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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Vom Reich.



om.

Als sich die Nachricht von dem Morde der beiden Frankfurter Deputirten
verbreitete, hallte, mit Ausnahme der entschiedensten Schmutzblätter, die gesammte
Presse von Einem Schrei der Entrüstung wieder; dje Ermordung Lamberg's,
die doch unter viel schlimmeren Umständen stattfand, erregte im Ganzen schon
mehr Staunen als Abscheu; der Tod Latour's endlich fand selbst unter einem
Theil derjenigen, die sonst nicht lebhaft genug gegen die Wühlereien unserer
Linken zu deklamiren wissen, seine eifrigen Vertheidiger. Kommt es doch diesen
Männern der Phrase, die von ihrem Standpunkt aus nicht das geringste Recht
haben, gegen Robert Blum und Konsorten zu Felde zu ziehen, lediglich auf das
Stichwort an: "Deutsche Einheit! Deutsche Einheit!" Darut ist es denn abge¬
than. Daß Einheit eine verschiedene Bedeutung hat, daß man sie auch dann
hervorbringt, wenn man Deutschland in einen allgemeinen Schmutzhaufen begräbt,
diese ziemlich naheliegende Betrachtung ist unsern abstracten Einheitshelden zu hoch.
Daß die östreichischen Verhältnisse, bei der grenzenlosen Verwirrung aller Bestre¬
bungen und Wünsche, bei der vollkommenen Haltungslosigkeit der herrschenden
Fraction, zuletzt zu einer Schreckensherrschaft führen müßten, wie wir sie jetzt
von beiden Seiten hereinbrechen sehen, konnte man allenfalls voraussehen, aber
das menschliche Herz hat das Recht, über die Wirklichkeit auch des Nothwendigen
zu schaudern.

Noch ist es möglich, das Verderben wenigstens von Deutschland fern zu hal-,
ten, und wir wollen über jene entsetzlichen Ereignisse kein Klagelied anstimmen,
wenn sie dazu dienen, unsern Staatskünstlern die Augen zu öffnen. Möchte es
bald geschehen, damit das verhängnißvolle "Zu spät!" nicht auch hier seine Rechte
geltend macht! Bis jetzt ist wenig Aussicht dazu; in unserm Parlament herrscht
noch immer die unheimliche Stimmung, dem Strauße gleich, das Gesicht zu ver^
stecken, um die Gefahr nicht zu sehn. Man schiebt die ernsthaften Fragen, die
über Sein oder Nichtsein entscheiden, mit einer Art humoristischen Gravität einen
Tag um den andern hinaus und beschäftigt sich theils mit gegenseitiger Höflich-
keitsbezeugung zwischen den beiden Parteien, theils mit der Berathung allgemeiner
Rechte, deren praktische Wichtigkeit doch erst der Entscheidung der einzelnen Stände¬
versammlungen anheimfällt. Die preußische Constituante geht in ihren Debatten
über die Grundrechte ungefähr parallel mit der Frankfurter, jede entscheidet nach
ihrer Art und keiner fällt es ein, sich um die andere zu kümmern. In der Aus¬
schreibung per votirten drei Millionen an die einzelnen Staaten hat das Reichs-


Grenjwen. IV. 1"i8. Ul
Vom Reich.



om.

Als sich die Nachricht von dem Morde der beiden Frankfurter Deputirten
verbreitete, hallte, mit Ausnahme der entschiedensten Schmutzblätter, die gesammte
Presse von Einem Schrei der Entrüstung wieder; dje Ermordung Lamberg's,
die doch unter viel schlimmeren Umständen stattfand, erregte im Ganzen schon
mehr Staunen als Abscheu; der Tod Latour's endlich fand selbst unter einem
Theil derjenigen, die sonst nicht lebhaft genug gegen die Wühlereien unserer
Linken zu deklamiren wissen, seine eifrigen Vertheidiger. Kommt es doch diesen
Männern der Phrase, die von ihrem Standpunkt aus nicht das geringste Recht
haben, gegen Robert Blum und Konsorten zu Felde zu ziehen, lediglich auf das
Stichwort an: „Deutsche Einheit! Deutsche Einheit!" Darut ist es denn abge¬
than. Daß Einheit eine verschiedene Bedeutung hat, daß man sie auch dann
hervorbringt, wenn man Deutschland in einen allgemeinen Schmutzhaufen begräbt,
diese ziemlich naheliegende Betrachtung ist unsern abstracten Einheitshelden zu hoch.
Daß die östreichischen Verhältnisse, bei der grenzenlosen Verwirrung aller Bestre¬
bungen und Wünsche, bei der vollkommenen Haltungslosigkeit der herrschenden
Fraction, zuletzt zu einer Schreckensherrschaft führen müßten, wie wir sie jetzt
von beiden Seiten hereinbrechen sehen, konnte man allenfalls voraussehen, aber
das menschliche Herz hat das Recht, über die Wirklichkeit auch des Nothwendigen
zu schaudern.

