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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Preußen und die Revolution.



Die Revolution hat einen großen Sieg davon getragen; einen Sieg, der
mehr durch die Haltlosigkeit ihrer Gegner, als durch ihre eigene Kraft herbeige¬
führt zu sein scheint. Das preußische Gouvernement, d. h. das neue, liberale
Ministerium, hat es versucht, ihr einen Damm entgegen zu setzen; es hat Zv-mil
jeu gespielt, und hat verloren.

Das Ministerium Camphausen hatte die besten Chancen. Es war in sich
einig; die Männer, die es bildeten, hatten keine Vergangenheit gegen sich, sie
konnten sich entschieden an die Spitze der liberalen Partei stellen, deren vorzüg¬
lichste Vertreter sie auf dem vorjährigen Landtage gewesen waren; sie konnten die
Sache der Ordnung und des Rechts dadurch aufrecht halten, daß sie die wahren
Principien der Revolution, die Principien der Freiheit zu den ihrigen machten,
und auf gesetzlichem Wege realisirten.

Es stand ihnen kein wesentliches Hinderniß im Wege. Der König hatte sich
aller directen Einmischung in die Geschäfte begeben und seine ganze Verantwort¬
lichkeit auf das neue Ministerium übertragen; die alte büreaukratische Partei, an
ihrer Spitze der Graf v. Arnim, der durch seine hochherzige Erklärung bei Er¬
öffnung des vereinigten Landtags die Vergangenheit völlig ausgelöscht hat, hatte
ihnen eine energische und aufrichtige Unterstützung zugesagt, und sie konnten mit
leichter Mühe alle Männer, die Freiheit wollten, aber auch das Recht, um sich
schaaren, und mit kräftiger Hand die Freiheit herstellen, die Anarchie unterdrücken.

Das Ministerium sing mit einigen Ungeschicklichkeiten an. Es stieß die Män¬
ner, die aus verschiedenen Gegenden des Reichs -- aus Cöln, aus Breslau, an
sie abgeordnet waren, vor den Kopf, indem es, statt ihnen unmittelbare Zusiche-
rungen zu geben, im Allgemeinen Vertrauen von ihnen verlangte. Es zögerte mit
einem demokratischen Programm, es zögerte sogar, der factisch bereits aufs Voll¬
ständigste ausgebeuteten Preß- und Associationsfreiheit legale Geltung zu geben.
Es überließ die Initiative des Liberalismus, ganz wie das vo¬
rige Ministerium, der radicalen Partei. In revolutionären Zeiten hält
sich aber, wie Graf Arnim ganz richtig bemerkt hat, nur diejenige Regierung, die
den Forderungen des Volkes voraus ist.


Preußen und die Revolution.



Die Revolution hat einen großen Sieg davon getragen; einen Sieg, der
mehr durch die Haltlosigkeit ihrer Gegner, als durch ihre eigene Kraft herbeige¬
führt zu sein scheint. Das preußische Gouvernement, d. h. das neue, liberale
Ministerium, hat es versucht, ihr einen Damm entgegen zu setzen; es hat Zv-mil
jeu gespielt, und hat verloren.

Das Ministerium Camphausen hatte die besten Chancen. Es war in sich
einig; die Männer, die es bildeten, hatten keine Vergangenheit gegen sich, sie
konnten sich entschieden an die Spitze der liberalen Partei stellen, deren vorzüg¬
lichste Vertreter sie auf dem vorjährigen Landtage gewesen waren; sie konnten die
Sache der Ordnung und des Rechts dadurch aufrecht halten, daß sie die wahren
Principien der Revolution, die Principien der Freiheit zu den ihrigen machten,
und auf gesetzlichem Wege realisirten.

