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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Ministerium mit großer Seelenruhe Oestreich mit 895,000 Fi. aufgezeichnet (Preu¬
ßen mit 903,000), ohne sich im Entferntesten darum zu kümmern, daß jenseit der
Berge Dinge vorgehen, die jene 895,000 Fi. zu einer sehr hohlen Theorie her¬
abzusetzen geeignet sind. Die deutsche Besonnenheit decretirt, von § 1 bis § 251,
daß Alles gut ist, und je weniger sich die Verhältnisse einer solchen Doctrin an¬
bequemen, desto vollkommener kommt sie sich selber vor. Es ist noch der alte
diplomatische Tic, zu ignoriren, was man nicht mag. Aber die Realität hat eine
harte Faust; sie wird zuletzt so stark klopfen, daß auch diese resignirte Beschau¬
lichkeit aus ihrem Traume auffahren soll.

Es ist hohe Zeit. Je länger wir zaudern, uns über den Boden Rechenschaft
zu geben, auf dem wir bauen wollen, je weiter höhlt ihn die Fluth unter unsern
Füßen aus. Sollte es dahin kommen, daß die Beschlüsse über die definitive
Centralgewalt ganz eben so in die Luft gebaut werden, wie die sogenannten con-
stituirenden Beschlüsse des revolutionären Vorparlaments, so wird die wahre Eini¬
gung unseres Vaterlandes auf lange Zeit weiter hinausgeschoben. Die Theorie
der souveränen Leidenschaft -- d. h. der Abstraction von allen Rücksichten der
Vernunft -- wie sie Herr Vogt aufstellt und wie sie trotz aller Parteidemon¬
strationen in den Köpfen eines überwiegenden Theils unserer politischen Phaötone
spukt, gehört in mittelalterliche und kindliche Zustände; in den Verhältnissen unsrer
modernen Cultur hat sie entweder greuliche Verwirrung oder geradezu das Ridicul
zur Folge. Unsere Majorität denkt bürgerlich genug, um mit Thiers das Ridicul
vorzuziehn.

Noch immer verwechselt mau Kraft mit Lärm. Was hat das Geschrei, das
man bei der Zermalmung Limbnrgs, bei der Sistirung des Waffenstillstandes von
Malmoe und in ähnlichen Fällen erhob, für Früchte getragen? Und doch kommt
man stets von Neuem darauf zurück. Die Note, welche Herr Raveaux der Eid¬
genossenschaft übergeben hat, ist wieder ein solches Geschrei. Sie war durch die
zweideutige Stellung, welche die eidgenössischen Behörden der deutschen Jnsur-
rection gegenüber einnahmen, hinlänglich motivirt; aber fängt ein mächtiger Staat
damit an, gegen ein unabhängiges Land solche Drohungen auszustoßen, wie sie
jene Note enthält! Was ist die Folge? Die Schweiz wird sich im Wesentlichen
fügen, wie sie es anch ohnehin gethan hätte; aber Drohung beantwortet sie
mit Drohung, Grobheit mit Grobheit, die übertriebene Forderung -- z. B. die
Bestrafung der schuldigen Behörden -- verwirft sie, und so sieht sich die Central-
verwaltung wieder in dem Fall, entweder einen neuen sinnlosen Krieg anzusaugen,
wozu sie hoffentlich keine Lust haben wird, oder, was geschehen ist, in die Tasche
zu stecken. Ist ein solches Verfahren geeignet, dem neuen, halb erst werdenden
Reiche im Auslande Achtung zu schassen? Der Starke schlägt, aber er macht
feinen Lärm dabei.

Selbst in der Stellung der herrschenden Partei gegen die Radikalen finde


Ministerium mit großer Seelenruhe Oestreich mit 895,000 Fi. aufgezeichnet (Preu¬
ßen mit 903,000), ohne sich im Entferntesten darum zu kümmern, daß jenseit der
Berge Dinge vorgehen, die jene 895,000 Fi. zu einer sehr hohlen Theorie her¬
abzusetzen geeignet sind. Die deutsche Besonnenheit decretirt, von § 1 bis § 251,
daß Alles gut ist, und je weniger sich die Verhältnisse einer solchen Doctrin an¬
bequemen, desto vollkommener kommt sie sich selber vor. Es ist noch der alte
diplomatische Tic, zu ignoriren, was man nicht mag. Aber die Realität hat eine
harte Faust; sie wird zuletzt so stark klopfen, daß auch diese resignirte Beschau¬
lichkeit aus ihrem Traume auffahren soll.

Es ist hohe Zeit. Je länger wir zaudern, uns über den Boden Rechenschaft
zu geben, auf dem wir bauen wollen, je weiter höhlt ihn die Fluth unter unsern
Füßen aus. Sollte es dahin kommen, daß die Beschlüsse über die definitive
Centralgewalt ganz eben so in die Luft gebaut werden, wie die sogenannten con-
stituirenden Beschlüsse des revolutionären Vorparlaments, so wird die wahre Eini¬
gung unseres Vaterlandes auf lange Zeit weiter hinausgeschoben. Die Theorie
der souveränen Leidenschaft — d. h. der Abstraction von allen Rücksichten der
Vernunft — wie sie Herr Vogt aufstellt und wie sie trotz aller Parteidemon¬
strationen in den Köpfen eines überwiegenden Theils unserer politischen Phaötone
spukt, gehört in mittelalterliche und kindliche Zustände; in den Verhältnissen unsrer
modernen Cultur hat sie entweder greuliche Verwirrung oder geradezu das Ridicul
zur Folge. Unsere Majorität denkt bürgerlich genug, um mit Thiers das Ridicul
vorzuziehn.

Noch immer verwechselt mau Kraft mit Lärm. Was hat das Geschrei, das
man bei der Zermalmung Limbnrgs, bei der Sistirung des Waffenstillstandes von
Malmoe und in ähnlichen Fällen erhob, für Früchte getragen? Und doch kommt
man stets von Neuem darauf zurück. Die Note, welche Herr Raveaux der Eid¬
genossenschaft übergeben hat, ist wieder ein solches Geschrei. Sie war durch die
zweideutige Stellung, welche die eidgenössischen Behörden der deutschen Jnsur-
rection gegenüber einnahmen, hinlänglich motivirt; aber fängt ein mächtiger Staat
damit an, gegen ein unabhängiges Land solche Drohungen auszustoßen, wie sie
jene Note enthält! Was ist die Folge? Die Schweiz wird sich im Wesentlichen
fügen, wie sie es anch ohnehin gethan hätte; aber Drohung beantwortet sie
mit Drohung, Grobheit mit Grobheit, die übertriebene Forderung -- z. B. die
Bestrafung der schuldigen Behörden — verwirft sie, und so sieht sich die Central-
verwaltung wieder in dem Fall, entweder einen neuen sinnlosen Krieg anzusaugen,
wozu sie hoffentlich keine Lust haben wird, oder, was geschehen ist, in die Tasche
zu stecken. Ist ein solches Verfahren geeignet, dem neuen, halb erst werdenden
Reiche im Auslande Achtung zu schassen? Der Starke schlägt, aber er macht
feinen Lärm dabei.

Selbst in der Stellung der herrschenden Partei gegen die Radikalen finde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/106>, abgerufen am 17.06.2024.