Noch ist es möglich, das Verderben wenigstens von Deutschland fern zu hal-,
ten, und wir wollen über jene entsetzlichen Ereignisse kein Klagelied anstimmen,
wenn sie dazu dienen, unsern Staatskünstlern die Augen zu öffnen. Möchte es
bald geschehen, damit das verhängnißvolle „Zu spät!" nicht auch hier seine Rechte
geltend macht! Bis jetzt ist wenig Aussicht dazu; in unserm Parlament herrscht
noch immer die unheimliche Stimmung, dem Strauße gleich, das Gesicht zu ver^
stecken, um die Gefahr nicht zu sehn. Man schiebt die ernsthaften Fragen, die
über Sein oder Nichtsein entscheiden, mit einer Art humoristischen Gravität einen
Tag um den andern hinaus und beschäftigt sich theils mit gegenseitiger Höflich-
keitsbezeugung zwischen den beiden Parteien, theils mit der Berathung allgemeiner
Rechte, deren praktische Wichtigkeit doch erst der Entscheidung der einzelnen Stände¬
versammlungen anheimfällt. Die preußische Constituante geht in ihren Debatten
über die Grundrechte ungefähr parallel mit der Frankfurter, jede entscheidet nach
ihrer Art und keiner fällt es ein, sich um die andere zu kümmern. In der Aus¬
schreibung per votirten drei Millionen an die einzelnen Staaten hat das Reichs-


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[0105] Vom Reich. om. Als sich die Nachricht von dem Morde der beiden Frankfurter Deputirten verbreitete, hallte, mit Ausnahme der entschiedensten Schmutzblätter, die gesammte Presse von Einem Schrei der Entrüstung wieder; dje Ermordung Lamberg's, die doch unter viel schlimmeren Umständen stattfand, erregte im Ganzen schon mehr Staunen als Abscheu; der Tod Latour's endlich fand selbst unter einem Theil derjenigen, die sonst nicht lebhaft genug gegen die Wühlereien unserer Linken zu deklamiren wissen, seine eifrigen Vertheidiger. Kommt es doch diesen Männern der Phrase, die von ihrem Standpunkt aus nicht das geringste Recht haben, gegen Robert Blum und Konsorten zu Felde zu ziehen, lediglich auf das Stichwort an: „Deutsche Einheit! Deutsche Einheit!" Darut ist es denn abge¬ than. Daß Einheit eine verschiedene Bedeutung hat, daß man sie auch dann hervorbringt, wenn man Deutschland in einen allgemeinen Schmutzhaufen begräbt, diese ziemlich naheliegende Betrachtung ist unsern abstracten Einheitshelden zu hoch. Daß die östreichischen Verhältnisse, bei der grenzenlosen Verwirrung aller Bestre¬ bungen und Wünsche, bei der vollkommenen Haltungslosigkeit der herrschenden Fraction, zuletzt zu einer Schreckensherrschaft führen müßten, wie wir sie jetzt von beiden Seiten hereinbrechen sehen, konnte man allenfalls voraussehen, aber das menschliche Herz hat das Recht, über die Wirklichkeit auch des Nothwendigen zu schaudern. Noch ist es möglich, das Verderben wenigstens von Deutschland fern zu hal-, ten, und wir wollen über jene entsetzlichen Ereignisse kein Klagelied anstimmen, wenn sie dazu dienen, unsern Staatskünstlern die Augen zu öffnen. Möchte es bald geschehen, damit das verhängnißvolle „Zu spät!" nicht auch hier seine Rechte geltend macht! Bis jetzt ist wenig Aussicht dazu; in unserm Parlament herrscht noch immer die unheimliche Stimmung, dem Strauße gleich, das Gesicht zu ver^ stecken, um die Gefahr nicht zu sehn. Man schiebt die ernsthaften Fragen, die über Sein oder Nichtsein entscheiden, mit einer Art humoristischen Gravität einen Tag um den andern hinaus und beschäftigt sich theils mit gegenseitiger Höflich- keitsbezeugung zwischen den beiden Parteien, theils mit der Berathung allgemeiner Rechte, deren praktische Wichtigkeit doch erst der Entscheidung der einzelnen Stände¬ versammlungen anheimfällt. Die preußische Constituante geht in ihren Debatten über die Grundrechte ungefähr parallel mit der Frankfurter, jede entscheidet nach ihrer Art und keiner fällt es ein, sich um die andere zu kümmern. In der Aus¬ schreibung per votirten drei Millionen an die einzelnen Staaten hat das Reichs- Grenjwen. IV. 1»i8. Ul

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/105>, abgerufen am 25.05.2024.