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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Rundschau im Norden Deutschlands.
(Eine Parteistimme aus Hamburg.)



Nicht mehr werden die Stichwvrte unserer Gesellschaft: Banco, Courant,
Cours und Disconto, allein gehört, sondern sie sind um zwei vermehrt worden:
Reform und Reaction heißen die beiden lästigen Eindringlinge. Zweifeln wir
aber nach den täglich gemachten Erfahrungen nicht daran, daß bei uns die letztere
den vollständigsten Sieg davon tragen und Alles beim Alten bleiben werde, da
der eine Zeit lang für seine Existenz zitternde Senat zu der Einsicht gekommen
ist, daß eben das, was ihm Concessionen abnöthigte, nicht der Zornausbruch der
gesammten Bevölkerung, sondern wirklich nur Pöbelaufruhr war, und sich die ei¬
gentliche Bürgerschaft, vor Allem aber unsre Geldaristokratie, vor jeder Verän¬
derung fürchtet, eben weil sie sich ganz besonders wohl in dem Sumpfe der alten
Verfassung fühlte, weil sie im Verein mit dem Senate alle Macht, alles An¬
sehen allein in Händen hatte. Diese Geldmenschen haben alle Unbilde, alle
Rechtsverweigerun.im, ja selbst die schamlose Vergeudung der Staatseinkünfte und
die dem Grundeigenthümer auferlegten fast unerschwinglichen Steuern vergessen
und sich in compacter Masse um eben den Senat geschaart, auf dessen Treiben und
Walten sie früher selbst so manchen Fluch gelegt.

Der norddeutsche ist überhaupt schwerfällig, unpoetischer Natur; ihm fehlt
jenes Feuer, jene Schwungkraft, die allein große Ideen und große Thaten her^
vorrufen. Einen schlagenden Beweis für diese Behauptung bieten die Zustande
in den sämmtlichen norddeutschen Fürstentümern dar. Fangen wir mit den Her-
zogthümern Schleswig Holstein an.

Nachdem man sich Jahre lang auf das, was jetzt eingetreten, hatte gefaßt
machen müssen; nachdem man im Augenblick des Ausbruchs des Krieges mit
Dänemark geschworen, Leben und Gut an die Freiheit setzen und sie um jeden
Preis erringen zu wollen, überläßt man es jetzt Andern, das Leben für die Er¬
ringung der höchsten Güter, die man erstrebte, einzusetzen. Keine allgemeine
Volksbewaffnung hat statt gefunden; ja selbst die Freischaaren sind größtenteils
von Süddeutschen gebildet worden. Die Schleswig-holsteinischen jungen Männer,


Rundschau im Norden Deutschlands.
(Eine Parteistimme aus Hamburg.)



Nicht mehr werden die Stichwvrte unserer Gesellschaft: Banco, Courant,
Cours und Disconto, allein gehört, sondern sie sind um zwei vermehrt worden:
Reform und Reaction heißen die beiden lästigen Eindringlinge. Zweifeln wir
aber nach den täglich gemachten Erfahrungen nicht daran, daß bei uns die letztere
den vollständigsten Sieg davon tragen und Alles beim Alten bleiben werde, da
der eine Zeit lang für seine Existenz zitternde Senat zu der Einsicht gekommen
ist, daß eben das, was ihm Concessionen abnöthigte, nicht der Zornausbruch der
gesammten Bevölkerung, sondern wirklich nur Pöbelaufruhr war, und sich die ei¬
gentliche Bürgerschaft, vor Allem aber unsre Geldaristokratie, vor jeder Verän¬
derung fürchtet, eben weil sie sich ganz besonders wohl in dem Sumpfe der alten
Verfassung fühlte, weil sie im Verein mit dem Senate alle Macht, alles An¬
sehen allein in Händen hatte. Diese Geldmenschen haben alle Unbilde, alle
Rechtsverweigerun.im, ja selbst die schamlose Vergeudung der Staatseinkünfte und
die dem Grundeigenthümer auferlegten fast unerschwinglichen Steuern vergessen
und sich in compacter Masse um eben den Senat geschaart, auf dessen Treiben und
Walten sie früher selbst so manchen Fluch gelegt.

