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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Hat "estreich eine Zukunft?
Manifest an die Oestreicher.



Ein schweres Geschick ist über Euch gekommen, Ihr Brüder in Oestreich.
Nach einem kurzen, schönen Jngendrausch von wenigen Monaten, in welchem Ihr
träumtet, Europa voranzuschreiten im kühnen Werben um die Freiheit, fühlt Ihr
Euch plötzlich von dem Frost der Wirklichkeit aufs Neue durchschauert und Eure
Glieder beben unter dem eisernen Fuß, der Euch in deu Staub tritt. Was ge¬
denkt Ihr nun zu thun, Ihr Brüder in Oestreich? Wollt Ihr hingehn und den
Schmerz Eurer Enttäuschung aushauchen in klagenden Weisen, wie es die Völker
gethan, deren ganzes Leben in der Schattenwelt der Träume verschwebte? Oder
sollte der erste kühne Auflug der Begeisterung Eure Kräfte so erschöpft haben,
daß Ihr in dumpfer, vorschneller Resignation das grvßgedachte Werk bei Seite
legt und in dem eitlen Sinnentaumel der früheren Tage die Kräfte eines Stam¬
mes verzehrt, die sich den edelsten Europas an die Seite stellen darf?

So darf es nicht sein. Gehört Ihr muthigen Freiheitskämpfer auch noch zum
großen Theil dem Jünglingsalter an, ein großer Schmerz reift schnell; über Nacht
seid Ihr Männer geworden. Ein unverdientes Gelingen hatte Eure Sehnen abge¬
spannt, zu früh habt Ihr dem Jubel Euch hingegeben, es sei nun Alles gethan.
Eure Siege waren Illusionen, Eure Thaten ein Faschingspiel. Der Trunkene
zürnt, wenn man ihn an seinen Zustand erinnert, um so bitterer, je tiefer er im
Geheimen das Recht der Warnung empfindet. So habt Ihr auch uns gezürnt,
als wir Euch zuriefen: Ihr träumt! Was geschehen ist, hat uns Recht gegeben,
und nicht minder tief, als die Eurige, ist darüber unsre Trauer. Aber dieser
Schmerz soll nicht, unfruchtbar sein! Ehe Ihr weitcrschreitet in der Arbeit Eures
guten Rechts, haltet eiuen Augenblick inne und blickt ernsthaft in Eure Bergan-
genheit zurück. Erst müßt Ihr begreifen, was Ihr gefehlt, ehe Ihr der Hoffnung,
daß es besser mit Euch werde, Euch hingeben dürft.

Noch einen Schritt weiter müßt Ihr zurückgehn, als bis in die Märztage;
zurück in die Nacht des Metternich'schen Absolutismus. Der Staat hatte dem
Bürger nur das Privatleben in schlechtem Sinn gelassen, das materielle Wohlsein.


GrenMen. IV. 42
Hat «estreich eine Zukunft?
Manifest an die Oestreicher.



Ein schweres Geschick ist über Euch gekommen, Ihr Brüder in Oestreich.
Nach einem kurzen, schönen Jngendrausch von wenigen Monaten, in welchem Ihr
träumtet, Europa voranzuschreiten im kühnen Werben um die Freiheit, fühlt Ihr
Euch plötzlich von dem Frost der Wirklichkeit aufs Neue durchschauert und Eure
Glieder beben unter dem eisernen Fuß, der Euch in deu Staub tritt. Was ge¬
denkt Ihr nun zu thun, Ihr Brüder in Oestreich? Wollt Ihr hingehn und den
Schmerz Eurer Enttäuschung aushauchen in klagenden Weisen, wie es die Völker
gethan, deren ganzes Leben in der Schattenwelt der Träume verschwebte? Oder
sollte der erste kühne Auflug der Begeisterung Eure Kräfte so erschöpft haben,
daß Ihr in dumpfer, vorschneller Resignation das grvßgedachte Werk bei Seite
legt und in dem eitlen Sinnentaumel der früheren Tage die Kräfte eines Stam¬
mes verzehrt, die sich den edelsten Europas an die Seite stellen darf?

