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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Der Wendepunkt der Revolution.



Als vor dem Frühlingssturm des März die Last zerstob, die bis dahin so
verderblich uns gedrückt, da lag vor Deutschland die herrlichste Aufgabe, die noch
dem europäischen Leben die Geschichte gestellt, die Aufgabe, ein Kunstwerk politi¬
scher und humaner Große aufzurichten ans den reifsten Schätzen deö Geistes
und den fruchtbarsten Bedingungen der Äußeren Lage.

Daß dieses Werk nicht sofort mit frischer Kraft und mit reinen Händen be¬
gonnen wurde, das ist der Fluch der Revolution. Denn die Revolution bleibt
ein Unglück, anch wo sie das einzige Rettungsmittel ist. Nicht weil der Kampf
blutige Opfer fordert, sondern weil er das Heiligthum des Gesetzes erbricht und
damit den Alles erhaltenden sittlichen Geist bedroht. Der Kampf, der die unan¬
tastbare Form zerbricht, wenn er die Gewalt an die Stelle der freien Einwilli¬
gungen setzt, ist geheiligt dnrch das ewige Recht, dem er gegolten, dnrch die
Nothwehr der Selbsterhaltung. Jetzt kommt die unreine Leidenschaft und vindicirt
sich das Recht der Revolution, sobald sie die Gewalt für sich einzusetzen im Stande,
ist. Die Gewalt wird heilig im Fall der Noth durch das Recht der Selbstcrhab-
tung. Der Sophist sagt: Die Gewalt ist das Recht; empört Euch und siegt, so
habt Ihr Recht, Verbrechen sind nur Thaten, welche mißlingen.

Als der Absolutismus in Deutschland fiel, suchte die Leidenschaft, anstatt die
freigewordenen Kräfte durch Verständigung zu ordnen, ihren Wunsch, den Wunsch
der Minorität, dem Ganzen dnrch Gewalt aufzudringen. Ein solcher Despotismus
ist unerträglicher als der alte. Er ist ungeübter und daher ungestümer. Der alte
Despotismus klammert sich an die Existenz, der neue an die Tendenz und ist in
seiner Verblendung immer schonungslos und brutal, während der alte vorsichtig
und geschmeidig war, so oft er konnte.

Die deutsche Revolution hat von dieser Art nnr ein bald verunglücktes Ex¬
periment anftnwcisen. den Hecker'scheu Aufstand. In ihm entlud sich der subjective
Idealismus der alte" theoretischen Opposition. Eine Erscheinung, in ihren Ideen
romanhaft, in ihrem Auftreten knabenmäßig rcuommistisch, in ihren Motiven edel,
das treue Abbild Karl Moors. Der edle Hauptmann mußte abtreten und Spie¬
gelberg organisirte eine neue Baude mit der alten Devise ohne die alte Illusion,
d. h. alle verdorbenen Elemente, die der Absolutismus erzeugt hat, vereinigen
sich unter, der Firma "Demokratie" zu einer neuen Revolution, welche die voll¬
ständige Entfesselung des wüsten Egoismus zum Zweck hat.

Unterdeß war in Frankreich eine viel raffiuirtere Romantik mit einem weit
principieller" Ausdruck aufgetreten. Sie kämpfte nicht gegen die wirkliche Staats-


Der Wendepunkt der Revolution.



Als vor dem Frühlingssturm des März die Last zerstob, die bis dahin so
verderblich uns gedrückt, da lag vor Deutschland die herrlichste Aufgabe, die noch
dem europäischen Leben die Geschichte gestellt, die Aufgabe, ein Kunstwerk politi¬
scher und humaner Große aufzurichten ans den reifsten Schätzen deö Geistes
und den fruchtbarsten Bedingungen der Äußeren Lage.

Daß dieses Werk nicht sofort mit frischer Kraft und mit reinen Händen be¬
gonnen wurde, das ist der Fluch der Revolution. Denn die Revolution bleibt
ein Unglück, anch wo sie das einzige Rettungsmittel ist. Nicht weil der Kampf
blutige Opfer fordert, sondern weil er das Heiligthum des Gesetzes erbricht und
damit den Alles erhaltenden sittlichen Geist bedroht. Der Kampf, der die unan¬
tastbare Form zerbricht, wenn er die Gewalt an die Stelle der freien Einwilli¬
gungen setzt, ist geheiligt dnrch das ewige Recht, dem er gegolten, dnrch die
Nothwehr der Selbsterhaltung. Jetzt kommt die unreine Leidenschaft und vindicirt
sich das Recht der Revolution, sobald sie die Gewalt für sich einzusetzen im Stande,
ist. Die Gewalt wird heilig im Fall der Noth durch das Recht der Selbstcrhab-
tung. Der Sophist sagt: Die Gewalt ist das Recht; empört Euch und siegt, so
habt Ihr Recht, Verbrechen sind nur Thaten, welche mißlingen.