Der norddeutsche ist überhaupt schwerfällig, unpoetischer Natur; ihm fehlt
jenes Feuer, jene Schwungkraft, die allein große Ideen und große Thaten her^
vorrufen. Einen schlagenden Beweis für diese Behauptung bieten die Zustande
in den sämmtlichen norddeutschen Fürstentümern dar. Fangen wir mit den Her-
zogthümern Schleswig Holstein an.

Nachdem man sich Jahre lang auf das, was jetzt eingetreten, hatte gefaßt
machen müssen; nachdem man im Augenblick des Ausbruchs des Krieges mit
Dänemark geschworen, Leben und Gut an die Freiheit setzen und sie um jeden
Preis erringen zu wollen, überläßt man es jetzt Andern, das Leben für die Er¬
ringung der höchsten Güter, die man erstrebte, einzusetzen. Keine allgemeine
Volksbewaffnung hat statt gefunden; ja selbst die Freischaaren sind größtenteils
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[0516] Rundschau im Norden Deutschlands. (Eine Parteistimme aus Hamburg.) Nicht mehr werden die Stichwvrte unserer Gesellschaft: Banco, Courant, Cours und Disconto, allein gehört, sondern sie sind um zwei vermehrt worden: Reform und Reaction heißen die beiden lästigen Eindringlinge. Zweifeln wir aber nach den täglich gemachten Erfahrungen nicht daran, daß bei uns die letztere den vollständigsten Sieg davon tragen und Alles beim Alten bleiben werde, da der eine Zeit lang für seine Existenz zitternde Senat zu der Einsicht gekommen ist, daß eben das, was ihm Concessionen abnöthigte, nicht der Zornausbruch der gesammten Bevölkerung, sondern wirklich nur Pöbelaufruhr war, und sich die ei¬ gentliche Bürgerschaft, vor Allem aber unsre Geldaristokratie, vor jeder Verän¬ derung fürchtet, eben weil sie sich ganz besonders wohl in dem Sumpfe der alten Verfassung fühlte, weil sie im Verein mit dem Senate alle Macht, alles An¬ sehen allein in Händen hatte. Diese Geldmenschen haben alle Unbilde, alle Rechtsverweigerun.im, ja selbst die schamlose Vergeudung der Staatseinkünfte und die dem Grundeigenthümer auferlegten fast unerschwinglichen Steuern vergessen und sich in compacter Masse um eben den Senat geschaart, auf dessen Treiben und Walten sie früher selbst so manchen Fluch gelegt. Der norddeutsche ist überhaupt schwerfällig, unpoetischer Natur; ihm fehlt jenes Feuer, jene Schwungkraft, die allein große Ideen und große Thaten her^ vorrufen. Einen schlagenden Beweis für diese Behauptung bieten die Zustande in den sämmtlichen norddeutschen Fürstentümern dar. Fangen wir mit den Her- zogthümern Schleswig Holstein an. Nachdem man sich Jahre lang auf das, was jetzt eingetreten, hatte gefaßt machen müssen; nachdem man im Augenblick des Ausbruchs des Krieges mit Dänemark geschworen, Leben und Gut an die Freiheit setzen und sie um jeden Preis erringen zu wollen, überläßt man es jetzt Andern, das Leben für die Er¬ ringung der höchsten Güter, die man erstrebte, einzusetzen. Keine allgemeine Volksbewaffnung hat statt gefunden; ja selbst die Freischaaren sind größtenteils von Süddeutschen gebildet worden. Die Schleswig-holsteinischen jungen Männer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/516>, abgerufen am 05.05.2024.