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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Ein revolutionärer Druckfehler. -- Nothwendig- Verbindung des Radicalismus mit der Intelligenz, --
Die rechte radical- Mitte, -- Die politisch- Thätigkeit Stuttgarts. -- Störung "er gesellschaftlichen und
commerciellen Verhältnisse. -- Ein Nutodaf,!. -- Volksversammlungen. -- Volksbewaffnung. -- Frank¬
furter Versammlung. -- Die neuen Minister. -- Politische Literatur Stuttgarts. --
Der Frühling.

Was müssen Ihre verehrlichen Leser von den Stuttgarter Verhältnissen denken,
wenn sie in meinem vorigen Berichte von einer Verjagung der Ständekammern ge¬
lesen haben! Ich erzähle Ihnen Juni, Kcio von einer Vertagung und der Seher macht
ans dem harmlosen T ein revolutionäres I. An dem Septembristren sind wir denn
doch noch nicht, werden auch hoffentlich nicht dazu kommen; aber hinter beängstigender
Schwüle zucken einzelne Blitze, grollt dumpf der Donner. Und warum? Weil sich die
Mehrzahl unsrer Landsleute, ob schon sie den vollendeten Thatsachen der letzten Wochen
freudig zustimmte, jetzt vor den Konsequenzen zu fürchten anfängt. O wäre doch
Deutschland nicht zu dieser unseligen Halbheit verdammt! Ihr Deutschen, emancipirt
auch endlich von eurem engherzigen Philistcrthnme; fragt nicht, wie wird es werden,
sagt vielmehr: so muß es werden. Aber eilt, so lange noch die Entscheidung in eu¬
ren Händen liegt; denn schon gähnt ein finstrer Abgrund, die Herrschaft des Com¬
munismus und die im Ucbersturz hereinbrechende Anarchie, die Tyrannei der Materie
im Hintergründe die lauernde Reaction. Darum, ihr Männer, die ihr über das Pal¬
ladium der Intelligenz wacht, die ihr es redlich mit der Freiheit meint, rüstet euch zu
scharfer Wehr nach beiden Seiten, sonst frißt Saturn seine eignen Kinder; Kunst und
Wissen, die theuren Errungenschaften der letzten Perioden, stehen auf dem Spiele.
Thörichtes Beginnen, durch hohle Doktrinen die Möglichkeit einer Vermittlung zwischen
Reaction und Freiheit vorzuspiegeln. Das ist die verdammliche Weisheit der Stuben¬
hocker, die das Vaterland ut mvllum UinvIIi erlösen will. Wie kann man veraltete,
faule Einrichtungen noch mit einem Worte vertheidigen! dadurch bringt man den blin¬
den Haufen, der die Sophismen nicht verdauen kann, der nur mit dem dumpfen Be¬
wußtsein nothwendiger Umwälzung gegen das Bestehende anstürmt, nicht auf bessere
Gedanken. Warum sollen wir ihm die volle Berechtigung der einzelnen Forderungen
nicht in klarer Auseinandersetzung einräumen? Auch wir wollen Abschaffung jedes Miß.
brauchs, jeder Ungerechtigkeit, jeder wirklichen Ungleichheit, wir wollen Hebung auch
des materiellen Lebens. Wir wissen aber andererseits, daß alles das nur auf den
Grundlagen einer vermehrten Einsicht, Bildung, Gesittung erzielt werden kann. Und
ihr Männer, die ihr euch an die Spitze des Volks gestellt habt oder stellen sollt, ver-



*) Wir bitten unsere verehrten Herren Correspondenten, es so einzurichten, daß ihre Mit¬
D. R ed. theilungen spätestens Mittwoch Morgens in Leipzig ankommen.
Aus Stuttgart).



Ein revolutionärer Druckfehler. — Nothwendig- Verbindung des Radicalismus mit der Intelligenz, —
Die rechte radical- Mitte, — Die politisch- Thätigkeit Stuttgarts. — Störung «er gesellschaftlichen und
commerciellen Verhältnisse. — Ein Nutodaf,!. — Volksversammlungen. — Volksbewaffnung. — Frank¬
furter Versammlung. — Die neuen Minister. — Politische Literatur Stuttgarts. —
Der Frühling.

