Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bauen, ohne das der Staat in der Luft schwebt. Gebt nicht wieder der Lockung
der Phantasten Gehör, die da meinen, die Freiheit werde im Sturm gewonnen.
Seht Euch in der Geschichte um! Nur in der Arbeit von Jahrhunderten wurden
die Römer, die Engländer, die Amerikaner seel. Die Franzosen haben seit 50
Jahren ziemlich eben so viel Revolutionen gemacht, und sind heute als Republik
in dem Druck des alten Bureaukratie- und Militärstaats.

Ihr edlen Jünglinge! -- dieses Prädicat ist keine Schmeichelei, Ihr habt es
verdient durch Eure Haltung während des wahnsinnigen Rausches der Anar¬
chie! -- wenn Ihr den Weg einschlagt, den die Vernunft Euch zeigt, werden
Eure Locken grau werden, ehe Ihr das ersehnte Ziel erreicht. Erst Euern Kin¬
dern wird die Freiheit zu Gute komme", sür die Ihr nicht blos Euern Kops,
sondern die Arbeit Eures Lebens einsetzen sollet.

Es ist eine wehmüthige Empfindung, dieses vorauszusehen. Aber dieser Weg
ist der Einzige. Nur was im Schweiß des Angesichts erworben wird, hat Ge"
beiden. Wollt Ihr das alte Pharavspiel erneuern, Euern Kopf und das Heil
eines Menschenalters auf die Karte setzen -- Ihr verliert, auch wenn Ihr ge¬
winnt! Für die Freiheit zu sterben, ist nur poetisch, für die Freiheit zu arbei¬
ten, männlich! Der Träumer glaubt große Gedanken zu eoncipiren ohne Am
strengung des Denkens, der Phantast, ein Haus zu bauen ohne Baumaterial und
Gerüst. Wählt! dort die Geschichte Englands, hier die Polen! Das Volk der
realen Freiheit und das Volk des ewigen Träumers!

Lebt wohl! Wir haben Euch augegriffen, als Ihr in wildem Meeresstrudel,
in der Gefahr des Schisfbruchs Euch berauschtet! gegen Euch gekämpft, als an
dem Strande. Weiber und Kinder Euern tollen Sprüngen Beifall zujauchzten.
Aber unser Herz war mit Euch, und wenn wir auch die Waffe des Spottes ge¬
gen Euch wendeten, litten wir im Innersten der Seele mit darunter. Oestreichs
Zukunft ist eine große, denn es hat edle, aber rohe und gebundene Kräfte durch
eine gesunde Entwickelung zu ihrer Realität zu entfalten. Wir werden Euch treu
zur Seite stehn in dem ernsten Kampfe für die Freiheit. Freiheit ist aber nur,
wo Vernunft ist.


Julian Schmidt.


bauen, ohne das der Staat in der Luft schwebt. Gebt nicht wieder der Lockung
der Phantasten Gehör, die da meinen, die Freiheit werde im Sturm gewonnen.
Seht Euch in der Geschichte um! Nur in der Arbeit von Jahrhunderten wurden
die Römer, die Engländer, die Amerikaner seel. Die Franzosen haben seit 50
Jahren ziemlich eben so viel Revolutionen gemacht, und sind heute als Republik
in dem Druck des alten Bureaukratie- und Militärstaats.

Ihr edlen Jünglinge! — dieses Prädicat ist keine Schmeichelei, Ihr habt es
verdient durch Eure Haltung während des wahnsinnigen Rausches der Anar¬
chie! — wenn Ihr den Weg einschlagt, den die Vernunft Euch zeigt, werden
Eure Locken grau werden, ehe Ihr das ersehnte Ziel erreicht. Erst Euern Kin¬
dern wird die Freiheit zu Gute komme», sür die Ihr nicht blos Euern Kops,
sondern die Arbeit Eures Lebens einsetzen sollet.

Es ist eine wehmüthige Empfindung, dieses vorauszusehen. Aber dieser Weg
ist der Einzige. Nur was im Schweiß des Angesichts erworben wird, hat Ge«
beiden. Wollt Ihr das alte Pharavspiel erneuern, Euern Kopf und das Heil
eines Menschenalters auf die Karte setzen — Ihr verliert, auch wenn Ihr ge¬
winnt! Für die Freiheit zu sterben, ist nur poetisch, für die Freiheit zu arbei¬
ten, männlich! Der Träumer glaubt große Gedanken zu eoncipiren ohne Am
strengung des Denkens, der Phantast, ein Haus zu bauen ohne Baumaterial und
Gerüst. Wählt! dort die Geschichte Englands, hier die Polen! Das Volk der
realen Freiheit und das Volk des ewigen Träumers!

Lebt wohl! Wir haben Euch augegriffen, als Ihr in wildem Meeresstrudel,
in der Gefahr des Schisfbruchs Euch berauschtet! gegen Euch gekämpft, als an
dem Strande. Weiber und Kinder Euern tollen Sprüngen Beifall zujauchzten.
Aber unser Herz war mit Euch, und wenn wir auch die Waffe des Spottes ge¬
gen Euch wendeten, litten wir im Innersten der Seele mit darunter. Oestreichs
Zukunft ist eine große, denn es hat edle, aber rohe und gebundene Kräfte durch
eine gesunde Entwickelung zu ihrer Realität zu entfalten. Wir werden Euch treu
zur Seite stehn in dem ernsten Kampfe für die Freiheit. Freiheit ist aber nur,
wo Vernunft ist.


