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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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zu bringen, so muß sie ihrem lieben Mann eine lebenslängliche Pension "machen,"
und zwar auf Unkosten ihrer durch das Leben selbst verwaisten, oft durch häus¬
liche Zwietrachtscenen schon halb demoralisirten Kinder, deren Erziehung sie ihrem
Vater doch unmöglich überlassen kann, wegen deren sie aber namentlich bei Kna¬
ben von dem Herrn Papa, dem es nicht um die Erziehung, sondern um Rache
und Exploitation zu thun ist, meisterlich chikanirt wird. Dieses Advokaten-Sabbath-
Gcsetz, dieser katholische Befrnchtungsact einer von der Welt mit Ekel angesehenen
Korruption, sollte vor einiger Zeit auf Veranlassung des seitdem abgetretenen
Justizministers CrLimenx aufgehoben werden; die Republik schreit in den Windeln:
"Aus der Klaue den Löwen!" Bei einem zu öffentlichen Demonstrationen so sehr
geneigten Volke und bei der Exaltation, welche das Project unter der weiblichen
Bevölkerung von Paris hervorgerufen hat, wunderte es mich wenig, daß die
Franc" sich damals auf dem Vendomcplatze, vor dem Justizministerium versam¬
meln wollten, um dem Minister für seine Absicht öffentlich zu danken. Der Fall
war zu einzig, als daß ich hätte verfehlen sollen, auf den Platz zu gehen.
Straßenjungen und Blonsenmänner umstanden die Vendomesäule und späheten mit
wahren Satvrgcsichtern nach den auf den Platz mündenden Straßen. Kleine
Gruppen von zwei und drei Weibern aus der niedern Klasse ließen sich blicken,
und wie sie Miene machten nach dem Palaste des Ministeriums zu ziehen, wurden
sie mit Halloh und Gezisch empfangen, wie Wunderthiere umringt, an den Röcken
gezerrt und gestoßen. Pfaffen und andere Leute sollen diese Menschen bezahlt
haben. Im Volke kennt man sein Elend gegenseitig und ist überhaupt offenherzig
genug zusammenzuhalten und in Masse zu erscheinen; in der sogenannten höhern
Gesellschaft erzeugt Bildung und das Gefühl der persönlichen Würde zu viel Scham,
als daß man seinen Unstern am hellen Tage zeigen sollte. Ich bemerkte daher,
daß wohlgekleidete Frauen nur einzeln dem Platze zuschritten, weniger um an der
Manifestation Theil zu nehmen, als um zu sehen, ob andere Leidensgefährtinnen
ohne ihr Wissen zugleich auch für sie das Wort ergreisen würden. Diese kamen
ohne den beschriebenen volksthümlichen Empfang davon, nur einige hellsehende
Straßenjungen steckten wie Spürhunde den Hals vor und murmelten verdächtige
Phrasen in die Semmel, die sie eben zum Frühstück verzehrten, gleichsam als
wollten sie selbige damit würzen. Hoch über den Gruppen auf eherner, von er¬
oberten Kanonen gegossener Säule, stand das Standbild des Mannes, der die
Ehescheidung dazu benutzt hat, sich mit einer Tochter von Habsburg zu vermäh¬
len, deren zweiter Mann, wie die neueste Zeitung mir sagt, die Flucht des jetzi¬
gen Kaisers von Oestreich leitete. Ich gab dem einarmigen Säulenwächter einen
Franken, stieg die schwarze Wendeltreppe hinauf und beschaute um zu den Füßen
Napoleons noch einmal die ganze Gruppe. Wie klein von dieser Höhe! --

Ich hätte hier noch von dem zweiten oben genannten Gesetze zu sprechen, vo"
dem, welches den Müttern verbietet, die Väter ihrer natürlichen Kinder gerichtlich


zu bringen, so muß sie ihrem lieben Mann eine lebenslängliche Pension „machen,"
und zwar auf Unkosten ihrer durch das Leben selbst verwaisten, oft durch häus¬
liche Zwietrachtscenen schon halb demoralisirten Kinder, deren Erziehung sie ihrem
Vater doch unmöglich überlassen kann, wegen deren sie aber namentlich bei Kna¬
ben von dem Herrn Papa, dem es nicht um die Erziehung, sondern um Rache
und Exploitation zu thun ist, meisterlich chikanirt wird. Dieses Advokaten-Sabbath-
Gcsetz, dieser katholische Befrnchtungsact einer von der Welt mit Ekel angesehenen
Korruption, sollte vor einiger Zeit auf Veranlassung des seitdem abgetretenen
Justizministers CrLimenx aufgehoben werden; die Republik schreit in den Windeln:
„Aus der Klaue den Löwen!" Bei einem zu öffentlichen Demonstrationen so sehr
geneigten Volke und bei der Exaltation, welche das Project unter der weiblichen
Bevölkerung von Paris hervorgerufen hat, wunderte es mich wenig, daß die
Franc» sich damals auf dem Vendomcplatze, vor dem Justizministerium versam¬
meln wollten, um dem Minister für seine Absicht öffentlich zu danken. Der Fall
war zu einzig, als daß ich hätte verfehlen sollen, auf den Platz zu gehen.
Straßenjungen und Blonsenmänner umstanden die Vendomesäule und späheten mit
wahren Satvrgcsichtern nach den auf den Platz mündenden Straßen. Kleine
Gruppen von zwei und drei Weibern aus der niedern Klasse ließen sich blicken,
und wie sie Miene machten nach dem Palaste des Ministeriums zu ziehen, wurden
sie mit Halloh und Gezisch empfangen, wie Wunderthiere umringt, an den Röcken
gezerrt und gestoßen. Pfaffen und andere Leute sollen diese Menschen bezahlt
haben. Im Volke kennt man sein Elend gegenseitig und ist überhaupt offenherzig
genug zusammenzuhalten und in Masse zu erscheinen; in der sogenannten höhern
Gesellschaft erzeugt Bildung und das Gefühl der persönlichen Würde zu viel Scham,
als daß man seinen Unstern am hellen Tage zeigen sollte. Ich bemerkte daher,
daß wohlgekleidete Frauen nur einzeln dem Platze zuschritten, weniger um an der
Manifestation Theil zu nehmen, als um zu sehen, ob andere Leidensgefährtinnen
ohne ihr Wissen zugleich auch für sie das Wort ergreisen würden. Diese kamen
ohne den beschriebenen volksthümlichen Empfang davon, nur einige hellsehende
Straßenjungen steckten wie Spürhunde den Hals vor und murmelten verdächtige
Phrasen in die Semmel, die sie eben zum Frühstück verzehrten, gleichsam als
wollten sie selbige damit würzen. Hoch über den Gruppen auf eherner, von er¬
oberten Kanonen gegossener Säule, stand das Standbild des Mannes, der die
Ehescheidung dazu benutzt hat, sich mit einer Tochter von Habsburg zu vermäh¬
len, deren zweiter Mann, wie die neueste Zeitung mir sagt, die Flucht des jetzi¬
gen Kaisers von Oestreich leitete. Ich gab dem einarmigen Säulenwächter einen
Franken, stieg die schwarze Wendeltreppe hinauf und beschaute um zu den Füßen
Napoleons noch einmal die ganze Gruppe. Wie klein von dieser Höhe! —