Was müssen Ihre verehrlichen Leser von den Stuttgarter Verhältnissen denken,
wenn sie in meinem vorigen Berichte von einer Verjagung der Ständekammern ge¬
lesen haben! Ich erzähle Ihnen Juni, Kcio von einer Vertagung und der Seher macht
ans dem harmlosen T ein revolutionäres I. An dem Septembristren sind wir denn
doch noch nicht, werden auch hoffentlich nicht dazu kommen; aber hinter beängstigender
Schwüle zucken einzelne Blitze, grollt dumpf der Donner. Und warum? Weil sich die
Mehrzahl unsrer Landsleute, ob schon sie den vollendeten Thatsachen der letzten Wochen
freudig zustimmte, jetzt vor den Konsequenzen zu fürchten anfängt. O wäre doch
Deutschland nicht zu dieser unseligen Halbheit verdammt! Ihr Deutschen, emancipirt
auch endlich von eurem engherzigen Philistcrthnme; fragt nicht, wie wird es werden,
sagt vielmehr: so muß es werden. Aber eilt, so lange noch die Entscheidung in eu¬
ren Händen liegt; denn schon gähnt ein finstrer Abgrund, die Herrschaft des Com¬
munismus und die im Ucbersturz hereinbrechende Anarchie, die Tyrannei der Materie
im Hintergründe die lauernde Reaction. Darum, ihr Männer, die ihr über das Pal¬
ladium der Intelligenz wacht, die ihr es redlich mit der Freiheit meint, rüstet euch zu
scharfer Wehr nach beiden Seiten, sonst frißt Saturn seine eignen Kinder; Kunst und
Wissen, die theuren Errungenschaften der letzten Perioden, stehen auf dem Spiele.
Thörichtes Beginnen, durch hohle Doktrinen die Möglichkeit einer Vermittlung zwischen
Reaction und Freiheit vorzuspiegeln. Das ist die verdammliche Weisheit der Stuben¬
hocker, die das Vaterland ut mvllum UinvIIi erlösen will. Wie kann man veraltete,
faule Einrichtungen noch mit einem Worte vertheidigen! dadurch bringt man den blin¬
den Haufen, der die Sophismen nicht verdauen kann, der nur mit dem dumpfen Be¬
wußtsein nothwendiger Umwälzung gegen das Bestehende anstürmt, nicht auf bessere
Gedanken. Warum sollen wir ihm die volle Berechtigung der einzelnen Forderungen
nicht in klarer Auseinandersetzung einräumen? Auch wir wollen Abschaffung jedes Miß.
brauchs, jeder Ungerechtigkeit, jeder wirklichen Ungleichheit, wir wollen Hebung auch
des materiellen Lebens. Wir wissen aber andererseits, daß alles das nur auf den
Grundlagen einer vermehrten Einsicht, Bildung, Gesittung erzielt werden kann. Und
ihr Männer, die ihr euch an die Spitze des Volks gestellt habt oder stellen sollt, ver-



*) Wir bitten unsere verehrten Herren Correspondenten, es so einzurichten, daß ihre Mit¬
D. R ed. theilungen spätestens Mittwoch Morgens in Leipzig ankommen.
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[0062] Aus Stuttgart). Ein revolutionärer Druckfehler. — Nothwendig- Verbindung des Radicalismus mit der Intelligenz, — Die rechte radical- Mitte, — Die politisch- Thätigkeit Stuttgarts. — Störung «er gesellschaftlichen und commerciellen Verhältnisse. — Ein Nutodaf,!. — Volksversammlungen. — Volksbewaffnung. — Frank¬ furter Versammlung. — Die neuen Minister. — Politische Literatur Stuttgarts. — Der Frühling. Was müssen Ihre verehrlichen Leser von den Stuttgarter Verhältnissen denken, wenn sie in meinem vorigen Berichte von einer Verjagung der Ständekammern ge¬ lesen haben! Ich erzähle Ihnen Juni, Kcio von einer Vertagung und der Seher macht ans dem harmlosen T ein revolutionäres I. An dem Septembristren sind wir denn doch noch nicht, werden auch hoffentlich nicht dazu kommen; aber hinter beängstigender Schwüle zucken einzelne Blitze, grollt dumpf der Donner. Und warum? Weil sich die Mehrzahl unsrer Landsleute, ob schon sie den vollendeten Thatsachen der letzten Wochen freudig zustimmte, jetzt vor den Konsequenzen zu fürchten anfängt. O wäre doch Deutschland nicht zu dieser unseligen Halbheit verdammt! Ihr Deutschen, emancipirt auch endlich von eurem engherzigen Philistcrthnme; fragt nicht, wie wird es werden, sagt vielmehr: so muß es werden. Aber eilt, so lange noch die Entscheidung in eu¬ ren Händen liegt; denn schon gähnt ein finstrer Abgrund, die Herrschaft des Com¬ munismus und die im Ucbersturz hereinbrechende Anarchie, die Tyrannei der Materie im Hintergründe die lauernde Reaction. Darum, ihr Männer, die ihr über das Pal¬ ladium der Intelligenz wacht, die ihr es redlich mit der Freiheit meint, rüstet euch zu scharfer Wehr nach beiden Seiten, sonst frißt Saturn seine eignen Kinder; Kunst und Wissen, die theuren Errungenschaften der letzten Perioden, stehen auf dem Spiele. Thörichtes Beginnen, durch hohle Doktrinen die Möglichkeit einer Vermittlung zwischen Reaction und Freiheit vorzuspiegeln. Das ist die verdammliche Weisheit der Stuben¬ hocker, die das Vaterland ut mvllum UinvIIi erlösen will. Wie kann man veraltete, faule Einrichtungen noch mit einem Worte vertheidigen! dadurch bringt man den blin¬ den Haufen, der die Sophismen nicht verdauen kann, der nur mit dem dumpfen Be¬ wußtsein nothwendiger Umwälzung gegen das Bestehende anstürmt, nicht auf bessere Gedanken. Warum sollen wir ihm die volle Berechtigung der einzelnen Forderungen nicht in klarer Auseinandersetzung einräumen? Auch wir wollen Abschaffung jedes Miß. brauchs, jeder Ungerechtigkeit, jeder wirklichen Ungleichheit, wir wollen Hebung auch des materiellen Lebens. Wir wissen aber andererseits, daß alles das nur auf den Grundlagen einer vermehrten Einsicht, Bildung, Gesittung erzielt werden kann. Und ihr Männer, die ihr euch an die Spitze des Volks gestellt habt oder stellen sollt, ver- *) Wir bitten unsere verehrten Herren Correspondenten, es so einzurichten, daß ihre Mit¬ D. R ed. theilungen spätestens Mittwoch Morgens in Leipzig ankommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/62>, abgerufen am 06.05.2024.