Lebens mit bewundernswerther
Energie, um die Früchte seiner Arbeit während der andern Hälfte sorgenfrei ver¬
zehren zu können. Am reellsten tritt ihm bei dieser Geistesbeschaffenheit das Ziel
seiner Wünsche natürlich entgegen, wenn er noch in der Blüthe des Lebens die
erwünschte Rente im angenehmen Schooße der Ehe findet. Hiermit steht »ollkom¬
men im Einklange, daß in Frankreich mehr, als in irgend einem andern Lande,
das Vermögen von der Frauenseite in die Familie kommt, und die Fälle, in
denen reiche Männer arme Frauen heirathen, seltener als überall sind. Trägt
nun die Frau die Striemen des Schmerzes über die Untreue ihres Mannes im
Herzen, oder die der Schläge des Schlemmers und Trunkenboldes ans dem Rücken
und ist es ihr nach einem kostspieligen Prozesse, dessen Kosten natürlich sie ge¬
tragen hat, gelungen, die erwünschte Scheidung „von Tisch und Bett" zu Stande


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[0503] Zwei französische Gesetze. Der vielgepriesene französische Codex enthält zwei Gesetze, von denen das eine barbarischer, das andere wilder Natur ist. Die Unauflöslichkeit der Ehe ist ein Ueberbleibsel der Barbarei des Mittelalters, das Verbot, die Vater¬ schaft natürlicher Kinder nachzusuchen, ein Resultat der verwilderten Civili¬ sation. Nur die ultramontanen Gelüste einer, von der „heiligen Allianz" ge¬ machten Restauration, haben die Wiedereinführung des ersteren dieser Gesetze mög¬ lich gemacht; das letztere hat der frivole, oft an Wildheit streifende Leichtsinn der französischen Nation zu Stande gebracht. In Frankreich hat dieses Gesetz eine ganz besondere Bedeutung, die ich zur Charakteristik der französischen Einzelnaturen (am Felsen der Nationalität wetzen sich die einzelnen Scharten in der Regel aus,) hier näher entwickeln will. Bekanntlich gestattet das Gesetz der Unauflöslichkeit der Ehe die sogenannte Scheidung „von Tisch und Bett," welche die Unsittlichkeit des Verhältnisses natürlich nur noch steigert: „der Mann geht rechts, die Frau links" und hat eine oder die andere Partei Vermögen, so muß sie einen Theil davon zu einer Pension hergeben, die gleichsam die Kosten des Rechts - oder Linksgeheus be¬ streitet. Es soll kein bloßer Witz sein, wenn ich sage, daß der Franzose das ganze Leben nach Rente», geistigen und materiellen, berechnet; es ist dies ganz ein¬ fach ein Resultat seiner ans Positivität und Genußsucht gebauten Natur. Der Franzose arbeitet während der einen Hälfte seines Lebens mit bewundernswerther Energie, um die Früchte seiner Arbeit während der andern Hälfte sorgenfrei ver¬ zehren zu können. Am reellsten tritt ihm bei dieser Geistesbeschaffenheit das Ziel seiner Wünsche natürlich entgegen, wenn er noch in der Blüthe des Lebens die erwünschte Rente im angenehmen Schooße der Ehe findet. Hiermit steht »ollkom¬ men im Einklange, daß in Frankreich mehr, als in irgend einem andern Lande, das Vermögen von der Frauenseite in die Familie kommt, und die Fälle, in denen reiche Männer arme Frauen heirathen, seltener als überall sind. Trägt nun die Frau die Striemen des Schmerzes über die Untreue ihres Mannes im Herzen, oder die der Schläge des Schlemmers und Trunkenboldes ans dem Rücken und ist es ihr nach einem kostspieligen Prozesse, dessen Kosten natürlich sie ge¬ tragen hat, gelungen, die erwünschte Scheidung „von Tisch und Bett" zu Stande «renzbottn. et. ,«4«.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/503>, abgerufen am 06.05.2024.