Es stand ihnen kein wesentliches Hinderniß im Wege. Der König hatte sich
aller directen Einmischung in die Geschäfte begeben und seine ganze Verantwort¬
lichkeit auf das neue Ministerium übertragen; die alte büreaukratische Partei, an
ihrer Spitze der Graf v. Arnim, der durch seine hochherzige Erklärung bei Er¬
öffnung des vereinigten Landtags die Vergangenheit völlig ausgelöscht hat, hatte
ihnen eine energische und aufrichtige Unterstützung zugesagt, und sie konnten mit
leichter Mühe alle Männer, die Freiheit wollten, aber auch das Recht, um sich
schaaren, und mit kräftiger Hand die Freiheit herstellen, die Anarchie unterdrücken.

Das Ministerium sing mit einigen Ungeschicklichkeiten an. Es stieß die Män¬
ner, die aus verschiedenen Gegenden des Reichs — aus Cöln, aus Breslau, an
sie abgeordnet waren, vor den Kopf, indem es, statt ihnen unmittelbare Zusiche-
rungen zu geben, im Allgemeinen Vertrauen von ihnen verlangte. Es zögerte mit
einem demokratischen Programm, es zögerte sogar, der factisch bereits aufs Voll¬
ständigste ausgebeuteten Preß- und Associationsfreiheit legale Geltung zu geben.
Es überließ die Initiative des Liberalismus, ganz wie das vo¬
rige Ministerium, der radicalen Partei. In revolutionären Zeiten hält
sich aber, wie Graf Arnim ganz richtig bemerkt hat, nur diejenige Regierung, die
den Forderungen des Volkes voraus ist.


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[0073] Preußen und die Revolution. Die Revolution hat einen großen Sieg davon getragen; einen Sieg, der mehr durch die Haltlosigkeit ihrer Gegner, als durch ihre eigene Kraft herbeige¬ führt zu sein scheint. Das preußische Gouvernement, d. h. das neue, liberale Ministerium, hat es versucht, ihr einen Damm entgegen zu setzen; es hat Zv-mil jeu gespielt, und hat verloren. Das Ministerium Camphausen hatte die besten Chancen. Es war in sich einig; die Männer, die es bildeten, hatten keine Vergangenheit gegen sich, sie konnten sich entschieden an die Spitze der liberalen Partei stellen, deren vorzüg¬ lichste Vertreter sie auf dem vorjährigen Landtage gewesen waren; sie konnten die Sache der Ordnung und des Rechts dadurch aufrecht halten, daß sie die wahren Principien der Revolution, die Principien der Freiheit zu den ihrigen machten, und auf gesetzlichem Wege realisirten. Es stand ihnen kein wesentliches Hinderniß im Wege. Der König hatte sich aller directen Einmischung in die Geschäfte begeben und seine ganze Verantwort¬ lichkeit auf das neue Ministerium übertragen; die alte büreaukratische Partei, an ihrer Spitze der Graf v. Arnim, der durch seine hochherzige Erklärung bei Er¬ öffnung des vereinigten Landtags die Vergangenheit völlig ausgelöscht hat, hatte ihnen eine energische und aufrichtige Unterstützung zugesagt, und sie konnten mit leichter Mühe alle Männer, die Freiheit wollten, aber auch das Recht, um sich schaaren, und mit kräftiger Hand die Freiheit herstellen, die Anarchie unterdrücken. Das Ministerium sing mit einigen Ungeschicklichkeiten an. Es stieß die Män¬ ner, die aus verschiedenen Gegenden des Reichs — aus Cöln, aus Breslau, an sie abgeordnet waren, vor den Kopf, indem es, statt ihnen unmittelbare Zusiche- rungen zu geben, im Allgemeinen Vertrauen von ihnen verlangte. Es zögerte mit einem demokratischen Programm, es zögerte sogar, der factisch bereits aufs Voll¬ ständigste ausgebeuteten Preß- und Associationsfreiheit legale Geltung zu geben. Es überließ die Initiative des Liberalismus, ganz wie das vo¬ rige Ministerium, der radicalen Partei. In revolutionären Zeiten hält sich aber, wie Graf Arnim ganz richtig bemerkt hat, nur diejenige Regierung, die den Forderungen des Volkes voraus ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/73>, abgerufen am 06.05.2024.