Julian Schmidt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277100"/>
            <p xml:id="ID_1010" prev="#ID_1009"> bauen, ohne das der Staat in der Luft schwebt. Gebt nicht wieder der Lockung<lb/>
der Phantasten Gehör, die da meinen, die Freiheit werde im Sturm gewonnen.<lb/>
Seht Euch in der Geschichte um! Nur in der Arbeit von Jahrhunderten wurden<lb/>
die Römer, die Engländer, die Amerikaner seel. Die Franzosen haben seit 50<lb/>
Jahren ziemlich eben so viel Revolutionen gemacht, und sind heute als Republik<lb/>
in dem Druck des alten Bureaukratie- und Militärstaats.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1011"> Ihr edlen Jünglinge! &#x2014; dieses Prädicat ist keine Schmeichelei, Ihr habt es<lb/>
verdient durch Eure Haltung während des wahnsinnigen Rausches der Anar¬<lb/>
chie! &#x2014; wenn Ihr den Weg einschlagt, den die Vernunft Euch zeigt, werden<lb/>
Eure Locken grau werden, ehe Ihr das ersehnte Ziel erreicht. Erst Euern Kin¬<lb/>
dern wird die Freiheit zu Gute komme», sür die Ihr nicht blos Euern Kops,<lb/>
sondern die Arbeit Eures Lebens einsetzen sollet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1012"> Es ist eine wehmüthige Empfindung, dieses vorauszusehen. Aber dieser Weg<lb/>
ist der Einzige. Nur was im Schweiß des Angesichts erworben wird, hat Ge«<lb/>
beiden. Wollt Ihr das alte Pharavspiel erneuern, Euern Kopf und das Heil<lb/>
eines Menschenalters auf die Karte setzen &#x2014; Ihr verliert, auch wenn Ihr ge¬<lb/>
winnt! Für die Freiheit zu sterben, ist nur poetisch, für die Freiheit zu arbei¬<lb/>
ten, männlich! Der Träumer glaubt große Gedanken zu eoncipiren ohne Am<lb/>
strengung des Denkens, der Phantast, ein Haus zu bauen ohne Baumaterial und<lb/>
Gerüst. Wählt! dort die Geschichte Englands, hier die Polen! Das Volk der<lb/>
realen Freiheit und das Volk des ewigen Träumers!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1013"> Lebt wohl! Wir haben Euch augegriffen, als Ihr in wildem Meeresstrudel,<lb/>
in der Gefahr des Schisfbruchs Euch berauschtet! gegen Euch gekämpft, als an<lb/>
dem Strande. Weiber und Kinder Euern tollen Sprüngen Beifall zujauchzten.<lb/>
Aber unser Herz war mit Euch, und wenn wir auch die Waffe des Spottes ge¬<lb/>
gen Euch wendeten, litten wir im Innersten der Seele mit darunter. Oestreichs<lb/>
Zukunft ist eine große, denn es hat edle, aber rohe und gebundene Kräfte durch<lb/>
eine gesunde Entwickelung zu ihrer Realität zu entfalten. Wir werden Euch treu<lb/>
zur Seite stehn in dem ernsten Kampfe für die Freiheit. Freiheit ist aber nur,<lb/>
wo Vernunft ist.</p><lb/>
            <note type="byline"> Julian Schmidt.</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] bauen, ohne das der Staat in der Luft schwebt. Gebt nicht wieder der Lockung der Phantasten Gehör, die da meinen, die Freiheit werde im Sturm gewonnen. Seht Euch in der Geschichte um! Nur in der Arbeit von Jahrhunderten wurden die Römer, die Engländer, die Amerikaner seel. Die Franzosen haben seit 50 Jahren ziemlich eben so viel Revolutionen gemacht, und sind heute als Republik in dem Druck des alten Bureaukratie- und Militärstaats. Ihr edlen Jünglinge! — dieses Prädicat ist keine Schmeichelei, Ihr habt es verdient durch Eure Haltung während des wahnsinnigen Rausches der Anar¬ chie! — wenn Ihr den Weg einschlagt, den die Vernunft Euch zeigt, werden Eure Locken grau werden, ehe Ihr das ersehnte Ziel erreicht. Erst Euern Kin¬ dern wird die Freiheit zu Gute komme», sür die Ihr nicht blos Euern Kops, sondern die Arbeit Eures Lebens einsetzen sollet. Es ist eine wehmüthige Empfindung, dieses vorauszusehen. Aber dieser Weg ist der Einzige. Nur was im Schweiß des Angesichts erworben wird, hat Ge« beiden. Wollt Ihr das alte Pharavspiel erneuern, Euern Kopf und das Heil eines Menschenalters auf die Karte setzen — Ihr verliert, auch wenn Ihr ge¬ winnt! Für die Freiheit zu sterben, ist nur poetisch, für die Freiheit zu arbei¬ ten, männlich! Der Träumer glaubt große Gedanken zu eoncipiren ohne Am strengung des Denkens, der Phantast, ein Haus zu bauen ohne Baumaterial und Gerüst. Wählt! dort die Geschichte Englands, hier die Polen! Das Volk der realen Freiheit und das Volk des ewigen Träumers! Lebt wohl! Wir haben Euch augegriffen, als Ihr in wildem Meeresstrudel, in der Gefahr des Schisfbruchs Euch berauschtet! gegen Euch gekämpft, als an dem Strande. Weiber und Kinder Euern tollen Sprüngen Beifall zujauchzten. Aber unser Herz war mit Euch, und wenn wir auch die Waffe des Spottes ge¬ gen Euch wendeten, litten wir im Innersten der Seele mit darunter. Oestreichs Zukunft ist eine große, denn es hat edle, aber rohe und gebundene Kräfte durch eine gesunde Entwickelung zu ihrer Realität zu entfalten. Wir werden Euch treu zur Seite stehn in dem ernsten Kampfe für die Freiheit. Freiheit ist aber nur, wo Vernunft ist. Julian Schmidt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/344>, abgerufen am 17.06.2024.