Ich hätte hier noch von dem zweiten oben genannten Gesetze zu sprechen, vo»
dem, welches den Müttern verbietet, die Väter ihrer natürlichen Kinder gerichtlich


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[0504] zu bringen, so muß sie ihrem lieben Mann eine lebenslängliche Pension „machen," und zwar auf Unkosten ihrer durch das Leben selbst verwaisten, oft durch häus¬ liche Zwietrachtscenen schon halb demoralisirten Kinder, deren Erziehung sie ihrem Vater doch unmöglich überlassen kann, wegen deren sie aber namentlich bei Kna¬ ben von dem Herrn Papa, dem es nicht um die Erziehung, sondern um Rache und Exploitation zu thun ist, meisterlich chikanirt wird. Dieses Advokaten-Sabbath- Gcsetz, dieser katholische Befrnchtungsact einer von der Welt mit Ekel angesehenen Korruption, sollte vor einiger Zeit auf Veranlassung des seitdem abgetretenen Justizministers CrLimenx aufgehoben werden; die Republik schreit in den Windeln: „Aus der Klaue den Löwen!" Bei einem zu öffentlichen Demonstrationen so sehr geneigten Volke und bei der Exaltation, welche das Project unter der weiblichen Bevölkerung von Paris hervorgerufen hat, wunderte es mich wenig, daß die Franc» sich damals auf dem Vendomcplatze, vor dem Justizministerium versam¬ meln wollten, um dem Minister für seine Absicht öffentlich zu danken. Der Fall war zu einzig, als daß ich hätte verfehlen sollen, auf den Platz zu gehen. Straßenjungen und Blonsenmänner umstanden die Vendomesäule und späheten mit wahren Satvrgcsichtern nach den auf den Platz mündenden Straßen. Kleine Gruppen von zwei und drei Weibern aus der niedern Klasse ließen sich blicken, und wie sie Miene machten nach dem Palaste des Ministeriums zu ziehen, wurden sie mit Halloh und Gezisch empfangen, wie Wunderthiere umringt, an den Röcken gezerrt und gestoßen. Pfaffen und andere Leute sollen diese Menschen bezahlt haben. Im Volke kennt man sein Elend gegenseitig und ist überhaupt offenherzig genug zusammenzuhalten und in Masse zu erscheinen; in der sogenannten höhern Gesellschaft erzeugt Bildung und das Gefühl der persönlichen Würde zu viel Scham, als daß man seinen Unstern am hellen Tage zeigen sollte. Ich bemerkte daher, daß wohlgekleidete Frauen nur einzeln dem Platze zuschritten, weniger um an der Manifestation Theil zu nehmen, als um zu sehen, ob andere Leidensgefährtinnen ohne ihr Wissen zugleich auch für sie das Wort ergreisen würden. Diese kamen ohne den beschriebenen volksthümlichen Empfang davon, nur einige hellsehende Straßenjungen steckten wie Spürhunde den Hals vor und murmelten verdächtige Phrasen in die Semmel, die sie eben zum Frühstück verzehrten, gleichsam als wollten sie selbige damit würzen. Hoch über den Gruppen auf eherner, von er¬ oberten Kanonen gegossener Säule, stand das Standbild des Mannes, der die Ehescheidung dazu benutzt hat, sich mit einer Tochter von Habsburg zu vermäh¬ len, deren zweiter Mann, wie die neueste Zeitung mir sagt, die Flucht des jetzi¬ gen Kaisers von Oestreich leitete. Ich gab dem einarmigen Säulenwächter einen Franken, stieg die schwarze Wendeltreppe hinauf und beschaute um zu den Füßen Napoleons noch einmal die ganze Gruppe. Wie klein von dieser Höhe! — Ich hätte hier noch von dem zweiten oben genannten Gesetze zu sprechen, vo» dem, welches den Müttern verbietet, die Väter ihrer natürlichen Kinder gerichtlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/504>, abgerufen am 27.05.2024.