So darf es nicht sein. Gehört Ihr muthigen Freiheitskämpfer auch noch zum
großen Theil dem Jünglingsalter an, ein großer Schmerz reift schnell; über Nacht
seid Ihr Männer geworden. Ein unverdientes Gelingen hatte Eure Sehnen abge¬
spannt, zu früh habt Ihr dem Jubel Euch hingegeben, es sei nun Alles gethan.
Eure Siege waren Illusionen, Eure Thaten ein Faschingspiel. Der Trunkene
zürnt, wenn man ihn an seinen Zustand erinnert, um so bitterer, je tiefer er im
Geheimen das Recht der Warnung empfindet. So habt Ihr auch uns gezürnt,
als wir Euch zuriefen: Ihr träumt! Was geschehen ist, hat uns Recht gegeben,
und nicht minder tief, als die Eurige, ist darüber unsre Trauer. Aber dieser
Schmerz soll nicht, unfruchtbar sein! Ehe Ihr weitcrschreitet in der Arbeit Eures
guten Rechts, haltet eiuen Augenblick inne und blickt ernsthaft in Eure Bergan-
genheit zurück. Erst müßt Ihr begreifen, was Ihr gefehlt, ehe Ihr der Hoffnung,
daß es besser mit Euch werde, Euch hingeben dürft.

Noch einen Schritt weiter müßt Ihr zurückgehn, als bis in die Märztage;
zurück in die Nacht des Metternich'schen Absolutismus. Der Staat hatte dem
Bürger nur das Privatleben in schlechtem Sinn gelassen, das materielle Wohlsein.


GrenMen. IV. 42
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[0333] Hat «estreich eine Zukunft? Manifest an die Oestreicher. Ein schweres Geschick ist über Euch gekommen, Ihr Brüder in Oestreich. Nach einem kurzen, schönen Jngendrausch von wenigen Monaten, in welchem Ihr träumtet, Europa voranzuschreiten im kühnen Werben um die Freiheit, fühlt Ihr Euch plötzlich von dem Frost der Wirklichkeit aufs Neue durchschauert und Eure Glieder beben unter dem eisernen Fuß, der Euch in deu Staub tritt. Was ge¬ denkt Ihr nun zu thun, Ihr Brüder in Oestreich? Wollt Ihr hingehn und den Schmerz Eurer Enttäuschung aushauchen in klagenden Weisen, wie es die Völker gethan, deren ganzes Leben in der Schattenwelt der Träume verschwebte? Oder sollte der erste kühne Auflug der Begeisterung Eure Kräfte so erschöpft haben, daß Ihr in dumpfer, vorschneller Resignation das grvßgedachte Werk bei Seite legt und in dem eitlen Sinnentaumel der früheren Tage die Kräfte eines Stam¬ mes verzehrt, die sich den edelsten Europas an die Seite stellen darf? So darf es nicht sein. Gehört Ihr muthigen Freiheitskämpfer auch noch zum großen Theil dem Jünglingsalter an, ein großer Schmerz reift schnell; über Nacht seid Ihr Männer geworden. Ein unverdientes Gelingen hatte Eure Sehnen abge¬ spannt, zu früh habt Ihr dem Jubel Euch hingegeben, es sei nun Alles gethan. Eure Siege waren Illusionen, Eure Thaten ein Faschingspiel. Der Trunkene zürnt, wenn man ihn an seinen Zustand erinnert, um so bitterer, je tiefer er im Geheimen das Recht der Warnung empfindet. So habt Ihr auch uns gezürnt, als wir Euch zuriefen: Ihr träumt! Was geschehen ist, hat uns Recht gegeben, und nicht minder tief, als die Eurige, ist darüber unsre Trauer. Aber dieser Schmerz soll nicht, unfruchtbar sein! Ehe Ihr weitcrschreitet in der Arbeit Eures guten Rechts, haltet eiuen Augenblick inne und blickt ernsthaft in Eure Bergan- genheit zurück. Erst müßt Ihr begreifen, was Ihr gefehlt, ehe Ihr der Hoffnung, daß es besser mit Euch werde, Euch hingeben dürft. Noch einen Schritt weiter müßt Ihr zurückgehn, als bis in die Märztage; zurück in die Nacht des Metternich'schen Absolutismus. Der Staat hatte dem Bürger nur das Privatleben in schlechtem Sinn gelassen, das materielle Wohlsein. GrenMen. IV. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/333>, abgerufen am 25.05.2024.