Als der Absolutismus in Deutschland fiel, suchte die Leidenschaft, anstatt die
freigewordenen Kräfte durch Verständigung zu ordnen, ihren Wunsch, den Wunsch
der Minorität, dem Ganzen dnrch Gewalt aufzudringen. Ein solcher Despotismus
ist unerträglicher als der alte. Er ist ungeübter und daher ungestümer. Der alte
Despotismus klammert sich an die Existenz, der neue an die Tendenz und ist in
seiner Verblendung immer schonungslos und brutal, während der alte vorsichtig
und geschmeidig war, so oft er konnte.

Die deutsche Revolution hat von dieser Art nnr ein bald verunglücktes Ex¬
periment anftnwcisen. den Hecker'scheu Aufstand. In ihm entlud sich der subjective
Idealismus der alte» theoretischen Opposition. Eine Erscheinung, in ihren Ideen
romanhaft, in ihrem Auftreten knabenmäßig rcuommistisch, in ihren Motiven edel,
das treue Abbild Karl Moors. Der edle Hauptmann mußte abtreten und Spie¬
gelberg organisirte eine neue Baude mit der alten Devise ohne die alte Illusion,
d. h. alle verdorbenen Elemente, die der Absolutismus erzeugt hat, vereinigen
sich unter, der Firma „Demokratie" zu einer neuen Revolution, welche die voll¬
ständige Entfesselung des wüsten Egoismus zum Zweck hat.

Unterdeß war in Frankreich eine viel raffiuirtere Romantik mit einem weit
principieller» Ausdruck aufgetreten. Sie kämpfte nicht gegen die wirkliche Staats-


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[0345] Der Wendepunkt der Revolution. Als vor dem Frühlingssturm des März die Last zerstob, die bis dahin so verderblich uns gedrückt, da lag vor Deutschland die herrlichste Aufgabe, die noch dem europäischen Leben die Geschichte gestellt, die Aufgabe, ein Kunstwerk politi¬ scher und humaner Große aufzurichten ans den reifsten Schätzen deö Geistes und den fruchtbarsten Bedingungen der Äußeren Lage. Daß dieses Werk nicht sofort mit frischer Kraft und mit reinen Händen be¬ gonnen wurde, das ist der Fluch der Revolution. Denn die Revolution bleibt ein Unglück, anch wo sie das einzige Rettungsmittel ist. Nicht weil der Kampf blutige Opfer fordert, sondern weil er das Heiligthum des Gesetzes erbricht und damit den Alles erhaltenden sittlichen Geist bedroht. Der Kampf, der die unan¬ tastbare Form zerbricht, wenn er die Gewalt an die Stelle der freien Einwilli¬ gungen setzt, ist geheiligt dnrch das ewige Recht, dem er gegolten, dnrch die Nothwehr der Selbsterhaltung. Jetzt kommt die unreine Leidenschaft und vindicirt sich das Recht der Revolution, sobald sie die Gewalt für sich einzusetzen im Stande, ist. Die Gewalt wird heilig im Fall der Noth durch das Recht der Selbstcrhab- tung. Der Sophist sagt: Die Gewalt ist das Recht; empört Euch und siegt, so habt Ihr Recht, Verbrechen sind nur Thaten, welche mißlingen. Als der Absolutismus in Deutschland fiel, suchte die Leidenschaft, anstatt die freigewordenen Kräfte durch Verständigung zu ordnen, ihren Wunsch, den Wunsch der Minorität, dem Ganzen dnrch Gewalt aufzudringen. Ein solcher Despotismus ist unerträglicher als der alte. Er ist ungeübter und daher ungestümer. Der alte Despotismus klammert sich an die Existenz, der neue an die Tendenz und ist in seiner Verblendung immer schonungslos und brutal, während der alte vorsichtig und geschmeidig war, so oft er konnte. Die deutsche Revolution hat von dieser Art nnr ein bald verunglücktes Ex¬ periment anftnwcisen. den Hecker'scheu Aufstand. In ihm entlud sich der subjective Idealismus der alte» theoretischen Opposition. Eine Erscheinung, in ihren Ideen romanhaft, in ihrem Auftreten knabenmäßig rcuommistisch, in ihren Motiven edel, das treue Abbild Karl Moors. Der edle Hauptmann mußte abtreten und Spie¬ gelberg organisirte eine neue Baude mit der alten Devise ohne die alte Illusion, d. h. alle verdorbenen Elemente, die der Absolutismus erzeugt hat, vereinigen sich unter, der Firma „Demokratie" zu einer neuen Revolution, welche die voll¬ ständige Entfesselung des wüsten Egoismus zum Zweck hat. Unterdeß war in Frankreich eine viel raffiuirtere Romantik mit einem weit principieller» Ausdruck aufgetreten. Sie kämpfte nicht gegen die wirkliche Staats-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/345>, abgerufen am 25.05.2024.